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Predigt von Bischof Christian Stäblein zu Lukas 19,37ff vom 28. April 2024

Zum 850. Kirchweihjubiläum der Liebfrauenkirche und Stadtrecht der Stadt Jüterbog

Muss man sich erstmal die Augen reiben, oder? Guten Morgen, Jüterbog, zum guten Morgen gehört ja das Augen reiben, weil: will man ja sehen, scharf sehen, wie schön das so ist. Und schön ist es hier, Leute, Jüterbog, an so einem Morgen – Sonne, Felder, und als Silhouette am Horizont die Türme der Stadt, das Dammtor, das Rathaus, Nicolai, Liebfrauen, es brummt schon ein wenig, es gibt einen Festumzug, später.

Guten Morgen, sagt die Schöpfung da und du reibst die Augen oder zwinkerst ein wenig. So wie beim letzten Mal, als ich hier in der Liebfrauenkirche war, Konfirmation, man kann diese Kirche ja so toll ins Licht setzen, blau, orange, so ein altes Gewölbe strahlt dann Wärme. Und es gibt wahrlich viel beeindruckende Tradition hier – die Decke etwa oder Melanchthons und Luthers Kopf am Kanzelkorb, das gehört zu den frühsten Reformationszeugnissen überhaupt, die es so gibt. Und das in dieser ohnehin ja mit ältesten Kirche in Brandenburg überhaupt, wunderbar eindrücklich – aber, liebe Leute, nichts oder wenig ist schöner, als wenn junge Menschen hier stehen und ihren Segen für den Lebensweg bekommen, Konfirmation eben, gefestigt, gestärkt und durchaus auch ergreifend – da reibst Du Dir die Augen, wenn Du die jungen Menschen siehst und sagst: Guten Morgen, liebe Kirche, es geht weiter.

Ja, guten Morgen, Jüterbog sage ich und gratuliere als erstes zu diesem Festtag – 850 Jahre Stadtrechte, 850 Jahre Weihe dieser Kirche, muss man ja auch erstmal zusammen legen diese Dinge: Stadtrecht und Weihe, war damals so, wäre man in unserer Zeit gar nicht unbedingt drauf gekommen, muss man auch wirklich nicht wollen, dass das eins ist, waren andere Zeiten, keine Frage, als Stadt- und Bürger- und Christengesellschaft so nahe waren in der Figur, in der Person Erzbischof Wichmann aus Magdeburg – willkommen, lieber Erzbischof, sage ich natürlich an dieser Stelle, und wenn Sie sich zweimal die Augen reiben, erkennen Sie auch, wer der Kopf unter der Mütze ist, kennen Sie gut. So ein Fest ist ja auch ein Spiel mit den Zeiten und wir schauen für einen Moment, als wären alle Zeiten eins – die Gründung vor 850 Jahren und eben heute und dazwischen auch die harten Zeiten, die Pest und die Kriege, die Wechsel der Herrschaft und der Herrschaften. Für einen Moment, das ist ja das Schöne an einem Fest, für ein paar Tage das alles zusammen vor Augen und bei allem miteinander Ringen und sehr verschiedenen Überzeugungen – das gehört dazu – heute Morgen doch auch gefühlt alle hier zusammen über Zeit und Differenzen hinweg. Ach, guten Morgen, Jüterbog, ich bin gerne gekommen, es ist eine Ehre, dass ich mir mit Ihnen heute die morgendlichen Augen reiben darf und mich freuen mit Ihnen an diesem Fest und dieser Stadt und dieser Kirche, die Sie so trefflich und gut gehütet haben und hüten, ja, ich bin ein wenig stolz mit Ihnen darüber und danke als erstes allen, dass Ihr hier seid und wir an diesem Morgen Gottesdienst feiern. Gott zur Ehr, Gott zum Gruß, wären wir im Norden, wir würden sagen: moin, moin, Gott.

Nun habe ich es oft genug gesagt, nicht wahr – Sie ahnen schon, denn Sie kennen den Namen Ihrer Stadt ja viel besser als ich und wissen: in der Herkunft heißt Jüterbog, sagen jedenfalls etliche Quellen, heißt es im Ursprung: Morgengott. Nicht als Begrüßung, wie ich es jetzt getan habe, sondern weil es so einen Morgengott wohl in der slawischen Tradition gab, aus der der Name Jüterbog stammt. Jedenfalls ist das eine schöne Herleitung. – Gott im Namen – nicht schlecht, würde ich sagen und auch wenn es anders gemeint ist, leitet es uns unmittelbar zu dem Evangelium, das über diesem Sonntag steht, wir haben die Worte gerade in der Kantate schon gehört, jedenfalls den ersten Teil, ich lese es noch mal:

Als Jesus schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!

Da reibt man sich vielleicht einmal die Augen wegen der Szenerie – Jesus beim Einziehen in Jerusalem, Festumzug sozusagen, passt ja – und dann wird einem aber schnell bewusst: es ist eigentlich die Urszene dessen, was der Grund für eine Kirche überhaupt ist. Die Freude über das, was Gott in Jesus tut, die Freude über diese Taten und das Lob darüber: gelobt, der da kommt, der da ist.

Das klingt jetzt, liebe Freunde, womöglich etwas formelhaft – in der Tat, als Formel gehört es zu den wahrscheinlich über acht Jahrhunderte in diesem Raum überhaupt am häufigsten laut gemachten Sätzen, finden sich die Worte doch in der Vorbereitung zum Abendmahl wieder, wo wir immer, wenn wir es hier feiern, singen: gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.

Aber wenn ich das Formelhafte – was es ja durchaus gut merkbar und vertraut macht – wenn ich das für einen Moment zur Seite schiebe, dann kann sich der Blick schärfen für das, was laut gesagt sein soll. Freude über Jesu Taten und über Gottes Taten heißt doch konkret etwa: wie gut er diese Schöpfung gemacht hat. Waren ja nicht wir, wenn morgens über den Feldern und Wiesen vor Jüterbog ein wenig Nebel von der Kühle der Nacht aufsteigt. Ja, wow. Und: Ist ja nicht unser Werk, dass das Leben weiter ging hier, auch als es so brach lag nach den Pestjahren, dass eigentlich kaum noch einer da war in den Städten und Dörfern, im Kloster. Aber Hoffnung war da und die Menschen haben neu begonnen. Die Schöpfung, Gottes Tat, sein Segen, dass was gelingen kann – vergessen wir manchmal in unserem Macher-Leben, in dem sich scheinbar alles machen lässt. Scheinbar. Weil: wenn jemand sagt, tut mir leid, komm, lass uns die Hand reichen, ich entschuldige mich, es war Mist, was ich gesagt habe – weiß man dann auch nicht so ganz, ob wir das wirklich sind, oder ob Jesus durch uns spricht, der, von dem wir begreifen, was vergeben und aussöhnen heißt, weil: er tut das mit uns. Vergeben. Hingeben. Manchmal denkt man: ist ja nicht unsere Kraft, die es braucht, die doch noch junge Tante zu pflegen, die sich ohne Zutun so verletzt hat, dass sie sich kaum bewegen kann, bloß weil sie dachte, sie schafft alles für alle andere und dann ist sie einen Moment unter die Räder gekommen und jetzt braucht sie Pflege und manchmal ist es total zum Verzweifeln – und dann ist da doch wieder Kraft bei uns, sind ja nicht wir, die diese Kraft in sich haben. Reibst Du Dir die Augen, Gott, du bist da, dass das doch geht und welche Kraft. Und scheint nicht bloß aus uns, wenn es denn doch gelingt, dass da auch Streithähne abends über den Zaun noch quatschen und sagen: jetzt machen wir aber mal was in Sachen Klima und Schöpfung. Ist eine andere Kraft in uns, die das Leben will, wo wir es nicht hinkriegen. Augen reiben, Guten Morgen, Gott, wir singen und loben über diese Taten, laut und vernehmlich. Weil: kannst Du gar nicht anders als laut und vernehmlich, willst Du ja nicht für Dich behalten, soll ja eine Kirche für stehen, sichtbar, na klar. Mit langer Geschichte tut sie das nun – war auch mal für Zisterzienserinnen das zu Hause, ach, wird immer wieder umgebaut und neu gemacht, aber eines bleibt immer: laut für die Taten Gottes, für die Größte vor allem: vom Tode erweckt den Jesus und in ihm die Hoffnung für uns alle geschenkt, dass er im Sterben dabei ist und den Tod besiegt hat, so dass wir alle Zeit Gottes Nähe spüren. Das ist die größte Tat. Gelobt sei er, gelobt, gelobt. Singt das laut, ist doch Kantate und großes Fest hier in Morgengott Jüterbog. Wie sollte man das alles nicht laut sagen heute, wo es doch der Grund und alles Glück ist, oder, liebe Festgemeinde, lieber Herr Erzbischof?

Wie, nicht so laut soll ich das sagen? Könnten sich Leute drüber ärgern, meinen Sie? Dass ich so laut bin, ist doch längst säkular die Welt und die Stadt, nicht so laut also – und also nicht so viel Anspruch bitte, schon gar nicht gesellschaftlich und global und schöpfungstheologisch? Lieber ein bisschen leiser die Kirchen und die Glaubenden?

Da passt der zweite Teil des Predigttextes heute, den ich Ihnen noch vorenthalten habe (und in der Kantate kam er auch nicht vor), also hören wir, wie es weiter geht.

Und einige von den Wichtigen in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht! Er, also Jesus, antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen, so werden die Steine schreien.

Das, liebe Festgemeinde, ist schon eine sehr besondere Stelle im Evangelium, kommt so nicht zweimal vor. Gotteslob, auch laut, das gibt es öfter in der Bibel, zum Glück. Aber das hier. Man spürt es förmlich, wie es heißt: Ruhe bitte. Psst. Und? Tja, schien ja leider lange genug in der Geschichte so was wie erste Bürgerpflicht oder gar Christenpflicht. Nicht aufmucken. Abwiegeln. Um des lieben Friedens willen. Aber wir wissen, Ihr wisst viel besser: Frieden gibt es nur, wenn man nicht um des lieben Friedens willen seinen Mund hält. Das geht schief, weshalb gilt: Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien.

Auch dafür steht die Kirche, jede Kirche, gerade auch die hier in Jüterbog. Dass die Steine schreien, wenn man Menschen lieber still oder weg haben will. Ich war vor einer Woche im Balkan, Kroatien, Bosnien, auf der Balkanroute, im Flüchtlingscamp in Bihac nahe der Grenze zur EU, da habe ich gehört, wie die Menschen, die nach Leben suchen auf ihrer Flucht, wie die zurück gestoßen werden, mit Gewalt, jenseits aller Menschlichkeit Arme und Beine gebrochen und Hunde auf sie gehetzt und dann zurück. Und ich sage: egal, wie Ihr und wir und alle diese Herausforderungen der Migration und der Veränderung unserer Welt beantworten, egal, welchen Weg wir gehen, nur: Pushbacks und Unmenschlichkeit gegen Menschen kann nicht die Antwort eines Europas sein, dass menschlich, ja christlich sein will.

Kann nicht. Ich weiß, die Dinge sind komplex und niemand darf übersehen werden, schon gar nicht die, die hier leben und arbeiten, niemand darf übersehen werden, schlafmützig und mit Sand in den Augen womöglich, nur: den Wert eines Menschen und der Menschlichkeit, den legen nicht wir fest. Und wer diese Menschlichkeit, die wir brauchen, weil alle Menschen Gottes Ebenbilder sind, zum Verstummen bringen will, der wird jeden Morgen die Steine schreien hören. Die Steine dieser Kirche. Und, wie ich höre, auch die Menschen hier in Jüterbog, die bei „gemeinsam in Jüterbog“, und Pfarrerin Falk und Pfarrer Wiarda und Ihr, die ihr Haltung zeigt, da bin ich gewiss. Die Steine schreien und Ihr seid laut und die Kirchenmusik – mit Pauken und Trompeten und Pfeifen und Zimbeln, natürlich.

Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien – sagt Jesus und es ist der vorausgesagte Protest gegen den Tod und viel zu oft haben wir als Kirche diesen Protest versäumt, waren nicht da vor 80, vor 90 Jahren, nur wenige im Widerstand gegen das Morden der Nazis. Vor 35 Jahren war es anders – Dank Euch, das ist ein Vermächtnis. Die Türen offen, die Stimme laut, die Einladung zum Gespräch immer, die Botschaft klar: Gott loben für die Taten des Lebens – und deshalb auch laut dagegen gehen, wo das Leben gefesselt wird, die Demokratie ausgehöhlt und verächtlich gemacht, die Beteiligung von Menschen – allen, weil sie Menschen sind – beschnitten wird. Kein Fest, wo das verschwiegen wird, wie will man durch die Stadt ziehen, wenn Steine schreien.

Das erzählt uns heute das Evangelium, liebe Gemeinde, schön, dass wir mit Ihnen und Euch und dem Fest den ganzen Querschnitt durch die Zeiten vor uns haben, so spüren wir: Zum Ja des Glaubens gehört auch das Nein zu dem, was Menschen ihre Würde nimmt. Wir spüren: Nein dazu gehört dazu, sonst wäre das Ja belanglos und albern. Guten Morgen, Jüterbog, Ihr seid da längst, habt die Sinne geschärft, die Augen wach gerieben, kann nicht anders sein, sonst wird man nicht 850. Ihr wisst seit jeher die Dinge gut zu unterscheiden, hier war ja auch der Ablassprediger Tetzel im 16. Jahrhundert aktiv, der so kräftig dafür werben wollte, dass das Ja Gottes irgendwie auch verdient, ja womöglich: erkauft werden kann. Aber das gehört zu den klaren, harten, irgendwie einfachen Dingen des Lebens: Gott lässt sich nicht kaufen, Gottes Zuwendung auch nicht, na gute Nacht, Jüterbog, wie sollte das sein. Gottes Liebe ist geschenkt. Wie jeder Morgen, Gott, Jüterbog, wo wir aufwachen und Zeit ist. Geschenkt. Was für ein Glück, dass Du lebst und dir die Augen reiben kannst, so schön, moin, Gott und guten Tag. Und gutes Fest: 850 Jahre Weihe und Stadtrecht. Fest heißt ja immer, das Glück des Daseins zu feiern, das Glück, dass Ihr da seid. Das ist es doch und mehr geht fast nicht: Da sein und es gut machen miteinander. Die längst Wimpelreihe ever. Die schönsten Schals. Und Morgen, Gott, Morgen, Du, guck mal, wer neben dir sitzt, einmal zublinzeln, Augen kneifen, aufreißen. Frohes Fest und bitte nicht zu leise. Kann ruhig jeder hören. Und Gott auch. Na, tut er eh, denn er hat auch diesen Tag geschenkt. Und die nächsten – na, 850 Jahre? Ach, wir danken, laut und kräftig, heute, mit dem nächsten Lied, so dass wir uns hören. Könnt Euch ruhig die Ohren reiben, so laut mindestens. Gott segne diesen Ort, Euch alle. Amen