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Das "Wort des Bischofs" auf der Synodentagung

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Bischof Christian Stäblein bei der digitalen Synode. Foto: Matthias Kauffmann / EKBO
Bischof Christian Stäblein bei der digitalen Synode. Foto: Matthias Kauffmann / EKBO

Bischof Christian Stäblein am 22. Oktober 2020 auf der Tagung der Landessynode:

"Verehrte Präses, liebes Präsidium, hohe Synode, liebe Schwestern und Brüder, Anfang des Monats in Jüterbog, Liebfrauenkirche, Erntedanktag. Sieben junge Menschen stehen im großen Altarraum im Halbkreis, alle ordentlich mit Abstand, wie es sich gehört in dieser Zeit. Marie-Helene, Lukas, Roman, Jette, Zara, Marlene und Hanna sind da, weil sie sich konfirmieren lassen. Es ist eine fröhliche Konfirmation, bei der tollen Dialogpredigt von Pfarrer und Theologiestudentin wird viel gelacht, Zuversicht scheint durch die Gesichter. Irgendwie fällt Gottes Licht auf sie und uns. Konfirmation. Sie sagen „ja“, bekräftigen, was in ihrer Taufe von anderen, von Gott immer schon zugesagt ist.

I Konfirmation

Konfirmation in Zeiten von Corona ist für mich ein Sinnbild für das, worum es dieser Tage für uns alle geht. Und das nicht als erstes, weil verständlich und richtig so viele Konfirmationen im ersten Halbjahr verschoben werden mussten. Das gehört zur hohen Flexibilität unserer Gemeinden, sie stellen sich im Moment permanent auf wechselnde Herausforderungen ein. Konfirmation scheint mir ein Sinnbild, weil sich etwas in ihr ausdrückt, was wir, was unsere Gesellschaft in diesen Tagen braucht und was wir Christinnen und Christen in besonderer Weise einbringen können: Festigkeit, Beharrlichkeit, Wissen um den Grund, auf dem wir stehen, den wir uns nicht selbst machen können. Festigkeit im Vertrauen auf die Zusage, die uns gesagt ist: Gott begleitet mein, dein Leben. Es ist nicht versprochen, dass alles gut und glücklich ist in meinem Leben, aber dass Gott es begleitet, in guten wie in schweren, in gesunden wie in Tagen der Krankheit, das ist die Kraft, aus der wir schöpfen. Konfirmation: manchmal denke ich, wir bräuchten dieser Tage so eine gemeinsame Konfirmation, Festigkeit aus Vertrauen und Gelassenheit, wenn vor lauter Angst und Sorge der Ton um uns herum und oft genug auch in uns selbst ruppiger wird. Immer mehr scheint die Geduld zu schwinden und zwischen Leichtsinn und Übersorge Gemüt und manchmal sogar Verstand sich zu verlieren. Gelassenheit, Zutrauen und Vertrauen, dass Gott da ist, fast möchte ich meinen: kollektive Konfirmation – das ist es, woraus wir schöpfen und was wir in dieser Gesellschaft stark machen können.

II Wandeln und nicht müde werden

Wenn ich diesem Wort für die Synode in diesem besonderen Jahr 2020 einen Spruch – man könnte auch sagen: einen Konfirmationsspruch geben sollte –, so würde ich Jesaja 40 wählen, Worte aus dem großen Trostbuch, Worte vom Sonntag Quasimodogeniti, erster Sonntag nach Ostern, klassischer Konfirmationssonntag. Da heißt es bei Jesaja: Aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. Was für eine Zusage an Festigkeit und Kraft. Verehrte Synodale, ich habe diese Kraft immer wieder gespürt, wenn ich in diesen Wochen und Monaten in Gemeinden und Kirchenkreise gefahren bin. Ob das inspirierende Team im Kirchenkreis TempelhofSchöneberg mit lauter neuen Ideen für Kirche morgen, von podcast digital bis playing arts, ob die Dorfgemeinschaft in Brügge in der Prignitz, die erst die Kirche und jetzt die Orgel saniert haben und das ordentlich begangen, es sind diese Flügel der Menschen, die unsere Kirche schwingen lassen. Ich sage heute und ausdrücklich: Danke. Danke, dass Sie in Zeiten des Lockdown fest und ohne müde zu werden die Kirchen offen gehalten haben. Danke, dass Sie fest und ohne müde zu werden an den Betten der Kranken und Sterbenden waren und sind. Pauschal Danken ist stets richtig, wirkt allerdings schnell oberflächlich. So nenne ich stellvertretend die ehrenamtlichen und beruflichen Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Krankenhäusern und in den Heimen. Sie waren da. Danke. Unter Gottes Flügeln erwarten wir die Zukunft, auch da, wo das Leben hier zu Ende geht. In all dem ABER dieses Jahres tragen Sie andere. Danke. 

III ABER die auf den Herrn hoffen

Nun bin ich, verehrte Synodale, beim Aber, mit dem das biblische Wort aus Jesaja ja auch beginnt. Das ABER unserer Tage will ich nicht überspielen mit allzu schnellen, frommen Flügelschlägen. Drei Abers will ich aussprechen.

III 1 Relevanz

Erstens: Wie relevant ist die kirchliche Stimme, ist unsere Stimme noch? Die Frage ist nicht neu, aber die Krise – der Ausnahmezustand, das für uns alle Neue, in dem wir uns befinden – bringt die Frage mit neuer Wucht nach vorne. Ich halte dabei die Debatte, ob wir denn nun „systemrelevant“ – ich scheue das Wort schon deshalb, weil es nach systemerhaltend, nach Teil des Systems klingt, darum kann es ja kirchlich nicht gehen – oder „existenzrelevant“ sind – das sind wir selbstverständlich von unserem Anspruch her, sonst bräuchten wir ja vom Glauben nicht mehr reden -, wie auch immer: Diese Debatte um Begriffe scheint mir wenig fruchtbar. Entscheidend ist die Frage, ob das, worauf wir hoffen und wovon wir zu reden haben, ob das für die Menschen eben Relevanz hat. Nehme ich dieses Wort einen Moment wörtlich: hoch heben, erheben, lautet die Frage: ob das Wort Gottes die Menschen erreicht und hoch hebt – da sind sie wieder, die Flügel aus dem Jesaja-Wort. Die Antwort auf die Relevanzfrage oder auch -krise des Glaubens ist nicht in ein paar Minuten zu geben. Schon gar nicht will ich den Eindruck erwecken, nur kirchliche Deutungsmacht zu verteidigen oder fromme Soße über vieles zu kippen. Weder die kirchliche Stimme noch das Deutungsmuster des Glaubens werden heute so selbstverständlich in Gesellschaft und Medien wahrgenommen wie einst – und wer sich nun nicht in ein Früher träumen möchte, dass es so in der Regel doch nie gab, wird das akzeptieren. Säkularer, individueller, singularitätsbewusster sind wir, bin auch ich und bin das gern. Die Deutungsdebatten um das Corona-Virus haben unter diesem Signum der Zeit nicht selten eine Form, die wir gut aus Seelsorgegesprächen kennen: Nur die Antwort, die ich mir selber gebe, hat scheinbar Bestand, ist aber zugleich irgendwie ungenügend, macht mich nicht frei. Dass es der Glaube ist, der genau hier hindurch führt, dass es Gott ist, der diese ermüdenden Schleifen um uns selbst aufbricht, neue Kraft schenkt, das ist die Relevanz der befreienden Botschaft, die wir alle vielleicht selten mehr brauchten als jetzt. Sagen wir es hörbar genug?

III 2 Ressourcen

Zweites Aber: Aber die Ressourcen. Sie nehmen ab, die Freiburger Studie hat es uns letztes Jahr schon prognostiziert, die wirtschaftlichen Einbrüche in diesem Jahr – die ja für viele in der Gesellschaft mehr als hart und schwer sind – sie werden ihre Wirkung haben, auch für die Kirche. Ich bin dankbar, dass die Synode, die Präses, alle Ausschussvorsitzenden unter Leitung von Bruder Dreher zusammen mit den zuständigen Konsistorialen umgehend, beherzt Pläne entwickelt haben, wir werden das auf dieser Tagung unter der Überschrift „Priorisierung“ diskutieren. Es ist ein Gemeinschaftswerk, nichts „irgendwie von oben“. Ich bin überzeugt, wir stehen vor großen Umbrüchen, in der Struktur, ja in der Grundaufstellung kirchlichen Handelns. Wir können unsere Augen nicht davor verschließen, dass jedes Jahr viele Menschen der Institution den Rücken kehren. Das schmerzt uns. Und wird uns zur Aufgabe, die Kirche so zu bauen, dass sie Ort des Glaubens für viele, für die Menschen selbst sein kann. Das ist unsere Mission. Ich bin froh, dass wir die dritten Orte neben den ersten und zweiten – neben den Gemeinden und den Einrichtungen und Werken – etablieren. Ich bin froh über Aufbrüche unter der Überschrift „spirit and soul“ oder auch einen neuen Campus eigens für die Begleitung in Lebenswenden. Bei diesen Projekten dürfen wir nicht sparen. Jede gute Idee ist willkommen, denn wir brauchen einen Wettbewerb der Ideen, keinen der Spardepression. Wir brauchen einen Wettbewerb der Begeisterung und des sich gegenseitigen Festigens, wir brauchen keinen Wettbewerb der Doppelstrukturen, auf keiner Ebene, Frau Göring-Eckardt hat gerade zurecht darauf hingewiesen. Ein Wettbewerb der guten Ideen, dann wird uns auch nicht bange, irgendwann Kirche womöglich in ganz neuen Finanzierungsmodellen zu denken und zu leben. Die Sorge um geringere Kirchensteuer wird das Handeln in der Kraft des Evangeliums nicht begrenzen. Das erlaubt uns ehrliche und kritische Blicke auf Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten. Der Geist schafft Resonanz, lässt auffahren mit Flügeln wie Adler.

III 3 Die Anderen

Drittes Aber – es ist mir fast das Wichtigste: Die Fixierung auf Corona, so verständlich die Sorgen, ich erlebe es ja ständig an mir selber, sie darf uns als Kirche nicht nur um uns kreisen lassen. Wo, wenn nicht auf diesem festen Fundament der Zusage Gottes findet sich nicht auch der Blick für die, die am Rand scheinen, oft im Dunkeln, nicht im Licht – erst recht in den nächsten Monaten. Wo die Stühle nur noch einzeln und mit großem Abstand stehen und die Maske uns die Mimik nehmen muss, wird es schnell kalt und einsam. Kinder tragen schwer an den Pandemie-Maßnahmen, seien wir für sie da. Ja, das Evangelium löst den Blick, der nur auf uns selbst gerichtet ist, befreit vom Hamstern. Hoffnung kann man ohnehin nicht für sich anhäufeln, nur teilen. -- Hohe Synode, wieder und wieder haben wir in diesen Wochen Hilfe für die Menschen auf Lesbos gefordert. Und auch heute sage ich: Holt die Menschen da raus. Alle! Wir unterstützen die Länder, die Kommunen mit der Aktion „wir haben Platz“, wir bieten unsere Hilfe an. Ich schäme mich für ein Europa, das hier nicht recht vorwärts kommt. Und ja, unsere Solidarität ist bei den Frauen und Männern in Belarus, erst recht 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution. Unsere Gedanken sind bei den Menschen in Frankreich, die wieder von einem schrecklichen Attentat eingeholt worden sind, ein Mord an einem Lehrer, ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit. Unser Handeln und unser Herz gilt unseren jüdischen Geschwistern in diesem Land, in Halle, in Potsdam, in Berlin, überall. Sie müssen in Deutschland ohne Angst leben können, wer sie angreift, trifft uns alle. Wir werden nicht müde, nicht matt, Gottes Kraft ist es, die uns antreibt. Wir finden sie in denen, für die wir unsere Stimme erheben. Sie konfirmieren uns, sie machen kräftig im Glauben, sie, nicht wir selbst, sorgen dafür, dass wir Kirche mit anderen sind – ja: Kirche unter anderen werden und bleiben. Das halte ich für das Entscheidende: Wir wollen Kirche unter anderen sein!

IV Ostern, Weihnachten, Konfirmation

Ich sehe vor mir die sieben Jugendlichen in Liebfrauen, Jüterbog, Konfirmation. Sie stehen vor der Herausforderung, diese Schöpfung zu schützen, ihre Generation macht uns Beine, zum Glück. Wir brauchen viel mehr Klimaschutz, wir müssen endlich vorankommen. Manche Probe also für uns in Sachen Festigkeit. In der Tugend der Geduld und: einfach für andere da sein. Im Feiern des eigentümlichsten Ostern – äußerlich, aber auch Ostergottesdienste mit den größten Reichweiten der letzten Jahre, ja Jahrzehnte. Digital halt. Und nun Weihnachten. Wie wird es sein? Licht wird ins Dunkel kommen, Gottes Licht ist gekommen. Gottes Festigung ist ja keine Festung, sondern eine Krippe. Er macht uns stark, wo wir schwach sind, fest, wo wir wanken. Das Virus hat keinen Sinn. Aber wir entdecken neu unsere Aufgabe: menschlich werden. Gottes Licht ins Dunkel bringen. Worte. Gebete. Wenn es eine Aufgabe der Kirche in der Pandemie gibt, dann doch diese: laut beten. Sichtbar aller Orten von Gottes Worten reden, diese Flügel, die auffahren lassen wie Adler. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld!"