Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Inhalt springen
InstagramRSSPrint

Eröffnungsrede von Präses Harald Geywitz

Zur 7. Tagung der V. Landessynode in der St. Nikolaikirche Potsdam

Hohe Synode, verehrter Herr Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama, sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Schüle, liebe Geschwister,

[Jesaja 1, 10-18, Buß- und Bettag.]
15 Und wenn ihr auch eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und wenn ihr auch viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut. 16 Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen. Lasst ab vom Bösen, 17 lernt Gutes tun! Trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache!

Buß- und Bettag
Im Jesaja-Text, der zum Buß- und Bettag vorgesehen ist, geht der Herr hart mit der betend-feiernden Gemeinde ins Gericht. „lasst ab vom Bösen, lernt Gutes tun!“ wird denen um die Ohren gehauen, die festlich Gottesdienst feiern, räuchern und Opfer bringen, was der Herr alles gar nicht sehen will, sondern sie auffordert: „Trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache!“ 

In diesen Tagen lässt mich das an den von Dietrich Bonhoeffer überlieferten Aufschrei denken: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen!“. Ein Satz der zu der Zeit, als er entstand, von zu wenigen beherzigt wurde. Wie sieht es heute aus?

Israel
Unsere Landessynode tagt in einer Zeit, in der in einem ohnehin mörderischen Konflikt noch Schlimmeres geschah, als wir uns alle vorstellen können. Auf der Kreissynode Potsdam haben wir am vergangenen Wochenende beschlossen: „Die Kreissynode Potsdam ist zutiefst schockiert über den menschenverachtenden Terror, den die Terrororganisation Hamas über Menschen besonders in Israel und in der ganzen Welt gebracht hat.“ 

Es erschüttert mich immer noch, was am 7. Oktober geschah. Nicht nur die Brutalität, die Gräueltaten der Terroristen – mir bleibt auch im Gedächtnis die Freude über den Tod so vieler Menschen und die Entführung von weiteren Menschen. Freude auf den Straßen von Gaza, Opfer die zur Schau gestellt und verhöhnt wurden. Aber auch Freude auf den Straßen in Deutschland. Freude über den Tod und das Leiden von anderen Menschen – da sehen wir, wie nah der Abgrund des Zivilisationsbruchs ist.

Wir erleben international, aber auch in unserem Land, unverhohlenen Antisemitismus. Dem treten wir als Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz entschieden und konkret entgegen. Wir wissen, dass auch der moderne Antisemitismus Wurzeln in christlichen Traditionen hat, und verurteilen antisemitische und antijudaistische Traditionen im Christentum als Irrwege und es gibt keinen Zweifel: jede Form von Antisemitismus und Judenfeindschaft ist Sünde gegen den Heiligen Geist und hat in unseren Gemeinden und unseren Theologien keinen Platz.

Ich bin dankbar für viele Zeichen der Solidarität mit Jüdinnen und Juden, die von unseren Gemeinden gesetzt wurden. Ich wünsche mir noch mehr und vor allem wünsche ich uns einen langen Atem, den werden wir brauchen. Wir dürfen uns nicht beirren lassen, selbst wenn es zu Bedrohungen von einem Pfarrhaus wie in Fürstenwalde führt. Im Gebet haben wir uns verbunden mit der dortigen Gemeinde und Pfarrer Kevin Jessa, die zur selben Stunde unseres Gottesdienstes ein Friedensgebet in Fürstenwalde mit denselben Worten gebetet haben.

Auf dem Weg zu einer Kirche ohne Rassismus
Nun haben wir eben Gottesdienst gefeiert und gesungen, wofür ich allen danke, die diesen besonderen Auftakt unserer Synodaltagung geschaffen haben. Ein Gottesdienst, der schön war, feierlich und doch die Augen vor dem Bösen, vor dem Hass, der unseren Seelen schadet, nicht verschließt. Und der uns auf diese Weise hoffentlich „stark zur Tat macht“, wie Jochen Klepper es 1938 in seinem Mittagslied dichtete: „Die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat.“

Die Beschäftigung mit Rassismus hält uns einen Spiegel vor und sagt uns: beschäftigt Euch mit dem Thema. Schaut mal ganz genau hin und tut nicht so, als wäre das etwas, das uns als „die Guten“ nichts anginge. Oder etwas biblischer formuliert: den Balken im eigenen Auge sollte man nicht übersehen, statt nur die Splitter in anderen Augen zu kritisieren. In diesem Sinne geht es um einen kritischen Blick, einen kritischen Blick auf uns selbst, als Kirche und als Kirche, die einen Auftrag in unserer Gesellschaft hat. Deshalb ist es gut und richtig, sich auf den Weg zu machen hin zu einer Kirche ohne Rassismus, die dafür auch in der Welt eintritt. Auch dann, wenn wir wissen, es ist ein langer Weg und wir kommen, zumindest in dieser unerlösten Welt, nicht an sein Ziel. Und wir sind dabei angewiesen auf die Hilfe der Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Denn ihre Perspektive ist für uns im wahrsten Sinne des Wortes wegweisend.

Im Herbst 2021 zitierte ich in Berlin-Wartenberg zur Eröffnung unserer Synodaltagung die damals frisch gekürte Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe. Sie gibt uns einen Gedanken für diesen Weg mit und sagte in der Frankfurter Paulskirche: „Es wird keine Wunderheilungen für unsere gedanklichen Fehler geben. Was wir tun können, ist, unsere Denkmuster zu verändern, Wort für Wort, bewusst und beständig, und daran festzuhalten, bis wir Ergebnisse sehen in der Weise, wie wir Dinge tun und welche Folgen sich daraus ergeben.“ Veränderung ist möglich, so verstehe ich es. Machen wir uns gemeinsam auf den Weg.

Konfliktfeld. Wohin geht die Kirche?
Wir tagen in der Woche nach der EKD-Synode, auf der auch die Kirchenmitgliedschaftsstudie (kurz: KMU) vorgestellt wurde. Nüchtern betrachtet verlieren wir Vertrauen und Mitglieder, schneller als gedacht. Manche Erkenntnisse sind altbekannt: die 14-29-jährigen gehen von der Stange. Die Verbundenheit der verbliebenen Mitglieder gerade im Osten unserer Republik ist signifikant höher als im Westen und viele getaufte Eltern sind nicht in der Lage ihren Kindern etwas vom christlichen Glauben, seinen Ritualen und Festen mit auf den Weg zu geben. Neu ist die beschleunigte Abkehr von Religiosität, mehr Abkehr und weniger Indifferenz ist spürbar. 

Nicht so viel Neues und doch ein Konfliktfeld. Während akademisch wunderbar über Individualisierungs- und Säkularisierungstheorie gestritten werden kann, geht der Trend nach unten weiter. Ich selbst kann die ewig gleiche Reaktion auf „KMUs“ und Austrittszahlen fast schon nicht mehr hören. Immer wird geredet von Schmerz und schmerzhaften Entwicklungen. Aber hilft das den jungen Familien? Wer besucht sie beispielsweise und bringt Botschaften und praktische Unterstützung mit? Wie kommen wir tatsächlich ins Handeln? Kommen unsere Hände beim Beten zur Ruhe und werden dann stark zur Tat? Ich erlebe das immer wieder, wenn ich unterwegs in unserer Landeskirche bin. Das gibt es alles und macht mir Hoffnung. Aber nicht genug und auch daran müssen wir etwas ändern, damit wir unsere frohe Botschaft weitergeben können.

Soziologen erklären gerne die Welt und beschreiben sie mit Worten, die vielleicht erst einmal fremd erscheinen. Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser haben jüngst mit „Triggerpunkte – Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft“ unsere Republik vermessen und versucht zu erklären. Sie beschreiben darin „Arenen der Ungleichheitskonflikte“ und machen vier Ungleichheiten aus 1) Unten-Oben, 2) Innen-Außen, 3) Wir-Sie und Heute-Morgen. Interessante Befunde finden sich dort zuhauf, aber auch eher erwartbar: während beispielsweise 69 Prozent in den Städten Windräder begrüßen, sind es in ländlichen Räumen nur 48 Prozent. 

Die Polarisierung, so viel sei verraten, ist geringer als gemeinhin angenommen wird und auch differenzierter. Doch zum Schluss wird es noch spannender, denn es geht um die Frage, wie Konflikte befriedet werden können und wie sie dafür produktiv bearbeitet werden sollten. Dass dafür dauerhaft tragfähige Kompromisse her müssen, ist wenig überraschend. Doch wer ist dazu in der Lage, moralisch für alle plausible Kompromisse zu erarbeiten? Politik spielt eine Rolle, aber eben auch „die Konfliktparteien, Medien, die Kommunen, die Zivilgesellschaft und das Vereinswesen.“ Ich ordne uns als evangelische Kirche selbstbewusst in Zivilgesellschaft und das Vereinswesen ein und bin fest davon überzeugt, dass wir eine Rolle spielen müssen in diesen Konfliktarenen. Wir sind Teil dessen, was Mau et al das „Miteinander der Unterschiedlichen“ nennen, das darüber entscheidet, ob aus Unterschiedlichkeit Ungleichheit oder sogar Ungleichwertigkeit hervorgeht. Für Integration durch Konflikt sind zivilgesellschaftliche Akteure unverzichtbar. Und unser Auftrag, auch am innergesellschaftlichen Frieden mitzuwirken, sollte uns in diesem Sinne Verpflichtung sein. Gerade auch im Hinblick auf das bevorstehende Wahljahr 2024. Machen wir uns als „Gemeinschaft der Unterschiedlichen“ auf den Weg, das Miteinander als unsere Mission zu befördern.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und erkläre hiermit die 7. Tagung der V. Landessynode für eröffnet.