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Predigt von Bischof Christian Stäblein an Ostersonntag

"Gott ist da, wenn es dunkel ist, mit seinem Licht."

Liebe Gemeinde,

seit alters her darf man die Osterpredigt mit einem Witzlein beginnen – und es soll auch gar nicht schaden, wenn man die kurze Geschichte schon kennt, von Zeit zu Zeit, Sie wissen schon, sehen wir den Alten gern, das gilt auch fürs Schmunzeln. Also: Sucht einer abends unter der Laterne intensiv mit den Händen auf dem Boden. Tastet im Lichtkegel unter dem Pfahl alles Zentimeter für Zentimeter ab. Kommt einer dazu, fragt: kann ich helfen? Der Suchende: gern, ich habe meinen Schlüssel verloren. Der dazu gekommen geht ebenfalls in die Knie, sucht mit rund um den Pfahl im Lichtkegel. Erfolglos. Fragt er schließlich: Bist Du Dir sicher, dass es hier war? Der andere: Nee, im Gegenteil, das war da drüben, wo es dunkel ist. Aber hier, finde ich, ist es heller zum Suchen.

Sollten Sie jetzt tatsächlich einen Moment die Lippen nach anheben oder in sich hinein lächeln, können Sie auch gleich einen Augenblick erinnern, wie es so beim Lachen ist – wann auch immer Sie das das letzte Mal getan haben, weiß man oft gar nicht, denn: Lachen hebt die Zeit auf. Man ist, so hat es mal ein großer Leibphilosoph beschrieben, man ist für eine kurze Zeit wie im Abschwung, wie in einer Welle vom Reck, Lachen ist ein kleiner Sturz in die Tiefe von Raum und Zeit, dann aber geht es leibtechnisch wieder herauf und man sitzt gerade, irgendwie etwas stabiler, re-fresht, ein bisschen wie neugeboren. Lachen macht – wie noch so manches andere, Singen zum Beispiel – für diesen Augenblick die Zeit egal. Oder auch durchlässig für alles, was war und ist und sein wird. Die Welt ist mir ein Lachen, hat Paul Gerhardt in einem Osterlied so schön gedichtet, die Welt ist mir ein Lachen mit ihrem großen Zorn. Zeit ist dabei aufgehoben – das übrigens ist ein Markenzeichen von Ostern, weshalb der bisweilen auch recht gezwungene Witz einst zum Gottesdienst gehörte, um – koste es was es wolle – ein Osterlachen zu provozieren. Das braucht es schon lange nicht mehr. Aber die Erinnerung, wie sehr die Zeit hinein gehoben ist in die Ewigkeit Gottes, das tut gut.

Warum ist sie aufgehoben? Na klar: weil der Tod besiegt, weil das Ende vorweggenommen, weil wir nun und ganz und gar vom Ende, von dem, was kommt, sehen und denken können. Wie Gott alles gut machen wird, schon jetzt und dann – ok, das ist eine Theologenfloskel: schon jetzt und noch nicht, aber dann – stimmt aber trotzdem, heute ja nun wirklich. Wo wir Zeit in der Länge sehen, fortschreitend, sieht Gott sie gewissermaßen in der Breite, alles auf einmal. Die Toten schon bei ihm. Wir noch hier, unter der Laterne, immer mal wieder suchend. Oft genug lieber da, wo es hell ist, ist ja auch praktischer. Übertragen hieße das etwa: wir suchen meist lieber in der hellen Natur statt im Evangelium, das Aufblühen, die Butterblumen und Osterglocken zwischen den Mittelstreifen in der Stadt, die Jungtiere draußen, wenn Sie rausfahren nach Brandenburg, ach, die Erneuerungsfähigkeit des Lebens, die Fruchtbarkeit allen Seins, die Osterhasen lassen grüßen und die Küken und die heute so vielbeschworene Resilienzfähigkeit des Menschen, all das liegt im Hellen und lässt sich dort weit besser suchen –  damit wir uns nicht missverstehen: Ist auch alles schön und sehr zu schätzen. Aber tröstet es? Ist es der Schlüssel zum Leben? Die beschriebenen Kreisläufe der Natur haben ja doch eine Richtung nur: Vom Leben zum Tod. Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei, wissen Sie noch, wie es weiter ging? Jawoll mein Schatz, es ist vorbei. Stephan Remmlers exakte Naturbeschreibung menschlichen Lebens, passend auch für Osterhasen. Nur: bei Gott läuft die Richtung eben anders herum. Vom Tod ins Leben. Das feiern wir heute. Und um das zu finden, würde ich nicht so viel im Supermarktsortiment Osterregal rumsuchen, eher da, wo das Licht des Lebens scheint, Markenzeichen Gottes: mitten im Dunkeln zu sein, eben das hell zu machen. --- Weshalb wir heute von Hanna hören. Mitten aus der Geschichte Israels. Das mag manchen wundern, wieso jetzt Hanna, wieso nicht einfach Jesu Auferstehung. Aber das genau macht ja diesen Gott aus: Dass er immer schon so war, wie er sich in Jesus gezeigt hat, dass er immer schon eben der war, der im Dunkeln wacht, der sein Volk in die Freiheit geführt hat – Exodus, und der eben so ist, wie es Hanna – die Mutter des großen Propheten und Seelsorgers Davids, nämlich Samuel – wie sie es ein Jahrtausend vor Jesu Geburt bezeugt. Ein Lied der Freude, des Glücks, das wir hören – denn, das ist der Hintergrund: Hanna hatte Kinder gewollt, in ihrer Zeit war es unendlich schwer mit dem Leid, womöglich kinderlos zu bleiben. Und dann, als sie die Hoffnung schon aufgegeben, da ist es doch unerwartet so und so singt Hanna vor Freude, man könnte sagen: sie singt zeitlos, oder besser: so, dass sich die Zeiten aufheben, wir hören in Hanna ja, was später auch die junge Jüdin Miriam singt, also wir nennen sie Maria, Mutter Jesu, ach ja, Maria-Miriam und Hanna gehören zusammen. Es sind ja, das wollen wir ruhig unterstreichen, es sind die Frauen, die als erstes vom Wunder des Lebens und der Auferstehung zeugen, sie sind am Grab Jesu und sie sind die, die davon künden, wie Gott bleibt. Also nun: Hannas Lobgesang aus dem 1. Samuelbuch, 2. Kapitel, die Verse sind vor Ihnen auf dem Blatt, ich lese: 

Und Hanna betete und sprach: Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN, mein Horn ist erhöht in dem HERRN. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils. Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist. Lasst euer großes Rühmen und Trotzen, freches Reden gehe nicht aus eurem Munde; denn der HERR ist ein Gott, der es merkt, und von ihm werden Taten gewogen. Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke. Die da satt waren, müssen um Brot dienen, und die Hunger litten, hungert nicht mehr. Die Unfruchtbare hat sieben geboren, und die viele Kinder hatte, welkt dahin. Der HERR tötet und macht lebendig, führt ins Totenreich und wieder herauf. Der HERR macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht. Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche, dass er ihn setze unter die Fürsten und den Thron der Ehre erben lasse.      Toll, oder? Und wohl 500 oder 800 oder 1000 Jahre vor Jesu Geburt geschrieben. Führt ins Totenreich und wieder hinauf. Tötet und macht lebendig. Ich sage salopp: Jüdinnen und Juden wussten das, wissen das, wir brauchten dafür Christus, um es zu erkennen. Nun, so oder so verbindet es: uns Christen mit Juden. Und die Zeiten, für die das gilt. Es sind eben alle Zeiten.

Jetzt mag es Ihnen irgendwie reichen, weil sich womöglich der Eindruck aufdrängt, ich halte mich insgesamt doch lieber unter der hellen Laterne auf, also im schönsten Lebens- und Osterlicht statt da rüber ins Dunkle zu gehen. In der Tat: das dürfen wir gerade heute nicht, das Dunkle übergehen, das ja da ist, auch an Ostern, auch danach. Um das Dunkle und Schwere in unserer Welt zu finden, müssen wir im Moment ja nicht lange suchen – es sind in vielem furchtbare Zeiten, gewaltvoll, gewalttätig, mancher Ortsname reicht und alle Bilder und Gefühle sind da. Awdijiwka, ein Vorort von Donezk, 15km vor der Stadt, wie viele Menschenleiber übersäen dort die Schlachtfelder, zwei Jahre nach dem Beginn des furchtbaren Angriffskrieges Putins ist die Stadt in Trümmer gelegt, die Menschen vertrieben und ermordet. Awdijiwka hat die Hölle erlebt, den Gang durch das Totenreich. Oder Re’im, das ist der Ort, an dem das Festival Supernova stattfand, unweit des Gazastreifens im Kernland Israels, heute ist es der Ort eines der schauerlichsten Verbrechen der jüngeren Zeit, der Ort, an dem purer Hass die Erde zum Erliegen gebracht hat. Und in der Folge nun die Bilder in Gaza, die riesigen Trümmerfelder, die schrecklich vielen Toten, die Kinder und zugleich die Menschen in den Tunneln, die immer noch festgehalten werden. Das Dunkle steht uns vor Augen und wir fragen: wer hat den Schlüssel zum Frieden? Wo ist der Schlüssel zum Leben?

Vielleicht in den anderen Geschichten, die man sich auch erzählt, so spärlich gesät, so wichtig sind sie: Yigal Yehoschua, ein Israeli aus Lod, erlag den Steinen, die ihn trafen, am 17. Mai vor drei Jahren, ein Mob hatte ihn angegriffen, ein Stein traf ihn am Kopf. Seine Niere ließ seine Familie spenden, sie arbeitet jetzt im Körper von Randa Aweis, einer Araberin aus der Altstadt Jerusalems, die schon sieben Jahre auf eine lebensrettende Niere gewartet hatte. Und auch die umgekehrte Geschichte gibt es, schon lange, sogar verfilmt, das Herz von Jenin, die Geschichte von Achmed Khatib, der versehentlich von Soldaten angeschossen wird und als die Ärzte vergeblich um sein Leben kämpfen, gibt am Ende der Vater, ein Palästinenser, die Organe zur Spende frei. Nun schlägt das Herz von Achmed in Isaaks Brust, einem Israeli.

Berührende Geschichten, Auferstehungsgeschichten, hart auch, natürlich, in beiden steckt Dunkel und Tod, steckt erst Feindschaft, dann Leben. Wir sollten diese Geschichten erzählen, glaube ich, immer und immer wieder, weil sie Hoffnung geben. Allerdings, ich will deutlich sagen: ich bin kein Freund davon, so zu tun, als könnte der Prediger im Dom schwerste Konflikte gut 4000km von hier mal so eben lösen, das wäre albern und hochmütig, das erlebe ich viel zu oft. Wohl aber bin ich überzeugt, dass wir dazu da sind, im Dunklen die hellen Geschichten zu entdecken und immer wieder zu erzählen. Mindestens das. Geschichten von Menschen, die wie Hanna rufen könnten: Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn, mein Horn – also: meine Kraft ist erhöht in Gott. Es ist die Kraft, die da ist, wenn niemand mehr zu hoffen wagt. Die Schwachen sind umgürtet mit Stärke, singt Hanna. Das ist Ostern. -- Möchte man fast weinen – ach ja, weinen ist auch so etwas, vielleicht fast noch mehr als Lachen, was die Zeiten aufhebt, wir zerfließen da ja für eine kleine Weile, können nicht mehr aufhalten, dass wir uns selbst fallen lassen, in die Tränen hinein, in den Schmerz, aber auch in das Glück, dann feuchten sich die Augen bisweilen, wenn etwas geworden ist, woran wir nicht mehr glaubten. Ich bin mir ziemlich sicher, Hanna hat vor Glück geweint, als sie ihren kleinen Samuel in den Händen hatte. Und ich sage das, obwohl ich nichts von zu viel Psychologisierung biblischer Figuren halte. Meist projezieren wir da nur die Gefühle hinein, die uns heute wichtig sind. Ach, an Ostern darf das mal sein, Zeitsprünge, da helfen Emotionen bei, auch im Glauben. War doch immer schon da dieser Gott, der lebendig macht, der aus dem Totenreich führt. War doch immer schon da. Und wird es sein.

Wenn die Zeit so aufgehoben ist, sind auch alle zusammen, stelle ich mir vor. Die Lebenden. Die Toten. Die Werdenden. Die frühere Konfirmandin, etwa, die fünf Jahre nach der Konfirmation an einem Tumor starb, nach längerem Ringen mit ihm, ich traf zuletzt ihren Vater wieder, wir gingen ans Grab, da kamen mir die Tränen als wäre es gestern gewesen, was schon über ein Jahrzehnt her ist. Und in den Tränen waren wir uns sicher, sie ist bei Gott und ich erinnerte die Sonne, die große Sonne, die auf einer Decke abgebildet war, die über ihrem Sarg lag. Gottes Licht, nirgendwo anders bitte suchen. Die Lebenden, die Toten, die Werdenden. Schwester Christa ist auch da, sie war gar keine Pflegeschwester offiziell, aber kümmerte sich immer um alle auf der Demenzstation, alle nannten sie deshalb Schwester Christa, weiße, dünne Haare, energische Stimme, Gott wird sich umgeguckt haben, als sie kam, mit einem Mal wusste sie ja, jetzt geht es ans Sterben. Na und? Na dann, komm, Gott, hat sie gesagt.

Jetzt lachen Sie womöglich langsam, weil: darf der eigentlich so reden, ich, als Bischof, so leicht daher vom Tod, so naiv, so schlicht – jeht det denn? Ach komm, kommen se mal mit, hat der Herr Sawallisch oft gesagt, nicht weit von hier, ganz freundlich und zugleich direkt, wenn man eine Frage hatte zur Kirche oder zu was auch immer. Kommen se mal mit -  und dann ging man hinter her und begriff mehr als nur Kirche. Nun ist er, der immer da war, der wunderbar liebenswerte, fürsorgliche Custos, Wächter, also Küster da drüben in St Marien, jetzt ist der plötzlich gestorben, als hätte der Tod, nein der Herrgott gesagt: kommen se mal mit. Und ich hadere noch mit diesem Gott, warum denn, hätte er nicht noch … - Nun, so singt Hanna ja: Der tot macht und wieder lebendig. Und also sind wir da alle zusammen, die Lebenden, die Toten, die Werdenden. Lachen Sie meinethalben über so kindliche Bilder von einem Bischof, der es auch nicht besser weiß als alle, aber eines ist gewiss: Gott ist da, wenn es dunkel ist, mit seinem Licht. Und nur da, liebe Ostergemeinde, solltet Ihr den Schlüssel zum Leben suchen. In seinem Licht wird es und ist es ganz anders. Und wenn Ihr den Schlüssel dort gar nicht verloren habt, macht nichts. So lernt man sich beim Suchen kennen, Ostergemeinschaft sozusagen. Schlüssel suchend, Eier findend. Ach, sowieso findet sich bei Gott viel mehr als bloß das Verlorene. Viel mehr: das ganze, wahre Leben. Lachen Sie ruhig, ist schon ok. So fängt es ja an unser Leben. Frohe Ostern. Amen.