Antoine: Viele kleine Gemeinden leiden unter hohem Verwaltungsaufwand

08.11.2021

Berlin (epd). In der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz könnten kleine Kirchengemeinden mit weniger als 300 Mitgliedern bald den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verlieren. Dagegen gibt es teils heftige Proteste. Die Kirchenleitung verteidigt die Pläne. Die Aufgabe des Status bringe auch Vorteile, sagte der Chefjurist der Landeskirche, Konsistorialpräsident Jörg Antoine, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Was ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und was für Pflichten und Probleme bringt das aus Ihrer Sicht für kleine Kirchengemeinden mit sich?

Jörg Antoine: Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist eine juristische Person und unterliegt entsprechendem staatlichem Recht. Kirchengemeinden sind nicht naturgemäß zugleich Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies gibt es erst seit 1918 und hat etwas mit seinerzeit zweckmäßiger Organisationsform von kirchlichen Strukturen zu tun. Die staatlichen Anforderungen an diese Körperschaften sind in den vergangenen Jahrzehnten erheblich angewachsen. Ab 2022/23 kommt der große Brocken Umsatzsteuerrecht mit Auskunftspflicht hinsichtlich der Umsätze, zu denen steuerrechtlich auch Personaleinnahmen und -ausgaben gehören, dazu. Schon länger bestehen hier Verkehrssicherungspflichten, dokumentierte Bau- und Wegebegehungen, E-Check der Elektrik in den Gebäuden und beim Inventar.
Für jede kleine Körperschaft verdoppeln wir die Arbeit. Es muss noch ein Haushaltsplan geschrieben werden, es muss noch ein IT-Sicherheitskonzept her, es muss ein Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt vorliegen. Dies führt alles dazu, dass wir uns immer mehr mit uns selbst beschäftigen, aber nicht das Evangelium verkünden und nicht die Gemeindearbeit machen, die wir uns wünschen, weil wir dafür keine Kraft und Zeit mehr haben.
Kirchengemeinden haben eine eigene geistliche, gemeindliche Kompetenz in ihrem Auftrag. Sie haben darüber hinaus eine Menge rechtliche Aufgaben und auch Pflichten, die sie teilen können, wo es eine Erleichterung ist.

epd: Gibt es in der Landeskirche Gemeinden, die diese Verpflichtungen nicht einhalten beziehungsweise nicht einhalten können?

Antoine: Ja, es gibt Kirchengemeinden, die diese Verpflichtungen nicht einhalten können und beispielsweise keinen Gemeindekirchenrat mehr haben. Es geht jedoch nicht um einen Defizitblick in die Gemeinden hinein. Viele Ehrenamtliche leisten sehr viele verwaltende, haushalterische Aufgaben in ihren leitenden Ämtern, die vor etlichen Jahren vielleicht noch Berufliche geleistet haben. Die Zahl der Beruflichen, die aus Kirchensteuermitteln finanziert werden, geht jedoch zurück. Zusätzlich kommen viele Rechtsaufgaben hinzu. Das bringe viele Kirchengemeinden an den Rand der Belastungsgrenzen, haben ehrenamtlich Engagierte immer wieder geäußert. Mehr und mehr Dinge werden geregelt und müssen eingehalten werden.
Wo der Veränderungsdruck zu groß wurde, Gemeindekirchenräte nicht mehr aufgestellt werden konnten, hat man angefangen sich auf den Weg zu machen zu einer gemeinsamen Gemeindeform, ohne dass die Kirche aus dem Dorf verschwunden wäre. Denn die Kirche ist ja nicht dadurch da, dass ein Gemeindekirchenrat arbeitet und Haushaltsfragen entscheidet. Die Kirche bleibt ja im Dorf, wo gemeindliches, insbesondere gottesdienstliches Leben miteinander gestaltet wird.

epd: Die Kirchenleitung argumentiert, bereits jetzt würden beim Thema kleine Gemeinden Ressourcen für nicht zukunftsfähige Strukturen verbraucht. Welche Ressourcen stellen derzeit andere für die kleinen Gemeinden zur Verfügung?

Antoine: Der Grundansatz der Landeskirche ist solidarisch: Die Berliner Kirchenkreise mit ihren Kirchengemeinden unterstützen schon jetzt, mit wenigen Ausnahmen des sogenannten Berliner Speckgürtels, die ländlichen Kirchenkreise. Solidarisch gehen die Beitragsmittel wie die Kirchensteuer Zwei zu Eins in die Landgemeinden. Auch die Pfarrstellenausstattung ist solidarisch organisiert. Bei verringerten finanziellen Ressourcen und zugleich einem erhöhten administrativen Aufwand als Muss für die juristischen Personen verringert sich das Potenzial für die inhaltliche kirchliche Arbeit.
Ein Beispiel: Für jede einzelne Körperschaft des öffentlichen Rechts muss eine Umsatzsteuererklärung abgegeben werden beziehungsweise regelmäßig die Befreiung auf Nachweis beantragt und belegt werden. Dabei müssen die Stichtage eingehalten werden. Zudem müssen aus steuerrechtlichen Gründen alle bestehenden gemeinsamen Haushalte, das betrifft vorwiegend Kleinstgemeinden, zum 31. Dezember 2022 wieder voneinander gelöst werden. Alles das und mehr bindet berufliche Arbeitskraft. Die Kosten für die Gebäudeunterhaltung und -bedarfsplanung kommen noch on top dazu.

epd: Gibt es noch andere Gründe, die gegen sehr kleine, quasi familiäre Gemeinden sprechen?

Antoine: Nichts spricht gegen kleine Kirchengemeinden, wenn sie in den Ort ausstrahlen, ihrem Auftrag zu Seelsorge, Verkündigung und Bildung, zum Leben zu helfen, nachkommen, dieses mit Leben füllen. Nur in der Kopplung als juristische Person sind sie nicht zwingend sinnvoll.
Ganz zentral für das Gemeindestrukturgesetz und das Mindestmitgliederzahlgesetz ist, dass zwischen Kirchengemeinde im Sinne einer Körperschaft und Gemeinde als geistlicher Größe unterschieden wird. Das Gemeindestrukturgesetz bietet gerade Möglichkeiten, wie all das, was die Gemeinde ausmacht, erhalten bleiben kann, zum Beispiel als Ortskirche in einer Gesamtkirchengemeinde. Identifikation mit der Sorge für Leib und Seele der Menschen am Ort, Identifikation mit dem Ort und der dortigen Kirche, das macht Gemeinde aus. Aber diese Identifikation geht für viele Gemeinden nicht allein in der Sorge für die verwaltenden Aufgaben auf. Im Gegenteil.

epd: Es gibt heftige Proteste gegen die Pläne für Mindestgrößen. An welchen Kritikpunkten ist aus Ihrer Sicht etwas dran, an welchen nicht?

Antoine: Es geht doch bei allen Entscheidungen, sei es bei den Finanzen oder dem Eigentum, das eine Gemeinde hat, immer um die Erfüllung des kirchlichen Auftrags: die Kommunikation des Evangeliums. Den Haushaltsplan stellt formal das Leitungsgremium der Körperschaft auf und beschließt diesen. Das Gleiche gilt für den formalen Vertragsabschluss von Pachtverträgen. Satzungen können die Beteiligung der örtlichen Kirchengemeinde regeln. Ein Blick in die aufgestellten Satzungen von Gesamtkirchengemeinden zeigt, wie es gehen kann. In den Haushalten können Mittel eingestellt sein für die örtlichen Kirchengemeinden ohne Körperschaftsstatus. Aber auch vereinigte Kirchengemeinden haben dies, beispielsweise in Golzow-Planebruch, in einer Geschäftsordnung für sich gut geregelt.

epd: Was für Rechte verlieren kleine Gemeinden, die sich zu größeren Verbünden zusammenschließen?

Antoine: Sie geben die juristische Rechtsfähigkeit und die alleinige formale Entscheidungsmacht ab. Sie sind zugleich eingebunden in die regionale Kommunikation, können durch verabredete Mandate im Leitungsgremium Gemeindekirchenrat mitberaten und mitentscheiden.

epd: Es gibt auch die Befürchtung, Pfarrstellen würden nicht mehr besetzt, wenn die geplanten Mindestgrößen nicht eingehalten werden. Wie sieht das aus?

Antoine: Schon jetzt entscheiden doch Pfarrpersonen, in welchen Strukturen sie arbeiten wollen. Wo sie sich auf fünf, acht oder zehn verschiedene Körperschaften einstellen müssen, sinkt meist die Bereitschaft. Das Mindestmitgliedergesetz an sich hat da erst mal keine Auswirkung mit Blick auf Stellenreduktion. Diese kommt ja zustande durch weniger werdende Kirchensteuermittel.

epd: Was für Folgen hätte das Gesetz für Pfarrerinnen und Pfarrer?

Antoine: Auf jeden Fall reduziert sich die Anzahl der Gremien, der Gemeindekirchenräte mit entsprechender formaler Struktur wie Sitzungsintervallen, Einladungen, Protokollen.

epd: Wie wird in anderen Landeskirchen mit dem Thema umgegangen?

Antoine: Andere Landeskirchen habe diese enorme Kleinteiligkeit nicht. Wir haben sie ja auch nur in bestimmten Regionen der Landeskirche. In Sachsen war einmal von 4.000 Gemeindegliedern pro Gemeinde im ländlichen Bereich ausgegangen worden. Die meisten Landeskirchen haben schon lange, seit den 90er Jahren, viel höhere Mindestmitgliederzahlen oder steuern die Mindestgröße über die Finanzgesetze. In dieser Hinsicht ist die Landkarte bunt.

epd-Gespräch: Yvonne Jennerjahn

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