Der Blick durchs Schlüsselloch: Die Weihnachtspredigt des Bischofs

24.12.2019

Bischof Christian Stäbleins Predigt in der Christvesper am 24. Dezember 2019 um 14 Uhr im Berliner Dom. Es gilt das gesprochene Wort.

"Weihnachten das Schlüsselloch zu dem, wie Gott uns und diese Welt gedacht hat." (Christian Stäblein). Foto: pixabay"Weihnachten das Schlüsselloch zu dem, wie Gott uns und diese Welt gedacht hat." (Christian Stäblein). Foto: pixabay

Liebe Gemeinde,

die Haltung, die sich mit diesem Abend verbindet, ja, die mir mit der heiligen Nacht in den Sinn kommt, ist: leicht gebückt und ein Auge geschickt zugekniffen. Das andere Auge schaut durchs Schlüsselloch und versucht etwas von dem zu erhaschen, was sich dahinter abspielt. Dahinter, das ist womöglich nach alter Sitte das Weihnachtszimmer, der Raum, in dem alles umgeräumt ist, weil der Baum ja rein musste und jetzt wurden noch die Geschenke drappiert, für jeden ein kleiner Stapel, die Krippe zurecht gerückt, alle müssen vor die Tür dafür. Die Riffelglasscheibe, also wo das obere Viereck der Tür sonst etwas durchschimmern lässt, ist mit Papier zugeklebt. So bleibt nur das Schlüsselloch zum Durchschauen, davor drängen sich die Kinder und wollen den Blick in die Verwandlung dieses Abends vorweg erhaschen. Gekrümmter Rücken, leichtes Drängeln, zugekniffenes Auge, dabei einfach glücklich, gespannt, voller Erwartung auf das große Ganze.

Das sind die, das sind wir Erwachsenen ja auch. Gespannt, voller Erwartung. Weihnachten, dieser Abend so eine Art Schlüsselloch auf das große Ganze?! Das ist die Hoffnung dieser Nacht, die sich mit so vielen Gesten und Bewegungen verbindet, ja in denen das sichtbar wird. Die ganze Familie möge da sein, so hoffen wir, auch die zerstrittenen Geschwister, die sich übers Jahr nicht anrufen. Und die alleinstehende Tante, die der Jüngsten immer so sonderlich erscheint, wenn sie von früher erzählt.

Aber früher gehört eben auch dazu, heute ja. Das große Ganze, das Ganze ruhig groß gefasst: In dieser Stadt, in der wir auf ein Wir Weihnachten setzen, wie es der RBB und nebenan.de seit Wochen bewerben, heißt das: Wir Weihnachten in der Stadtmission und in vielen Gemeindehäusern, weil wir, weil Leben zusammen gehört über alle sozialen Scheren hinweg. Vor einer Woche in der Wärmestube hier ganz in der Nähe in Kreuzberg war das schon zu spüren: Einer der Alten war so klug, mir eine seiner Postkarten zu verkaufen, bestimmt die Schönste, die ich in diesem Jahr gesehen habe, habe ich gleich weiter verschenkt. Gehören doch alle zusammen an diesem Tag. Ist wie der Blick durch das Schlüsselloch in – ja, was, in den Himmel oder ins Paradies oder beides. Anfang und Ende eins, eine Gemeinschaft in dieser Nacht, da willste reingucken, durchgucken, da erinnert man sich doch gern, dass sie vor 30 Jahren zu Weihnachten eine Art Schlüsselloch der vereinten Stadt wieder geöffnet haben, das Brandenburger Tor.

Weihnachten das Schlüsselloch zu dem, wie Gott uns und diese Welt gedacht hat. In Liebe neu zusammen. Dafür sein Sohn, dafür diese Geschichte, wo ja auch alle vorkommen. Die Eltern, das Kind, die Politik mit Augustus und Statthalter Quirinius, die Engel, die Weisen, die Hirten, also wir, die einfachen Leute. Wir stellen seit jeher auch noch die Tiere dazu, Ochs und Esel, ganz aktuell ist das nun, die Mitgeschöpfe, die Kreatur, ohne die die Welt nicht diese Welt sein kann. Alle da. Die Tage erzählt mir jemand von einem Krippenspiel, bei dem auch Räuber mitmachen und ihre Rolle haben, in diesem Fall Maria und Joseph nicht zu überfallen. Da habe ich erst gestutzt, denke: wo sind die denn bei Lukas, aber dann geht mir auf: passt, sind einfach alle drin in der Geschichte, na klar.

Überhaupt alle: es gibt da so ein kleines Schlüsselloch in der Erzählung bei Lukas, fällt einem erst gar nicht auf, da wird das so schön sichtbar: Da sie, die Hirten, es aber gesehen hatten, heißt es, breiteten sie das Wort aus, welche zu ihnen von diesem Kinder gesagt war, und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede der Hirten, Maria aber behielt diese Worte in ihrem Herzen. Und alle, vor die es kam – man stutzt erst, wer ist denn jetzt alle, waren die Hirten nicht gerade erst an der Krippe, aber dann denke ich: ja, alle, sind da alle schon drin in diesem Bild von der Ewigkeit, wie Leben sein soll: gemeinsam, neu, voller Anfang. Ein Kind ist uns geboren. Gott vollendet die Welt. Die Weihnachtszimmer wollen das abbilden heute, diesen Paradiesblick,
muss ja nicht immer Wohnzimmer sein, kann auch in der Hotelbar sein und das zufällige Gespräch mit dem Portier ist wie der Schlüssel zu einem neuen Verstehen, warum ich bin wo ich bin. Oder der Freund, von dem du dachtest, du kennst ihn, aber mit ein paar Sätzen schließt sich etwas auf, all die Tränen, die das Herz festgehalten hat, plötzlich fließen sie ab. So ist der Blick frei und das Schlüsselloch des Abends ist riesig, kannst mit beiden Augen durchschauen. Friede auf Erden mit diesem Kind, mit diesem Gott, all überall. Guck mal hin.

II
Mit einem Mal geht die Tür auf, liebe Gemeinde, plötzlich von Innen, und die Klinke sitzt im Auge und das schöne Schlüsselloch gucken ist vorbei. Macht man ja auch nicht, ansonsten sowieso nicht, kann man ja heute in der Regel auch gar nicht mehr, sind ja so andere Zylinder in den Türen drin, dicht und dick und der Blick ins Weihnachtsparadies versperrt. Aber nun, der Blick ist auch sonst versperrt, sind ja gar nicht alle da, werden, von wegen wie im Anfang. Ist vielleicht das erste Weihnachten ohne die Mutter oder ohne die Partnerin. Müssen sich erst alle umstellen, vorsichtig tasten. Nee, alle können es ja nie sein, womöglich kommt der Sohn schon lange nicht mehr, letztes Jahr mal eine Karte aus Neuseeland, das war’s. Und in der Stadt? Könnten wir zählen, wie viele einsam sind, die es aber nicht sein wollen? Könnten wir wohl nicht, aber geht nicht aus dem Sinn. Und wenn wir erst aus der Stube heraus und über die Stadt hinaus gucken – über die Grenzen, auf die Felder, in die Lager, Griechenland, Flüchtlingskinder, blickdicht in Sachen Liebe auch dieser Tag?

Wir bemühen uns, viele hier, gut so, wir bemühen uns, aber Paradies ist wahrlich noch nicht. Das große Wir der Welt? Da ist die Klinke schon auf dem Auge beim Blick durch das Schlüsselloch und die Beule davon erinnert uns: Es geht nicht um rosarote Worte, es geht um das, was noch nicht ist. All überall Frieden, wie Gott gewollt und verheißen in dieser Nacht? Alle ein wir und darin jeder und jede sie selbst? Es heißt, liebe Gemeinde, der Satz bei Lukas in der Geschichte, dieser Satz von den „allen“, den Hirten, die es allen sagen, es heißt, der sei da später in die Geschichte geraten. Stimmt also gar nicht der Schlüssellochblick, den die Geschichte freigibt aufs Ende in diesem Anfang? Na, wenn wir so anfangen, sind wir schnell bei den kritischen Fragen, was denn überhaupt stimmt von dieser Geschichte, die uns so in den Bann nimmt in dieser Nacht. Der Spiegel hat’s gerade wieder gefragt, wühlt sich mit der Suche nach der historischen Wahrheit durch die Bibel von Mose bis Jesus. Alles Lüge? Natürlich nicht. Nur wenn es nicht für mich, für Dich wahr wird, bleibt es halt fern, ist es eher wie Fernsehen mit ständiger Wiederholung.

III
Die Geste, die Bewegung des Abends, die Haltung, die nur an diesem Abend Sinn macht und erlaubt ist: Der Blick durchs Schlüsselloch in Gottes Ewigkeit? Oder es geht die Tür auf und die Klinke aufs Auge? Was denn nun? Ist es so oder ist es so? Liegt in dem Kind nun ein Anfang oder ist alles wie so oft, wie viel zu oft: ärmliches Leben, wenig Chancen, für einen Moment immerhin Zuckerguss über allem. Während ich noch so zwischen den alternativen Perspektiven des Abends schwanke, passiert das, was ganz selten beim Schlüsselloch gucken passiert und man erschrickt erst einen Moment und es schleudert einen fast zurück: Auf der anderen Seite guckt jemand zurück. Huch. Sie kennen das noch von früher? So ein Gefühl von ertappt? Und zugleich: ein Grinsen, ein Lächeln, ja, ein in die Augen schauen und alles ist gut, ein Augenblick wie eine Ewigkeit.

Das ist der Moment, in dem die Engel singen: Fürchtet euch nicht. Tut man ja, tun die Hirten ja doch im ersten Augenblick. Dann aber: Siehe, große Freude, euch ist heute der Heiland geboren. Oder anders: Gott sieht Euch an, Gott sieht dich an. Guck mal, geh mal zu Jesus, zum Kind. Gott guckt. Ja, es kommt gar nicht darauf an, dass und wie wir nun die ganze Zeit versuchen in die Ewigkeit und in das ganze Große zu schauen. Gott sieht in Dir und in Dir und in Euch allen das ganze Große. Er sieht uns groß. Und krümmt sich dafür bis in die Krippe hinein. Und bis ans Kreuz, eine einzige Krümmung, damit wir gerade werden, gerade gehen.

Fröhlich den Blick der alleinstehenden Tante nehmen, die von früher erzählen wird, früher gehört ja auch dazu. Und wenn sie plötzlich von morgen erzählt, werden die Augen weit aufgerissen, so viel Überraschung. Morgen gehört erst recht dazu. Und also offen und herzlich den Blick derer aufgenommen, die einsam sind, aber nicht einsam sein wollen: wir Weihnachten. Wer wir jetzt? Na Jesus und wir und Du. Und mutig und kräftig über die Grenzen geschaut, die Blicke aufgenommen, jenseits der Wohnzimmertür ist Leben und es geht uns an, ja aus ihm guckt Jesus, der Flüchtlingsjunge.

Liebe Gemeinde, sollte Ihnen später das Abendprogramm ausgehen, stellen Sie sich auf beide Seiten der Tür und gucken mal so rum und so rum durchs Schlüsselloch. Und einer liest dazu die Weihnachtsgeschichte. Es ist ja, als guckte Gott mit jedem Wort dieser Geschichte aus der Ewigkeit zu uns. Aus der Krippe sowieso. Und mit den Engeln, klar: Frieden. Gott macht die Tür auf. Das ist ja das tolle an diesem Abend. Tür auf und wir sind alle in der Geschichte. Und die da, die Hirten und so, sind alle bei uns. In der Stube und in der Wärmestube. Und auch, wenn übermorgen die Tür schon wieder zu scheint, wir kennen jetzt den Blick, wie er zu uns rüber schaut. Ist so. Wer es vergisst, einmal in die Hocke, einmal das Auge zusammenkneifen, einmal fokussieren – mach mal nach rechts oder links, guck mal, der guckt, der guckt neu. Ist Weihnachten. Amen.

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