Festtag: 30 Jahre Bonhoeffer-Haus

14.06.2017

Seit 30 Jahren können Besucher in Dietrich Bonhoeffers Elternhaus in Berlin-Charlottenburg dem Theologen begegnen. Am Samstag, dem 17. Juni, wird dieses Bestehen von 14 bis 18 Uhr gefeiert – Propst Christian Stäblein hält den Festvortrag.

Dietrich Bonhoeffers Schreibtisch. Foto: Martin Dubberke

Von Sibylle Sterzik (mehr Texte von Sibylle Sterzik: www.die-kirche.de)

Verträumt zieht sich die Boysenallee vom S-Bahnhof Heerstraße durch die denkmalgeschützte Heerstraßensiedlung. Weiß geputzte Dop­pelhäuser mit hübschen blauen Fensterläden schmiegen sich aneinander. Rosen blühen in Vorgärten. Biegt der Besucher von der Marienburger Allee in die kurze Stichstraße ein, steht er am Haus von Paula und Karl Bonhoeffer, Dietrich Bonhoeffers Eltern. 1935 zogen sie dort mit der Großmutter ein. Die acht Kinder lebten nicht mehr im Haus.

Das Idyll trügt. Vor 74 Jahren, am 5. April 1943, verhaftete die Gestapo im Haus Nummer 43 Dietrich Bonhoeffer. Am selben Tag seine Schwester Christine und ihren Mann Hans von Dohnanyi in dessen Dienststelle, vordergründig we­gen eines Devisenvergehens und Wehr­kraftzersetzung. Die Nazis ermordeten Hans von Dohnanyi und Diet­rich Bonhoeffer am 9. April wegen der Beteiligung am Widerstand gegen Hitler, Dietrichs Bruder Klaus und Rüdiger Schleicher, den Mann der älteren Schwester Ursula, am 23. April. Familie Bonhoeffer verlor zwei Söhne und zwei Schwiegersöhne im Widerstand.

Seit 30 Jahren lädt die Erinnerungs- und Begegnungsstätte im Haus der Bonhoeffers zur Ausei­nandersetzung mit Leben und Theo­logie Dietrich Bonhoeffers ein. Der Besucher begegnet auch der Familie. „Wir sind froh, dass dies kein Museum ist, sondern das, was es immer war: das Wohnhaus einer Familie. Hier wird gelacht, geweint und gelebt“, sagt Martin Dubberke, seit 2015 ehrenamtlicher Geschäftsführer und Pfarrer im Ehrenamt in der Königin-Luise-Silas-Gemeinde in Berlin-Schöneberg. Mit seinen Söhnen und seiner Frau wohnt er im Haus, geht tags­über seiner Arbeit als Referent beim Landesausschuss für Innere Mission (LAFIM) nach. Abends kümmert er sich um Besucheranfragen, verabredet Führungen mit Gästegruppen, plant mit dem Team von acht Ehrenamtlichen Veranstaltungen. Zum Beispiel Führungen für blinde Menschen mit Anja Winter. Selbst blind will sie mit ihnen das Haus tastend entdecken, etwa Bonhoeffers Büste.

Neu ist auch, dass ab 1. Juli ein gemeinnütziger Verein die Arbeit des Hauses trägt. Die Kirchenleitung stimmte Ende April der Gründung des Vereins Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus und der Satzung zu und erkannte ihn als kirchliches Werk der Landeskirche an. Das Haus trägt sich vor allem durch eine landeskirch­liche Kollekte alle zwei Jahre, die Vermietung der Geschäftsführerwohnung im Haus und durch Spenden. Geführt wird es komplett ehrenamtlich. Mit der Gründung des Vereins wurde das bisherige Kuratorium abgelöst von einem Vereinsvorstand, Verwaltungsaufgaben vereinfacht. Nun sorgt die Kirche für das Äußere des Hauses, der Verein für den Betrieb, das Innere und den Garten.  

Glaubwürdiges Christsein durchbuchstabieren

Ehrenamtlicher Vorsitzender ist Pfarrer im Ruhestand Gottfried Brezger. Was den 1906 in Breslau geborenen Theologen und späteren Privatdozenten in Berlin, Bonhoeffer, angeht, ein Fachmann. Martin Dubberke betont, dass Bon­hoeffer bereits mit 21 Jahren promovierte, mit 24 habilitierte und in seinem 39-jährigen Leben in Briefen und theologischen Arbeiten wichtige Anstöße gab. Viele sind in der 16-bändigen Gesamtausgabe veröffentlicht.

Brezger recherchierte 2001 sechs Wochen in New York auf den Spuren von Bonhoeffer, der dort 1930/31 ein Jahr am Union Theological Seminary studierte. Und doch spürt man, Bonhoeffer ist für ihn kein Heiliger. Aber einer, an dem Nachgeborene noch heute glaubwürdiges Christsein buchstabieren können: an seinem konsequenten Eintreten für die Juden in der NS-Zeit, für den Frieden in der Welt, die weltweite Ökumene und seinem klaren Bekenntnis gegen Hitlers Regime sowie der kompromisslosen Abgrenzung von der nazitreuen Glaubensbewegung der Deutschen Christen. Dazu zählt auch, wie wichtig Bonhoeffer gemeinschaftliches Leben, Spiritualität und Bibelstudium nahm, besonders im Predigerseminar der Bekennenden Kirche (BK) Finkenwalde, das er von 1935–1937 und nach der Auflösung durch die Gestapo in den illegalen Sammelvikariaten bis 1940 leitete.

Brezger erklärt, warum viele US-Amerikaner in das Haus kommen. „Bonhoeffer gilt dort als Märtyrer, als der andere Deutsche. Er stellte Christus ins Zentrum, liebte seine Familie und sein Vaterland. Und diese Art Patriotismus versteht ein US-Amerikaner sofort.“ Mehr als 80 Gruppen führte Brezger im vorigen Jahr durchs Haus, neben US-Amerikanern Kanadier, Schweden, Finnen und Holländer.

Als es an der Tür klingelt, steht Brezger auf und begrüßt eine große Gruppe aus Dallas/USA. Mehr als 25 Besucher gleichzeitig sollen es eigentlich nicht sein, weil das Haus trotz 300 Quadratmeter Wohnfläche eng geschnitten ist. Brezger nimmt es gelassen, die Gruppe setzt sich im Ausstellungsraum an den großen Tisch. Früher befanden sich hier das Warte- und Behandlungszimmer des Psychiaters und Neurologen Karl Bonhoeffer, der 26 Jahre Ordinarius für Psychiatrie und Neurologie an der Charité war und nach seiner Emeritierung weiter praktizierte.

Später erzählt Brezger, einer aus der Gruppe habe gefragt, wie ein Mensch, der für den Frieden eintrat, sich an dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligen konnte. Bonhoeffer war kein Pazifist und sich bewusst, dass er Schuld auf sich laden würde, hatte Brezger geantwortet. Nachfolge im Glauben galt Bonhoeffer nicht als Prinzip, sondern als verantwortliche Entscheidung vor Gott in der konkreten Situation.

„Hier kann man tolle Geschichten erleben“, berichtet Martin Dubberke, dessen Schlafzimmer im ausgebauten Dachgeschoss an das ehemalige Studierzimmer von Dietrich Bonhoeffer grenzt. Dort wohnte er, wenn er in Berlin weilte. 

In Berlin hatte Bonhoeffer seit Anfang 1938 Aufenthaltsverbot, mit Ausnahme seines Elternhauses. Hier schrieb er an seiner „Ethik“, die posthum 1949 erschien. Seine Verlobte Maria von Wedemeyer wohnte hier während seiner Haft. Vater Karl beschäftigte sie als Sprechstundenhilfe, um sie vor einem Fronteinsatz als Rot-Kreuz-Schwester zu bewahren.

Die wenigen originalen Möbel im Bonhoeffer-Haus sind sein Clavichord, das Bücherregal, das er mit Eberhard Bethge, seinem Freund und späteren Biografen, aufgebaut hatte, und sein Schreibtisch. Martin Dubberke stellt sich davor und berichtet: „Ein Theologieprofessor aus Chicago, Reggie Williams, lang wie ein Baum, schob bei seinem Besuch mühsam die Beine unter den Tisch, legte die Hände auf die Schreibplatte, schwieg eine Weile und sagte dann. ,Jetzt habe ich acht Jahre über Bonhoeffer gearbeitet, aber begegnet bin ich ihm erst hier.‘ Eine Frau aus der Flüchtlingsarbeit kam mit einem Flüchtling hierher, der von Neonazis angegriffen worden war. ,Ich wollte ihm die andere Seite Deutschlands zeigen, Dietrich Bonhoeffer, der gegen die Nazis kämpfte und sein Leben riskierte‘.“

Die Familie prägte ihn

Er habe erst hier begriffen, wie sehr die Familie, dieses Haus als Ort des Widerstandes Bonhoeffer prägte. „Er konnte gar nicht anders, als so zu werden, wie er war“, resümiert Dubberke. Das Haus soll nicht nur an ihn erinnern, sondern an alle Widerstandskämpfer. Der Vater traf sich mit Friedrich von Bodelschwingh und Pastor Paul Gerhard Braune, Leiter der Hoffnungstaler Anstalten, um etwas gegen die Euthanasiemorde zu tun. Kritisch wird heute gesehen, dass Karl Bonhoeffer als Gutachter im Erbgesundheitsobergericht in Verfahren zur Zwangssterilisierung mitwirkte.

Ein wichtiger Ort, der zur Auseinandersetzung in kirchlichen, ethischen und politischen Fragen in der Nachfolge Jesu Christi herausfordert. Der Widerstand gegen die Nazis erhält Aktualität in der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus.

Da erstaunt es, dass Bonhoeffers Elternhaus lange warten musste, bis es wachgeküsst wurde. Obwohl die Evangelische Kirche es nach dem Tod von Karl und Paula Bonhoeffer 1951 erwarb, war es zunächst nur Pfarrwohnung von Eberhard Bethge und Sitz der Studierendengemeinde, später Studentenwohnheim. Wie Dietrich Bonhoeffer war Bethge Studenten­pfarrer an der Technischen Universität Charlottenburg. Viele Zimmer wurden umgebaut, Bonhoeffer geriet in Vergessenheit.

Erst als Synodenpräses Helmut Reihlen bei einem Empfang in der Deutschen Botschaft in Peking den SPD-Politiker und Bonhoeffers Neffen Klaus von Dohnanyi traf und dieser ihn fragte, was die Kirche mit dem Haus seiner Familie zu tun gedenke, kam ein Neuanfang in Gang. Er mündete Jahre später in die Eröffnung der Erinnerungs- und Begegnungs­stät­te. Das geschah am 1. Juni 1987. Auch die Politik war nicht viel schneller. Erst am 8. Mai 1985, 40 Jahre nach Kriegsende, prägte Richard von Weizsäcker in seiner historischen Rede vor dem Bundestag den Satz: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Und schlug ein neues Kapitel der Erinnerungskultur auf. Auch Bonhoeffers radikaler politischer Einsatz gegen Hitler stieß in der Kirche nach dem Krieg auf Ablehnung. Das änderte sich erst später, zuerst im Osten Deutschlands.

Das 30-jährige Bestehen feiert das Bonhoeffer-Haus am 17. Juni mit einem Fest. Vielleicht wird  Bonhoeffers Taufkleid, das lange in einem Wandschrank schlummerte, öffentlich gezeigt. Ein sehr menschliches Erinnerungsstück für diesen  Mann, von dem Papst Benedikt sagte, er gehöre in die Reihe der Heiligen. Ein Ökumeniker, der seinen Platz als Märtyrer des 20. Jahrhunderts am Westportal von Westmins­ter Abbey in London fand – neben Martin Luther King und Oscar Romero. Ein Mann, dessen Elternhaus in einer unscheinbaren Straße liegt, das in diesem Jahr immerhin schon 1000 Menschen besucht und weitere 1000 gebucht haben. Auf das kein Wegweiser auf dem S-Bahnhof hinweist. Und das keinen hauptamtlichen Mitarbeiter hat, der das Interesse aus aller Welt, der Bedeutung seines großen Sohnes angemessen, über die Öffnungszeit am Samstag von 10 bis 12 Uhr hinaus ­offen halten kann.

Gefeiert wird das 30-jährige ­Bestehen am Sa., 17. Juni, 14 bis 18 Uhr. Zu Gast sind Altbischof Martin Kruse, Altpräses Helmut Reihlen. Propst Christian Stäblein hält den Festvortrag zu Diet­rich Bonhoeffer. Marienburger ­Allee 43, Berlin-Charlottenburg, S5 Heerstraße, zehn Minuten Fußweg: http://www.bonhoeffer-haus-berlin.de/

Das Bonhoeffer-Haus ist Teil der Erinnerungskulturorte der EKBO

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