30.03.2015
Zahl der Bedürftigen steigt
Erfrieren musste in der Bundeshauptstadt schon seit Jahren kein Obdachloser mehr - dank der Berliner Kältehilfe. Doch die Nachtcafés und Notübernachtungen arbeiten weit über der Kapazitätsgrenze. Von Jahr zu Jahr wächst die Zahl der Bedürftigen.
30. März 2015. Berlin (epd). Die Notübernachtungen der Berliner Kältehilfe haben in diesem Winter trotz milder Temperaturen einen beispiellosen Ansturm Wohnungsloser erlebt. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Übernachtungen um knapp 9.000 auf rund 82.000, sagte die Berliner Diakonie-Direktorin Barbara Eschen am Montag in Berlin zum Abschluss der Saison. Insgesamt hatten zwischen 1. November und 31. März 15 Notübernachtungen und 14 Nachtcafés geöffnet.
Eschen sprach von einem besorgniserregenden Trend. Trotz bereits erhöhter Platzkapazitäten waren die Einrichtungen fast durchgängig überbelegt: Bereit standen pro Nacht 532 Schlafplätze. Dafür stellte der Berliner Senat 15 Euro pro Platz und Übernachtung zur Verfügung. Ein Spitzenwert wurde Mitte Februar mit 699 Übernachtungsgästen registriert. Einrichtungen wie die Notübernachtung der Berliner Stadtmission in der Lehrter Straße hatten fast täglich eine 200-prozentige Auslastung, wie Stadtmissonssprecherin Ortrud Wohlwend sagte. Für den kommenden Winter sehen die Akteure der Kältehilfe deshalb einen Bedarf von 600 bis 650 finanzierten Plätzen.
Laut interner Statistik der Stadtmission hatten 31 Prozent der Übernachtungsgäste einen deutschen Pass, 69 Prozent kamen aus dem Ausland. Davon waren 13 Prozent Nicht-EU-Bürger. Die Berliner Caritas-Direktorin Ulrike Kostka warnte vor einer Überforderung der Kältehilfe und appellierte an die Politik, für bestimmte Gruppen andere Lösungen anzubieten. Nicht nur der stetig wachsende Anteil an Nichtdeutschen bringe massive Verständigungsprobleme mit sich, die gelöst werden müssten. Auch der Anteil an Familien habe weiter zugenommen, für die die Einrichtungen der Kältehilfe nicht geeignet seien.
Hier müssten andere Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden, forderte Kostka. Allein in der von der Caritas betriebenen Notübernachtung Franklinstraße seien während der Kältehilfesaison über 200 Übernachtungen von Kindern registriert worden, im ganzen Jahr 2014 waren es 700.
Kostka sprach von einer prinzipiellen Gefährdung des Kindeswohl und forderte von der Politik die Einrichtung einer speziellen Notunterkunft ausschließlich für Familien. Zudem appellierte sie an das für Flüchtlinge zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales eine Wochenendbereitschaft einzurichten. Flüchtlinge, die am Wochenende in Berlin ankommen, ständen derzeit vor verschlossen Türen und würden dann von der Polizei oder anderen Behörden an die Berliner Kältehilfe verwiesen. "Die Kältehilfe darf aber nicht zum Ausfallbürgen für andere Einrichtungen werden", sagte Kostka.
Ein weiteres Problem sei der wachsende Anteil pflegebedürftiger Wohnungsloser, sagte Diakonie-Direktorin Eschen. Viele der Obdachlosen seien zunehmend verwahrlost, psychisch und physisch erkrankt oder auf einen Rollstuhl oder eine Gehhilfe angewiesen. "Diese Menschen sind eigentlich Pflegefälle, für die es besondere medizinische oder pflegerische Angebote geben muss", sagte Eschen. Der hohe Betreuungsaufwand sei von den häufig ehrenamtlichen Mitarbeitern der Kältehilfe kaum zu leisten. "Die Kältehilfe ist damit überfordert." Gebraucht werde eine professionell betreute Krankenstation oder eine Art Pflegehospiz.
In Berlin gibt es Schätzungen zufolge bis zu 13.000 Wohnungslose. Davon leben vermutlich zwischen 600 bis 1.000 Personen auf der Straße. Die 1989 gegründete Berliner Kältehilfe wird von Kirchengemeinden und Wohlfahrtsverbänden betrieben.