Kraftstoff für die Seele

22. Juni 2014. Zeestow (epd). Die schiefergedeckte Turmspitze grüßt schon von Weitem, mitten im havelländischen Zeestow leuchtet die sandsteinfarben verputzte Dorfkirche hell zwischen dem Grün der Bäume hervor. Unweit der Abfahrt Brieselang/Zeestow, an der Straße in Richtung Wustermark, lädt die erste Autobahnkirche am vielbefahrenen Berliner Ring zum Besuch und zur inneren Einkehr. Am Sonntag (22. Juni) um 14 Uhr wurde Brandenburgs dritte Autobahnkirche mit einem Festgottesdienst durch den Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, eingeweiht. Die Ortsvorsteherin Marianne Schulze freut sich: "Das ist für uns ein Höhepunkt, die Kirche ist wieder der Mittelpunkt im Dorf."

Lange stand die 1851 erbaute Kirche leer und verfiel. Die letzte Hochzeit wurde 1981 gefeiert, erzählt die Ortsvorsteherin, die das Gotteshaus noch aus Kindertagen kennt. Der Turm war mit einem Notdach abgedeckt und einsturzgefährdet, das Mauerwerk feucht. Nach 1990 suchte man lange nach einem Konzept für das marode Bauwerk, sogar die Nutzung als Möbellager wurde in Erwägung gezogen. Eine funktionierende Gemeinde gab es nicht mehr. Erst mit der Idee, die Lage des Ortes 800 Meter vom Berliner Ring entfernt zu nutzen und das Gotteshaus zu einer Autobahnkirche umzufunktionieren, taten sich neue Perspektiven auf.

2009 entwickelte Pfarrerin Rajah Scheepers im Auftrag des Kirchenkreises Falkensee ein Nutzungskonzept. "Damals lag die Kirche noch wie im Dornröschenschlaf", erinnert sich die Projektkoordinatorin, "viele hielten diese Idee einer Tankstelle für die Seele für verrückt". Gemeinsam mit Pfarrer Bernhardt Schmidt vom Kirchenkreisvorstand fand sie jedoch Geldgeber und Unterstützer. Finanziert wurde die 950.000 Euro teure Instandsetzung des Bauwerks aus Mitteln der Kirche, mit Fördermitteln der Bundesregierung und des Landes sowie aus EU-Fördertöpfen.

Auch innen erstrahlt die kleine Kirche wieder in neuem Glanz. Rund 250.000 Euro waren dafür erforderlich. Unter dem gelben Ziegelboden wurde eine Fußbodenheizung installiert und die schlichte Innenausstattung wurde aufgearbeitet. Die Orgelempore mit ihren hölzernen Stützen stammt aus der Bauzeit, ebenso die Kirchenbänke, während Taufe, Altar und Kanzel, ebenfalls aus gelbem Ziegel, aus den 1960er Jahren stammen.

Neu sind die Kunstwerke, die den Innenraum jetzt schmücken: großformatige zeitgenössische Darstellungen der zwölf Apostel, die zu beiden Seiten des Chorraums angeordnet sind. Dafür musste eigens die Kanzel etwas zur Seite gerückt werden. "Die Berufenen" hat der Berliner Maler Volker Stelzmann seinen 1988 gemalten Zyklus genannt. Es sind ungewöhnliche Interpretationen der Apostel, die Stelzmann als Stadtstreicher und Obdachlose darstellt.

Johannes etwa trägt eine Schiebermütze und einen langen Mantel, in der Hand hält er ein Notizbuch, Jakob hat einen breitkrempigen Hut auf und eine gelbe Schärpe umgebunden, am Hals ist eine kleine Jakobsmuschel zu sehen. Judas mit Brille, in gelbem Hemd und grüner Hose, scheint zu straucheln. "Es ist ein Stürzen oder Gestürztwerden," kommentiert Volker Stelzmann dieses Bild, "Judas hatte die mieseste Aufgabe von allen, aus meiner Sicht".

Für 120.000 Euro kaufte der Kirchenkreis den Zyklus an. Der Künstler freut sich, dass die Apostel-Porträts in der Autobahnkirche ganz unterschiedliche Betrachter finden. Über einen QR-Code, der mit dem Smartphone abfotografiert wird, lässt sich zudem ein Audio-Guide mit zwölf Bildergeschichten herunterladen, eingesprochen von dem Bibelerzähler Jochem Westhof. Diesen virtuellen Audioguide kann man auch bei der Weiterfahrt im Auto nachhören.

Schon jetzt stößt die Zeestower Kirche auf großes Interesse, bestätigt Pfarrerin Scheepers: "Wir haben viele Anfragen von Besuchergruppen, die Kirche ist ein künstlerisches Kleinod, was man so leicht nicht woanders finden kann." Mit ihrem schönen Innenraum bietet sie den Reisenden Kraftstoff für die Seele: "Die Menschen können anhalten, Pause machen, die Seele auftanken."

Aber auch die Zeestower haben mit der restaurierten Dorfkirche einen kulturellen Anziehungspunkt zurückgewonnen. Ortsvorsteherin Schulze: "Wir wollen unsere Gäste begrüßen, die von der Autobahn herfinden, aber wir hoffen auch, dass wir hier mal wieder eine Hochzeit oder eine Taufe feiern werden."