16.07.2014
epd-Gespräch: Lukas Philippi
16. Juli 2014. Berlin (epd). Der Plastinator Gunther von Hagens plant ein "Körperwelten"-Museum in Berlin. Gezeigt werden sollen besonders konservierte Körperteile und Leichen. Der Direktor des Medizinhistorischen Museums der Berliner Charite, Thomas Schnalke, warnt im epd-Gespräch vor der Präsentation von "Eventleichnamen" und mahnt zur Zurückhaltung. Auch die Würde der Hinterbliebenen der ausgestellten Toten müsse berücksichtigt werden.
epd: Wie bewerten Sie als Mediziner und Ausstellungsmacher die bisherigen "Körperwelten"-Ausstellungen?
Schnalke: Ich finde die Technik der Plastination sehr gut. Viele Detailpräparate, die in den Körperwelten-Ausstellungen zu sehen sind, wie etwa komplizierte Gelenke oder innere Organe, sind sehr gelungen und didaktisch gut aufbereitet. Die menschliche Anatomie ist darauf sehr gut zu erkennen und zu verstehen.
Große Schwierigkeiten habe ich mit den ganzfigurigen Darstellungen, die die reine Anatomie verlassen. Ich denke etwa an die Darstellung eines Schachspielers, Fechters, Basketballspielers oder an eine Reiterstatue. Da wird der menschliche Körper alleine in der Absicht zur Schau gestellt, mit ihm Aufmerksamkeit zu erzielen. Hier geht es nicht mehr um das Erläutern der menschlichen Anatomie. Vielmehr driftet die Gestaltung in eine rein effektheischende Aufbereitung von "Eventleichnamen" ab. Viele der Ganzkörperfiguren sorgen zwar für Emotionen. Sie klären aber nicht mehr über den Bau des menschlichen Körpers auf.
epd: Verstößt die Darstellung von Leichen und Körperteilen, wie sie in den Körperwelten-Ausstellungen bislang zu sehen ist, gegen die Würde der Toten?
Schnalke: Hier werden durchaus gesellschaftliche Tabus berührt, die mit der Achtung und der Würde des toten menschlichen Körpers zu tun haben. Bei uns wird die Leiche eines Menschen in der Regel bestattet und nur unter bestimmten Bedingungen, wenn es für Forschung und Lehre statthaft ist, länger erhalten oder präpariert. Somit erachten wir es unter bestimmten Bedingungen als legitim, mit Hilfe von Leichnamen in Gestalt von Präparaten über die menschliche Anatomie zu informieren.
Was wir brauchen, ist eine Debatte darüber, ab wann der didaktische Raum verlassen wird und ab wann die Darstellung ins Ereignishaft-Spielerische abdriftet. Ich halte es ethisch für nicht vertretbar, einen "Eventleichnam" im Schauraum auszustellen. Das wird der Würde des Toten nicht mehr gerecht. Damit wird der tote Mensch nachträglich in eine öffentliche Position gerückt, die dem Körperspender zu Lebzeiten so vermutlich nicht klargemacht worden ist.
Das schlagende Beispiel dafür ist das kopulierende Paar, das in einer der Körperwelten-Ausstellungen zu sehen war. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass den beiden Körperspendern zu Lebzeiten deutlich mitgeteilt wurde, in welcher Situation sie da öffentlich gezeigt werden. Ich habe entschieden etwas gegen das "freie" Manipulieren am toten menschlichen Körper. Das bekommt schnell den Anschein von Leichenfledderei.
Davon losgelöst gibt es aber auch eine Würde der Hinterbliebenen und der Gesellschaft. Wir müssen uns fragen, ob wir in unserer Kultur eine Entwicklung mit der Akzeptanz derartiger "Eventleichname" gut finden und dulden wollen. Deshalb reicht eine Vereinbarung nur mit dem Körperspender nicht aus. So ist es schon heute in aller Regel nicht möglich, als Außenstehender etwa im Rahmen eines Anatomiekurses für Medizinstudenten an der Sektion, also beim Sezieren, einer Leiche teilzunehmen.
epd: Welchen Stellenwert hat die Plastination von Körperteilen?
Schnalke: Plastination findet heute auch im Hochschulalltag statt. Viele Einrichtungen haben das Verfahren aufgegriffen und stellen insbesondere kleinere Plastinate wie etwa ein Herz, eine Niere oder ein Gelenk her. Die Technik ist von Herrn von Hagens entwickelt worden. In dieser Hinsicht gebührt ihm ohne Zweifel ein sehr großes Verdienst. Bei der Fertigung der Plastinate hat Herrn von Hagens eine absolute Meisterschaft erlangt und ist ein großer Könner vor dem Herrn. Mit seiner Technik schafft er es, auch die weichen Gewebe im Körper - etwa einen Magen, eine Leber, oder ein Gehirn - zu stabilisieren und lebensnah zu arrangieren
epd: Was wünschen Sie sich für die Berliner Dauerausstellung, so sie denn kommt?
Schnalke: Ziel sollte es sein, die Anatomie des menschlichen Körpers so zu erklären, wie es heute dem Stand der Dinge entspricht. Dafür steht Herrn von Hagens mit der Plastination eine Präparationstechnik zur Verfügung, mit der er hypereindrucksvolle Bilder erzeugen kann. Wenn er sich darauf konzentriert, kann die Ausstellung ein erfolgreiches Projekt werden. Langfristig wäre eine derartig didaktisch geschärfte Präsentation sicherlich erfolgreicher, als eine effektheischende Darbietung, die nach einem halben Jahr ihre Anziehung verloren hat.
Gut wäre demnach die Konzentration auf die reine Anatomie. In der Ausstellung sollte der Bau des menschlichen Körpers in jeder Hinsicht erklärt werden, gerne auch durch die Lebensalter hindurch. Dabei sollte es darum gehen, die Körperformen erkennbar und die Körperfunktionen verstehbar zu machen. Der menschliche Körper sollte somit nicht nur in seinen Einzelteilen benannt werden - das ist ein Herz, eine Niere, ein Knochen, ein Nerv oder eine Sehne. Vielmehr sollten auch die größeren Zusammenhänge ausführlich geschildert und anschaulich vorgestellt werden.
Hingegen würde ich auf die ganzfigurlichen "Show-Leichname" grundsätzlich von Anfang an verzichten. Außerdem fände ich es gut, wenn die Objekte auf Distanz präsentiert werden, so dass sie nicht angefasst werden können. In vorangegangenen Körperwelten-Ausstellungen gab es immer wieder Plastinate, die ausdrücklich zum Betasten freigegeben waren. Was geschieht dabei? Unter dem Motto einer "Demokratisierung der Anatomie" wird suggeriert, dass jeder dem anderen im wahren Sinn des Wortes unter die Haut fassen darf. Das hat etwas höchst Schlüpfriges und Gewalttätiges. Und das Anfassen gibt obendrein keineswegs den Eindruck der tatsächlichen Beschaffenheit menschlichen Gewebes wieder, denn die Organe sind durch die Plastination innerlich wie äußerlich regelrecht in Kunststoff eingeschweißt. Wenn ich also ein Herz in der Hand halte, spüre ich pures Plastik.
epd: Ist es richtig, wenn jetzt gerade die Kirchen das Vorhaben von Hagens kritisieren?
Schnalke: Für viele ist der Umgang mit dem toten Körper eines Verwandten ein hochemotional besetztes Thema. Da spielen transzendente und religiöse Elemente eine Rolle. Von daher muss die Kirche ihre Stimme erheben. Sie ist gehalten, den Aspekt der Menschenwürde besonders zu betrachten und immer wieder einzufordern.