12.10.2021
Am Anfang stand eine Kleinkinderschule, inzwischen steht das Oberlinhaus für Expertise in der Taubblindenarbeit, der Orthopädie, der Assistenz bei Autismus und schweren Behinderungen. Nun wurde der Gründungstag des Vereins vor 150 Jahren begangen.
Potsdam (epd). Mit einem Festgottesdienst in Potsdam ist der 150. Jahrestag der Gründung des Oberlinvereins gefeiert worden, aus dem das evangelische Sozialunternehmen Oberlinhaus hervorgegangen ist. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) würdigte die Arbeit des Vereins am Dienstag in Potsdam als „150 Jahre Dienst am Menschen“. Das Oberlinhaus sei „Teil der Seele Potsdams und Brandenburgs“, betonte Woidke: „Soziale Einrichtungen verkörpern immer auch Herz und Seele eines Gemeinwesens.“
Das Oberlinhaus stehe für die „professionelle und fürsorgliche Betreuung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen“, betonte Woidke und sprach mit Blick auf das tödliche Gewaltverbrechen in einer Oberlin-Einrichtung Ende April an vier schwerstbehinderten Bewohnerinnen und Bewohnern von einem „zutiefst erschütternden Vorfall“. Der Name Oberlin stehe für gelebte Nächstenliebe, betonte Woidke: „Entsprechend groß war der Schock nach der unbegreiflichen Gewalttat am 28. April. Sie traf uns, traf ganz Potsdam mitten ins Herz.“
Die Forschung nach den Motiven und Hintergründen sei nun Sache der Strafverfolgungsbehörden, betonte Woidke: „Unsere Aufgabe ist es, das Gedenken an die Getöteten zu bewahren und Anteil zu nehmen an der Trauer der Angehörigen sowie aller Menschen hier im Oberlinhaus.“ Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat inzwischen Anklage gegen eine langjährige Mitarbeiterin erhoben.
Der Berliner evangelische Bischof Christian Stäblein würdigte das Oberlinhaus mit seinen heute rund 2.000 Beschäftigten als wegweisendes und vorausschauendes Diakonie-Unternehmen. Im Mittelpunkt stehe die ganzheitliche Sorge für das Wohl der Menschen, die dort leben oder Hilfen in Anspruch nehmen, sagte Stäblein am Dienstag laut Predigtmanuskript in der Oberlinkirche.
Die Geschichte des Sozialunternehmens reiche von der Wiege der Taubblindenarbeit in Deutschland über die zukunftsweisende Gründung einer orthopädischen Fachklinik bis hin zur Begleitung und Assistenz für Menschen mit Autismus, betonte Stäblein. Dennoch gehöre auch dort dazu, dass das Leben unheilvoll sein könne. Auch mehrere Monate nach dem Gewaltverbrechen sei weiter die Fassungslosigkeit zu spüren, „wenn ausgerechnet die Hilflosesten noch angegriffen und getötet werden“, betonte der Bischof.
Der Oberlinverein wurde am 12. Oktober 1871 in Berlin gegründet. Der Verein und das Sozialunternehmen mit Einrichtungen der Behindertenhilfe, Pflege und Medizin sind nach dem elsässischen Sozialreformer und protestantischen Theologen Johann Friedrich Oberlin (1740-1826) benannt. Das Oberlinhaus ist Mitglied im Diakonischen Werk der Landeskirche.
Ziel des Oberlinvereins war zunächst die Betreuung und Bildung kleiner Kinder aus armen Verhältnissen. 1874 wurde im Weberviertel Nowawes, dem heutigen Potsdamer Stadtteil Babelsberg, eine Schule für Arbeiterkinder gegründet. 1881 folgte eine Poliklinik, 1883 eine Kinderkrippe, 1888 die erste Krankenstation, 1890 eröffnete das Oberlinhaus in Nowawes das erste Krankenhaus. Das Diakonieunternehmen ist heute Träger unter anderem von Kindergärten, Schulen, einem Berufsbildungswerk, Kliniken und Wohnstätten.