23.02.2022
Berlin (epd). Die von einem Kreuz gekrönte Kuppel samt Bibelzitaten über dem Berliner Humboldt Forum sorgt seit Jahren für Diskussionen. Jetzt soll dazu auf dem Dach des wieder errichteten Berliner Stadtschlosses eine Informationstafel installiert werden. Damit will sich das Haus unter Leitung von Generalintendant Hartmut Dorgerloh von Kreuz und Inschrift distanzieren. Der Vorsitzende des Fördervereins Berliner Schloss, der Theologieprofessor Richard Schröder, hält dies für falsch und wirft dem Humboldt Forum vor, damit die Geschichte zu verfälschen. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert der langjährige Vorsitzende der Deutschen Nationalstiftung seine Sicht.
epd: Herr Professor Schröder, das Humboldt Forum möchte mit einer Informationstafel die aus Bibel-Zitaten des Neuen Testaments bestehende Kuppel-Inschrift „kontextualisieren“, wie es heißt, und sich zugleich damit davon distanzieren, da darin ein „Alleingültigkeits- und Herrschaftsanspruch des Christentums“ zum Ausdruck komme. Sie sagen, dass hier eine Fehlinterpretation von Kuppelbau, Bibelzitaten und königlichem Herrschaftsanspruch vorliegt. Was kritisieren Sie konkret?
Richard Schröder: Die Inschrift lautet: „Es ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ Die Bibelzitate und das Kuppelkreuz erklären sich daraus, dass sich dort ein Sakralraum befand. Friedrich Wilhelm IV. hatte dort eine neue Schlosskapelle errichten lassen. Die geplante Tafel vor der Kuppel liefert nun eine klassenkämpferische Deutung dieses Neubaus, die einer kritischen Überprüfung nicht standhält. Der Neubau sei eine Absage an die Forderung nach einer Verfassung. Dieser Zusammenhang ist frei erfunden. Das Berliner Schloss hatte, wie wohl alle Burgen und Schlösser, immer eine Kapelle, als privaten Andachtsraum des Schlossherrn. Die Bezugskirche für den König als obersten Bischof seiner Landeskirche und die problematische Verbindung von „Thron und Altar“ war der Berliner Dom und nicht die Schlosskapelle. Dieser Kapellenbau begann bereits vier Jahre vor dem Revolutionsjahr 1848. Der König hat dort seinen persönlichen religiösen und ästhetischen Auffassungen Ausdruck verliehen.
epd: Die Kuppelinschrift, so soll künftig auf der Infotafel zu lesen sein, sei damals eine „Provokation“ angesichts der Gefallenen des 18. März 1848 gewesen.
Schröder: Die Fachliteratur weiß nichts davon, dass die Inschrift damals als Provokation verstanden wurde. Den „Herrschaftsanspruch des Christentums“ fand das Humboldt Forum wohl im zweiten Teil der Inschrift (Philipper 2, 10). Er besagt, Gott habe den am Kreuz erniedrigten Jesus zum Herrn des Kosmos erhöht, vor dem sich aller Knie beugen. Das heißt: auch die des Königs. Er verstand sich tatsächlich als rechenschaftspflichtig gegenüber Gott. - Das Neue Testament kennt keine Weltherrschaftsermächtigung für Christen und auch keine Aufforderung zur Unterwerfung Ungläubiger. Es kennt nur einen Missionsbefehl, durchs Wort, nicht durch Gewalt.
epd: Die Kritiker von Kreuz und Inschrift wenden ein, dass es sich heute nicht mehr um einen Sakralbau handelt. Zudem passe die Inschrift nicht zum selbst gestellten Auftrag des Humboldt Forums, der Förderung des Dialoges der Kulturen. Stehen Kreuz und Inschrift einem Dialog der Kulturen im Weg?
Schröder: Auch das Bildprogramm passt nicht zum neuen Zweck des Schlosses, denn es ist absolutistisch geprägt. Dies Problem tritt überall auf, wo herrschaftliche Schlösser für bürgerliche Zwecke umgewidmet werden. Alle, die zu uns kommen, wissen, dass sie in eine postchristliche Gesellschaft kommen und zum Beispiel nicht in eine postislamische. Kreuze und Kirchen werden sie nicht überraschen, eher schon die Versuche, unsere Geschichte zu bereinigen, die wir doch nicht ändern können. Es steckt eine Portion Überheblichkeit in der Annahme, unsere Gäste seien so ungebildet, dass sie all das nicht wissen und könnten die Inschrift für das Motto des Humboldt Forums halten.
Die meisten der 2,3 Milliarden Christen sind heute „Persons of Colour“. Allein in Nigeria leben doppelt so viele Christen wie in Deutschland. Die werden erstaunt sein, wenn ihnen als Christen ein übergriffiger Herrschaftsanspruch unterstellt wird. Für viele steht das im Gegensatz zu ihren Erfahrungen. Christen werden nämlich weltweit am häufigsten unter allen Religionsangehörigen ihres Glaubens wegen verfolgt.
epd: Stellen Kreuz und Inschrift gar eine Diskriminierung anderer Religionen dar?
Schröder: Der erste Teil der Inschrift ist das Bekenntnis des Petrus, als er verhaftet und vor den Hohen Rat gefragt wurde, in wessen Namen er handelt (Apostelgeschichte 4, 12). Tatsächlich verbindet Christen die Überzeugung, Jesus Christus sei der authentische Weg zu Gott. Wer das bestreitet, wird sich schwerlich als bekennenden Christen bezeichnen. Andere Religionen urteilen darüber freilich anders.
Man kann bemüht sein, allen Religionsangehörigen denselben Respekt entgegenzubringen, man kann aber nicht die divergierenden Überzeugungen verschiedener Religionen und Weltanschauungen gleichzeitig übernehmen. Es steht mit den Religionen ähnlich wie mit den Sprachen. Es gibt sie nur im Plural. Sie ermöglichen Orientierung innerhalb ihrer Gemeinschaften, die aber von anderen Sprach- oder Religionsgemeinschaften unterschieden sind. Für jeden einzelnen Sprecher ist eine hervorgehoben: die Verkehrs- oder Alltagssprache, die zumeist die Muttersprache ist. Sie hat für die Verständigung im Alltag praktisch den „Alleingültigkeitsanspruch“ inne.
Das Trennende zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften kann zu schweren Konflikten führen, wie in Europa die Religionskriege. Die Lösung, die man schließlich fand, war die Gewissens- und Religionsfreiheit. Das hieß für den Staat: Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen nach geltendem Recht. Für alle hieß es: Verzicht auf Gewaltanwendung und Diskriminierung in Religionsfragen. Und für die Bürger: Toleranz, das heißt ertragen (tolerare), dass andere die eigenen Grundüberzeugungen nicht teilen. Das ist unangenehm. Zustimmung zu erzwingen ist deshalb eine fortwährende Versuchung auch in der Demokratie. Um die Toleranz ist es schlecht bestellt, wenn nicht einmal der Anblick des 150 Jahre alten Textes eines Königs ertragen wird, dem doch niemand zustimmen muss.
epd: Lange vor Fertigstellung des Humboldt Forums war klar, dass Kuppel, Kreuz und Inschrift Teil des Wiederaufbaus würden. Die Kritik daran wurde aber erst kurz vor der Eröffnung laut. Was schlagen Sie vor, um den Streit beizulegen?
Schröder: Wenn vor der Kuppel ein erläuternder Text aufgestellt wird, muss er frei von Mutmaßungen und Unterstellungen sein. Ich fände es schade, wenn das Humboldt Forum sich durch einen angreifbaren Text vor der Kuppel vor unseren Gästen blamiert.
epd-Gespräch: Lukas Philippi