Stadtmissionsdirektor: In Berlin muss unverkrampfter über Religion geredet werden

27.01.2015

Nach mehr als 25 Jahren tritt der Direktor der Berliner Stadtmission in den Ruhestand

epd-Gespräch: Lukas Philippi

 

27. Januar 2015. Berlin (epd). Nach mehr als 25 Jahren tritt der Direktor der Berliner Stadtmission, Pfarrer Hans-Georg Filker (65), in den Ruhestand. Am Mittwoch (28. Januar) wird er offiziell verabschiedet. Er hinterlässt ein vielseitig aufgestelltes Unternehmen mit 850 hauptamtlichen und über 1.000 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Neben 42 diakonischen Einrichtungen für Obdachlose, Behinderte oder Senioren verfügt die 1877 gegründete Stadtmission auch über elf Gästehäuser und Hotels in verschiedenen Bundesländern. Außerdem gibt es 19 Stadtmissionsgemeinden und Missionarische Projekte. Über die Aufgaben der Stadtmission in einer sich verändernden Stadt sprach der Evangelische Pressedienst (epd) mit dem scheidenden Chef der Stadtmission.

 

 epd: Herr Filker, Ende März gehen Sie endgültig von Bord. Was hätten Sie gerne in ihrer Amtszeit noch erreicht?

 

 Filker: Ich bin glücklich, über so vieles, was gelungen ist. Die Stadt verändert sich ständig. Aufgabe der Stadtmission wird es auch in Zukunft sein, den Zusammenhang von christlichem Glauben, christlichem Menschenbild und Hilfe in Not öffentlich zu gestalten. Dabei ist Stadtmission mehr als Kältebus und Diakonie. Wir haben eine starke missionarische Komponente mit Gottesdiensten an besonderen Orten wie etwa im Hauptbahnhof. Das wird oft vergessen.

 

 epd: Die Berliner Kältehilfe war in den vergangenen Jahren immer am Limit ihrer Kapazitäten. Wie läuft es in diesem Winter? 

 

 Filker: Das Wetter ist mild. Insofern ist das gefühlte Problem nicht so groß - dennoch: das reale Problem ist da. Wir haben auch in dieser Saison enormen Zulauf in unsere Quartiere und schöpfen die Kapazitäten voll aus. Dabei sind wir zur Finanzierung auch auf Spenden angewiesen, weil wir über unsere rund 100 Schlafplätze im Zentrum am Hauptbahnhof hinaus jeden aufnehmen. Es kommt öfters vor, dass wir 120, 130 oder gar 150 Menschen beherbergen, und die müssen auch versorgt werden.

 

 epd: Melden sich genügend Ehrenamtliche zur Unterstützung?

 

 Filker: Im Moment suchen wir wieder Ehrenamtliche, weil die Arbeit nicht weniger wird, im Gegenteil. Wir haben dazu auch ein intensives Schulungsprogramm entwickelt, das auf die Arbeit vorbereitet. Das erfolgt auch vor dem Hintergrund, dass wir heute eine andere Klientel in den Obdachloseneinrichtungen haben. Im Gegensatz zu früher kommen heute etwa 80 Prozent der Menschen aus dem Ausland, vor allem aus Osteuropa.

 

 epd: Die wachsende Zahl der Obdachlosen ist nur eine Baustelle in der Hauptstadt. Was wünschen Sie sich vom neuen Regierenden Bürgermeister Michael Müller, Sozialdemokrat und bekennender Christ in einer oft als "gottlos" bezeichneten Stadt?

 

 Filker: Das wichtigste Thema für mich ist - und diese Baustelle will ich nicht nur der Politik überlassen -, dass man in Berlin künftig unverkrampfter über Religion und seinen persönlichen Glauben reden kann. Da gibt es in Teilen der Stadtgesellschaft offensichtlich tiefsitzende Ressentiments, die fast schon wieder selbst eine religiöse Dimension darstellen. Manche der Alt-68er haben eine merkwürdige Hassliebe zum christlichen Glauben. Auf Seiten der PDS und später der Linken hat es im Ostteil der Stadt vor allem in den 90er-Jahren größere Vorbehalte gegen uns gegeben. Toleranz und ein klares christliches Profil sind kein Gegensatz.

 

 epd: Was meinen Sie konkret?

 

 Filker: Berlin muss meines Erachtens den Subsidiaritätsgedanken wieder neu für sich entdecken. Das heißt, die Verantwortung für Aufgaben, die an freie Träger delegiert wird, diesen auch tatsächlich zu überlassen, und ihnen Gestaltungsspielräume zu ermöglichen. Dies ist sicherlich eine Herausforderung für die Zukunft.

 

Wir als Stadtmission sind mit unserem eigenen christlichen Profil in den vergangenen 25 Jahren damit gar nicht schlecht gefahren. Ich bin der Überzeugung, dass soziale Arbeit eine hohe Professionalität braucht. Und unser christlicher Glaube ist ein Teil dieser Professionalität. Das Menschenbild, das unserem Handeln zugrunde liegt, ist nicht beliebig und hat ganz konkrete Auswirkungen im Alltag unserer Einrichtungen.

 

 epd: Hat sich die Stadt angesichts der wachsenden Zahl von Einwanderern in Berlin in den vergangenen Jahren verändert?

 

 Filker: Wir sind auf einem guten Weg, mit unterschiedlichen Nationalitäten zu leben. Da sehe ich sehr viel Positives, etwa wenn es um die Unterstützung von Flüchtlingen geht: Es gibt eine hohe Bereitschaft sich zu engagieren, Zeit zu spenden. Das ist eine breite Bürgerkultur, die da zum Ausdruck kommt. Das gilt auch für die öffentliche Wahrnehmung von Obdachlosen: vor 25 Jahren waren das noch "Penner, die selbst schuld sind und nur saufen". Hier hat sich viel geändert. An diese positiven Entwicklungen müssen Träger wie die Stadtmission anknüpfen und mit der Politik und den Verwaltungen zusammen Lösungen für dennoch entstehende Konflikte anbieten. Natürlich gibt es auch Ressentiments und Probleme. Aber anstatt zu dramatisieren, sollten wir sie anpacken und zu lösen versuchen.

 

 epd: Wenn Sie in die evangelische Landeskirche hineinschauen, sehen Sie Veränderungsbedarf, muss Kirche attraktiver werden?

 

 Filker: Das Evangelium ist attraktiv. Unsere Landeskirche und unsere Ortsgemeinden sind vor allem auf diejenigen ausgerichtet, die schon beziehungsweise immer noch zu uns gehören. Viele Pfarrer haben eine Scheu, Menschen zu gewinnen - "wie sind doch nicht beim ADAC", heißt es dann. Dabei sehe ich es als unseren Auftrag, Menschen, die das Evangelium noch nicht kennen, ein Angebot zum Kennenlernen zu machen und ihnen eine geistliche Heimat zu geben. Uns fehlen heute in der EKBO die Instrumente und die theologisch fundierte Kompetenz, Menschen, die noch nicht zu uns gehören, auf den Glauben an Jesus Christus hin anzusprechen, Glauben zu vermitteln, ihnen Angebote zu machen.

 

 epd: Was muss sich ändern?

 

 Filker: Es gibt beispielsweise viele gute Prediger. Die sprechen aber vor allem über die Konsequenzen des Christseins, nicht über die Grundlagen des Glaubens selbst. Das ist für Menschen, die auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens in einen Gottesdienst kommen, schwer zu verstehen.

 

 epd: Ist das auch ein Problem der Sprache?

 

 Filker: Sobald wir uns außerhalb der liturgischen Sprache bewegen, sind viele nicht in der Lage, persönlich, unaggressiv, einladend und lebensbezogen von ihrem christlichen Glauben zu sprechen. Hinzu kommt, dass viele Ortsgemeinden angesichts des Schrumpfungsprozesses wie gelähmt dastehen.

 

 epd: Wer soll den Gemeinden die Instrumente in die Hand geben, um diesen Prozess aufzuhalten oder gar umzudrehen?

 

 

 

 Filker: Das wäre eine universitäre und eine kirchenleitende Aufgabe: beispielsweise die Verständlichkeit von Gottesdiensten zu erhöhen, um mehr Teilnahme zu ermöglichen. Das wird zurzeit zu wenig diskutiert. Da gibt es eine Atempause. Die universitäre Theologie ist zurzeit nicht hilfreich, die missionarische Situation angemessen aufzugreifen. Nötig wären mehr niedrigschwellige Glaubenskurse. Wenn Kirche nicht lernt, ihre Inhalte neu zu transportieren, wird ihr Schrumpfungsprozess weitergehen. Die missionarische Arbeit in unserer Landeskirche hat durchaus Entwicklungspotenzial. Und nicht zuletzt: Auch organisatorisch könnte die Dienstleistungsorientierung auf allen Ebenen verbessert werden.

 

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