Willkommen im Abendland

02.03.2015

Mehr als 400 muslimische Flüchtlinge finden neue geistige Heimat in Berliner Kirchengemeinde

Von Johannes Süßmann (epd)

 

Die Dreieinigkeitskirche in Berlin stand kurz vor der Schließung. Jetzt kommen sonntags Hunderte Iraner und Afghanen, die zum Christentum übergetreten sind. Das Vaterunser wird auf Persisch gebetet, den Pfarrer beschäftigen die Nöte der Flüchtlinge.

 

2. März 2015. Berlin (epd). Ein knappes Dutzend Menschen umringen den Taufstein. Zwischen weißen Gewändern blitzt ab und an ein dunkler Haarschopf auf. Wasser plätschert. "Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes", ruft der Pfarrer durch die Kirche. Dann erstrahlt das stolze Lächeln des neunjährigen Täuflings: Hossein aus dem Iran. Sein Leben lang war er Muslim, nun ist er Christ, sein neuer Name: Benjamin. Er ist das 719. Mitglied des Seelsorge-Bezirks Steglitz der Selbstständig-Evangelisch-Lutherischen Mariengemeinde in Berlin - und einer von gut 400 iranischen und 75 afghanischen Konvertiten.

 

Fast alle sind Asylbewerber und warten auf ihr Verfahren. Sechs leben in der Gemeinde im Kirchenasyl. In ihrer Heimat wurden sie verfolgt, viele aus Glaubensgründen: Weil sie sich über andere Religionen informieren wollten oder in der Bibel gelesen haben, rein aus Interesse. "Im Iran gibt es zurzeit gerade in der gebildeten Mittel- und Oberschicht eine große Abneigung gegen den Islam", beobachtet Pfarrer Gottfried Martens. Die Afghanen seien meist Kriegsflüchtlinge.

 

Martens nimmt sie in seine freikirchliche Gemeinde auf: Im Gottesdienst - jede Woche kommen bis zu 300 Besucher - werden Lesungen und Abkündigungen auf Farsi übersetzt. Auch das Vaterunser betet die Gemeinde in persischer Sprache. Es gibt einen persischen Chor, eine persische Bibelstunde, persischen Taufunterricht. Sonntags nach der Kirche trifft sich die ganze Gemeinde zum Mittagessen. Unter der Woche werden Besuche in der Oper oder im Museum organisiert, alles spendenfinanziert.

 

Martens selbst kam 1991 in die Gemeinde, da lag der Hauptsitz noch im benachbarten Stadtteil Zehlendorf, die Gemeinde hatte 200 Mitglieder. "2008 kamen die ersten zwei Iraner", erzählt der 52-Jährige, "2012 setzte dann eine Art Schneeballeffekt ein." Immer mehr iranische und afghanische Flüchtlinge kamen. Heute zählt die Mariengemeinde 1.400 Mitglieder - und musste sich inzwischen aufspalten: Die Kapazitäten reichten nicht mehr.

 

Und so zog Martens Ende 2013 mit Hunderten Iranern und Afghanen sowie 250 Einheimischen nach Steglitz, in die Dreieinigkeitskirche. "Die stand eigentlich kurz vor der Schließung", erzählt Martens. Nun wird sie wieder gebraucht. Zwei, drei Wochen ohne Taufe: Das sei inzwischen schon etwas Besonderes. Allein bis Ostern stünden noch mehr als 50 an. Die neuen Gemeindemitglieder kommen aus ganz Berlin und Brandenburg.

 

Amir aus Isfahan im Westiran wurde Mitte Februar getauft. Mit dem Christentum war der 22-Jährige vor drei Jahren im Iran in Kontakt gekommen, durch einen befreundeten Armenier. Die Minderheit darf ihren christlichen Glauben im Iran ausleben - mal mehr, mal weniger frei. Iranern ist selbst das Lesen in der Bibel verboten.

 

"Wir haben Koran und Bibel miteinander verglichen", erzählt Amir. Er kam ins Nachdenken: "Warum habe ich über 20 Jahre nicht bemerkt, dass der Koran erlaubt, Andersgläubige zu töten? Das ist keine friedliche Religion!" Langsam wird aus Neugier Überzeugung, und Amir schließt sich einer geheimen Hausgemeinde an - ein riskantes Unterfangen: Erst im vergangenen Herbst waren im Iran drei leitende Geistliche der Hauskirchenbewegung zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Der Übertritt zu einer anderen Religion kann nach islamischem Recht sogar mit dem Tod bestraft werden.

 

Als Amir auffliegt, wird er erst aus dem Sportverein geworfen, dann von der Universität. Schließlich setzt ihn auch sein strenggläubiger Vater vor die Tür. "Du hast keine Familie mehr. Geh' zu Jesus Christus", sagt er zum Abschied. Amir flieht. Er hat alles verloren.

 

Die Restriktionen in islamischen Ländern sind laut Martens ein direkter Grund dafür, dass sich viele Flüchtlinge dem Christentum zuwenden. "Während sie den Islam oft als Religion von Hass und Krieg erlebt haben, empfinden sie die christliche Botschaft als eine Befreiung", sagt er. In Afghanistan würden "ungläubige" Familienmitglieder oft mit dem Tod bedroht.

 

Poya bestätigt das. Der 21-jährige Waise aus Badachschan im Norden des Landes bekam von einem US-Amerikaner Informationen über den christlichen Glauben. Als er mit seinen Freunden im Heim darüber sprechen will, verprügeln sie ihn, brechen ihm die Nase. Eines Tages erhält er die Warnung, nicht in die Moschee zu kommen: Die Geistlichen meinten, er habe ein Problem mit dem Koran, das sei ein großer Fehler.

 

Überstürzt flieht Poya in den Iran, dann über die Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich nach Deutschland. Vor 16 Monaten kam er an. Sein Asylverfahren hat noch nicht begonnen, wie bei vielen anderen seiner neuen Glaubensbrüder und -schwestern.

 

Beim Auszug aus der Kirche umarmt Martens jeden Besucher, klopft auf viele Schultern, findet für jeden ein paar persönliche Worte. Doch er stößt an Grenzen, wie er später erzählt. Früher habe er einfache Gemeindearbeit gemacht. "Hier aber geht es um existenzielle Nöte." Abschiebungen, laufende Asylverfahren, Familienangehörige, die noch auf der Flucht sind: "Oft weiß ich kaum noch, wie ich das alles bewältigen soll."

 

 

 

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