Predigt – Textbeispiel

Thema: Die Anrede Gottes und gerechte Sprache

Geheiligt werde Dein Name

Das VaterUnser setzt ein mit der Aufforderung, den Namen Gottes zu heiligen. Was bedeutet es, den Namen Gottes zu heiligen? Wie hat Jesus dies gemeint und wie können wir den Namen Gottes heilighalten?

Jesus lebte und glaubte als frommer jüdischer Mensch, dass die Gotteskraft eingeschrieben ist in die biblischen Schriften. Für ihn war diese der Tanach (Tora, Propheten, Schriften), die hebräische Bibel, die wir Christ*innen das Alte oder das Erste Testament nennen.

Die Heiligung des Gottesnamens durchzieht die gesamten biblischen Schriften, Altes und Neues Testament. Die Zehn Gebote beginnen mit der Heiligung Gottes und seines Namens:

„Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus, herausgeführt hat. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir,“ (1 Mose 20,1f) und „Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen,“ (1 Mose 20,7).

Das wichtigste jüdische Gebet, das Kaddisch, welches mehrmals am Tag gesprochen wird, beginnt - wie das VaterUnser - mit der Heiligung des Gottesnamens: „Erhoben und geheiligt werde sein großer Name...“. Beten ist die Anrufung des Namen Gottes. Auch wir beginnen jeden unserer Gottesdienste: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Doch was ist der Name Gottes?
Textquelle: Dr. Ulrike Metternich

Predigtbausteine zum Hohelied (Hld 1,15-2,17) mit Anmerkungen von Magdalena Möbius

1.

Es gibt ja diesen berühmten Test für Filme, den Bechdel-Test. Vor 30 Jahren hat die Comiczeichnerin Alison Bechdel die Idee dazu in einem ihrer Cartoons aufgebracht. Mit dem Bechdel-Test lässt sich herausfinden, ob Frauen in einem Film wirklich eine Rolle spielen. Vier einfache Kriterien werden geprüft: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen diese Frauen miteinander? Unterhalten sie sich über etwas Anderes als über einen Mann? Haben sie einen eigenen Namen? Erschreckend viele Filme fallen nach wie vor durch – unter den 2017 für den Oscar nominierten fast die Hälfte, 2018, dem Jahr von #MeToo, immer noch zwei von neun. Und wenn ein Film besteht, dann oft nur ganz knapp. 

Wenden wir den Bechdel-Test auf die Bibel an, dann würden aus allen biblischen Büchern höchstens einzelne Kapitel bestehen. Aber das Hohelied, das ragt heraus. Das ist so wohltuend, ein biblisches Buch aus der Perspektive einer Frau! Die Frau steht im Mittelpunkt und hat den größten Redeanteil. Ja, sie spricht über ihren Geliebten und mit ihrem Geliebten, aber sich spricht auch über sich selbst. Und sie spricht mit anderen Frauen, den sogenannten Töchtern Jerusalems. Für mich steckt da ganz viel drin: Freund*innen, Frauen*solidarität, ein Schutzraum. Und nicht zuletzt: Die Frau spricht über ihre Mutter. Ich glaube, in der Bibel ist dies neben Mirjam und ihrer Mutter die einzige annähernd ausgeführte Mutter-Tochter-Beziehung. Wie schön, dass es diese Frau in der Bibel gibt! Eine Frau, die mit und über Frauen spricht, die sich selbst schön findet, die ihr Begehren beim Namen nennt, die in wunderschönen Bildern vorgestellt wird. Ich bewundere ihre Zielstrebigkeit und bin begeistert darüber, dass ihre Ekstase so offen zu Wort kommt.

2.

Manche zweifeln daran, ob das Hohelied überhaupt in die Bibel gehört. Sie meinen, es sei bloß eine Sammlung von menschlichen Liebesliedern. Sie weisen nach, dass es an keiner Stelle ausdrücklich von Gott redet, und finden, dass das Buch nicht spirituell sei. 

Und tatsächlich: Das Hohelied ist ein Liebeslied, ein menschliches Liebeslied mitten im Ersten Testament – aber was für eines! „Mein Freund gehört mir und ich ihm“ (Hld 2,16). Zunächst einmal wird da eine leidenschaftliche Beziehung geschildert, die sich ganz und gar auf Augenhöhe abspielt. Schon in den ersten beiden Versen unseres Textes heißt es in parallelen Worten: „Sieh doch, du bist schön, meine Freundin … Sieh doch, du bist schön, mein Geliebter“ (Hld 1,15f.).[1] Da sprechen zwei Liebende, die einander körperlich, in all ihrer Schönheit wahrnehmen, die einander ermöglichen, sich selbst als schön wahrzunehmen. Zwischen ihnen eine Gegenseitigkeit, die nicht vereinnahmt, sondern beiden Freiheit zum Eigenen gibt: „Steh auf, für dich, meine Freundin“ (Hld 2,13). „Wende dich, zu Dir, mein Freund“ (Hld 2,17). Und ihr gegenseitiges sinnliches, sexuelles Begehren wird unverhohlen ausgedrückt: „Seine Linke – unter meinem Kopf und seine Rechte umfasst mich“ (Hld 2,6).

Ja, das Hohelied ist ein Liebeslied, geradezu der Prototyp eines Liebesliedes, immer wieder aufgegriffen in der Literatur, mannigfach vertont. Und es ist ein Statement, ein Kommentar, ein Gegengewicht zu so vielen Texten der Bibel, die eine ganz andere Sprache sprechen. Ich denke an so manchen prophetischen Text, in dem weibliche Sexualität geradezu zum Negativbild einer guten Gottesbeziehung wird. Das Volk Israel, sonst meist männlich benannt, wird da als Hure bezeichnet, die sich an andere Gottheiten verkauft.[2] Und die am Ende doch von Gott, ihrem Ehemann, wieder gnädig aufgenommen wird. Was für ein Sexismus, mit dem jüdische und christliche Theolog*innen sich zum Glück schon lange kritisch auseinandersetzen! Eine Traditionslinie, die unsere christliche Geschichte durchzieht und zu einem Bild der Frau als Sünderin und Verführerin beigetragen hat. Wie gut, dass es das Hohelied gibt, in dem das alles so grundlegend anders ist!


[1] Ich empfehle, den Bibeltext im Liedblatt abzudrucken, dann aber immer wieder aufzufordern, ihn beiseite zu legen und einfach zu hören.

[2] F. van Dijk-Hemmes hat die intertextuellen Verbindungen zwischen Hld und dem Hoseabuch herausgearbeitet: vgl. In Thöne, Yvonne Sophie: Liebe zwischen Stadt und Feld. Raum und Geschlecht im Hohelied, S. 101f,

3.

Es ist zu vermuten, dass das Hohelied in der Zeit, als das Erste Testament zusammengesetzt wurde, bewusst aufgenommen wurde, um Gegenbilder zum Mainstream aufzubewahren. Es sind Bilder aus teilweise uralten Liedern, deren Motive tief in die Bildwelt altorientalischer Religiosität entführen. Mir gefällt es, dass darin auch Bilder von archaischen Göttinnen und Göttern wiederzuerkennen sind, Motive aus der Zeit bevor der Gott Israels als der EINE verehrt wurde.

Wenn in Hld 2,17 der Geliebte als Gazelle und Hirsch beschrieben wird, dann sind das Tiere, die im Alten Orient zu Gottheiten gehörten. Sie stehen für die Überwindung des Todes in der Wüste. An anderen Stellen sind es die Brüste der Frau, von denen es heißt:[1] „Deine zwei Brüste / wie zwei Kitze / der Hirschkuh Zwillinge / die unter Lotusblüten weiden“ (Hld 4,5). So werden die Tiere zu einem doppelt starken Bild des nährenden Lebens.[2] Der Lotus aus Hld 2,1 ist ein Symbol für die Überwindung des Todes angesichts gefährlicher Gewässer. Auch die Taube, mit der die Augen der Liebenden in Hld 1,16 verglichen werden, ist ein solches Motiv. Im Alten Orient galt sie als Botin der Liebesgöttinnen. Als religiöses Symbol hat sie überdauert und steht in unserer Tradition bis heute für die Heilige Geistkraft. 

Wie schön, dass diese Bilder nicht nur im Museum stehen, sondern in meiner Bibel. So kann ich mit meiner Spiritualität einen Faden ziehen – 3000 Jahre zurück zu den Bildern, die die Menschen damals für das Göttliche gefunden haben. Ich freue mich auch an dieser reichen Bildsprache, weil sie für mich eine der Spuren ist, auf denen wir die Vielfalt an Gottesbildern in unserer eigenen religiösen Tradition wiederentdecken können. Mehr noch: Die „weibliche Seite“ Gottes, die, wenn wir genau hinsehen, an vielen Stellen des Ersten Testaments durchscheint. Ich mag es bis heute, an diese uralte Tradition anzuknüpfen und mir damit ein Stück Vielfältigkeit der religiösen Bilder zurückzuerobern.[3]


[1] Carol Meyer arbeitet in „Gender imagery in the song of songs“ heraus, dass das Hohelied damals gängige Geschlechterzuordnungen in der Tiermetaphorik (sowie militärischer Metaphorik) überschreitet, indem es wilde Tiere auch dem Weiblichen zuordnet.

[2] So Keel, Othmar in Erotik als Amulett gegen den allgegenwärtigen Tod, in: JBTh 19, Leben trotz Tod, S. 57-58. Silvia Schroer benennt in Rusterholz/Zwahlen (Hgg.): Liebe und Tod. Gegensätze – Abhängigkeiten - Wechselwirkungen, Bern u. a., 2006, S. 37 Gazellen und Hinden als Begleittiere der Göttinnen.

[3] Hier kann auf das Lied „Mothering God“ und seine Geschichte hingewiesen werden, wenn Sie es als Bekenntnis und/oder Tanz in Ihren Gottesdienst eingebaut haben: Singt Jubilate 115.

4.

Ich selbst verehre Gott nicht als Liebesgöttin oder als Amor, aber ich kann die verstehen, die dem erotischen Erleben eine spirituelle Qualität zusprechen. Dorothee Sölle und Pierre Stutz gehören dazu. Als spirituell empfinde ich die Art und Weise, in der das Hohelied Liebe, Sinnlichkeit und Körperlichkeit besingt. Und auch, wie seine Lieder das Auf und Ab der Liebe skizzieren: Nähe und dann Trennung, Suchen und Umherirren. Die Frau gerät in Gefahr, sie wird belästigt, eine Vergewaltigung ist umschrieben (Hld 5,7). Doch immer wieder finden die beiden Liebenden zueinander, suchen einander auf oder fliehen miteinander an einen eigenen Ort, der nur ihnen gehört.

Immer wieder kehrt dann eine große Ruhe ein. Das Liebespaar nimmt sich Zeit füreinander und gibt einander Raum. So wie in den weiteren Versen unseres Predigttextes, die in mehrfacher Hinsicht das Bild eines paradiesischen Gartens in Erinnerung rufen. Die Liebende kann sich selbst als Blüte beschrieben und ihren Geliebten als Apfelbaum, unter dem ihre Lust einen Ort findet, ja, den sie schmecken möchte: „In seinem Schatten mein Begehren / ich lasse mich nieder / und seine Frucht ist meinem Gaumen süß“ (Hld 2,3). Das ist mit Sicherheit doppeldeutig zu hören! Paradiesisch[1] klingt das Ganze nicht nur, weil Liebe und Eros in den verlorenen Garten Eden entführen, sondern weil eins der wichtigen Motive aus der Schöpfungserzählung der Genesis aufgenommen ist, nämlich die Frucht. Vor der erfüllten ekstatischen Vereinigung teilen zwei Menschen miteinander die Frucht – und sie werden nicht vertrieben! Das ist geradezu ein Spiegelbild, ja eine Umkehrung der Paradieserzählung. Schon dadurch ist das Hohelied mehr als eine profane Sammlung von Liebesliedern – es ist selbst eine theologische Aussage. 

Die Liebende ist „krank vor Liebe“ (Hld 2,5), aber der Geliebte ist da und so kann sie die Frauen Jerusalems beschwören, der Liebe ihren Raum, ihre Zeit zu lassen, sie nicht zu stören …


[1] Zum Paradies-Motiv ausführlich Phyllis Trible in Gott und Sexualität im Alten Testament, Gütersloh 1993, 169-189

5.

… und sogleich gleitet das Lied ins Träumerische (Hld 2,8-17): Die Liebende sieht den Geliebten zu sich laufen, sieht Trennung und Nähe, spürt den Frühling, sieht Früchte, riecht Düfte, hört die Aufforderung zum Aufbruch, große Sehnsucht, zärtliches Locken, eine liebevolle Begrüßung. Dazwischen flirren die rätselhaft verspielten oder gefährlichen Füchse und zuletzt scheint sie ihn wieder gehen zu lassen. Oder treffen sie sich, beide ganz bei sich, auf den zuvor trennenden Gipfeln? Fast klingt es, als wären sie selbst auf einmal Hirsch und Gazelle.

Ohnehin finde ich es nicht wichtig, dass im Hohelied konkret nur die Liebe zwischen einer Frau und einem Mann beschrieben wird. Ich hoffe, dass alle ihr Begehren in dieser wunderbaren Liebeslyrik entdecken können. Dass sich auch Männer mit der Stimme der Frau und Frauen mit der des Mannes identifizieren können, dass Lesben und Schwule und Menschen aller Geschlechter ihre Liebe wiederfinden dort können, dass jede Person sich im Spiegel dieser erotischen Poesie schön und begehrenswert fühlen kann. Und nicht zuletzt, dass wir aufhören, die Vielfältigkeit von Begehren und Erotik, die jede und jeder von uns kennt, voreinander und vor uns selbst zu verstecken.

6.

Ich möchte noch einen letzten Schritt weitergehen: Die Liebe zu Gott ist für mich in all das eingeschlossen. Auch sie kann leidenschaftlich sein, auch sie kann einen Eros haben. Wir haben davon gesungen in dem Lied ›Gott ist gegenwärtig‹ (EG 165).[1] Dort heißt es: „Wunder aller Wunder / ich senk mich in dich hinunter. / Ich in dir, du in mir, / lass mich ganz verschwinden, / dich nur sehn und finden.“ Nicht von ungefähr kommt so ein Lied aus der pietistischen Bewegung des 17. Jahrhunderts, die wieder mehr Innigkeit in die Frömmigkeit brachte. 

Auch die Mystiker*innen aller Zeiten wissen viel davon zu erzählen, wie leidenschaftlich ihre Liebe zu Gott ist, wie leidenschaftlich sie von Gott geliebt sind. Ich will nur ein Beispiel aus dem 13. Jahrhundert zitieren: Mechthild von Magdeburg. Sie lebte um 1207-1282 und schrieb:

„Die Braut ward trunken beim Anblick des edlen Antlitzes [des Erlösers].

In der größten Stärke kommt sie sich selbst abhanden. [...]

Je zärtlicher Gott gegen sie ist, umso höher wird sie entrückt.

Je schöner sie vom Anblick Gottes aufleuchtet, umso näher kommt sie ihm. [...

Je enger das Minnebett wird, umso inniger wird die Umarmung.

Je süßer das Mundküssen, umso inniger das Anschauen.

Je schmerzlicher sie scheiden, umso reichlicher gewährt er ihr.

Je mehr sie verzehrt, umso mehr hat sie.

Je mehr sie brennt, umso schöner leuchtet sie.

Je mehr sich Gottes Lob verbreitet, umso größer bleibt ihr Verlangen.“[2]

Da ist kein Unterschied mehr zwischen dem Eros in der Gottesbeziehung und dem zwischen Menschen. Und ist es nicht so? Sind es nicht die gleichen Gefühle? Ja, sitzt die Liebe zu Gott nicht an den gleichen Stellen im Körper? Die Mystik sieht es so! 

Ich finde es legitim, auch für die Liebe zu Gott an das Hohelied anzuknüpfen. Weil es die Liebe zwischen zwei Menschen beschreibt, kann die Mystik auch für die Liebe zwischen Gott und Mensch auf seine Texte zurückgreifen. Die Liebe versetzt uns ins Paradies und erinnert uns mit unserem ganzen Sein daran, dass wir geschaffen sind zu einem Bild Gottes – schon allein deswegen muss die Erotik nicht geteilt werden. Mir gefällt die Idee, die Rollen verschieden verteilt zu lesen: Wie wirkt es, wenn Gott die Geliebte ist, die Wunderschöne, die Sehnsüchtige, die mal auf mich wartet und ein anderes Mal mich sucht? Und wie, wenn Gott der Geliebte ist, der die Geliebte ruft: Steh auf, meine Freundin?


[1] Alternativ können Sie auf EG 400 und die Verse „Ich will dich lieben meine Stärke ... mit immerwährender Begier ... bis mir das Herze bricht.“ hinweisen. 

[2] Das fließende Licht der Gottheit, I, 22 (Auszug).

7.

Wie wir es auch lesen, es ist schön, dass wir es haben, dieses weiblichste Buch der Bibel, in dem eine Frau die Hauptrolle spielt. Eine Frau, die Beziehungen zu Männern und Frauen beschreibt. Eine Frau, die, so wie sie ist, als schön beschrieben wird. Eine Frau, die von sich selbst sagen kann: „Ich bin eine Lilie des Scharon / eine Rose der Täler“ (Hld 2,1). Ich wünsche uns, dass wir so viel wie möglich davon erleben und lustvoll genießen können: Uns lieben, uns lieben lassen, andere lieben, andere lieben lassen –  und diese wunderbare Verliebtheit in Gott.

Und der Friede Gottes, der paradiesische Friede Gottes, der höher, größer, umfassender, erotischer ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Ewigkeit, Amen.

Anmerkungen der Arbeitsgruppe

Es wird empfohlen den Stern * zu verwenden und diesen durch eine Sprechpause beim Lesen anzuzeigen. 

Beispiele: Mystiker*innen, Freund*innen, Theolog*innen

In diesem Beispiel wird gezeigt, dass die Gruppe Frauen nicht einer einzigen biologischen Gruppe zuzuordnen ist: Frauen*solidarität

Es wird empfohlen, Anführungszeichen zu setzen und zu denken, um zu zeigen, dass eine Binarität Weiblichkeit und Männlichkeit eine Konstruktion und kein biologischer Befund ist: z. B. Die „weibliche“ Seite Gottes. Besser wäre es, Auszudrücken, was ausgesagt werden soll – Begehren, Lieben, Sorgen, Nähren, etc. zu benutzen, um keine stereotypen Zuschreibungen zu wiederholen. Körperliche Vorstellungen zur Zeit des Hoheliedes waren viel fließender als heute. 

Ulrike E. Auga

Gendergerechte Überlegungen zum Vater-Unser von Ulrike Metternich

Predigten Bausteine Thema: Die Anrede Gottes und gerechte Sprache, Geheiligt werde Dein Name von Dr. Ulrike Metternich

Predigten Bausteine
Thema: Die Anrede Gottes und gerechte Sprache
Geheiligt werde Dein Name

Dr. Ulrike Metternich

Dein Name
brüchig geworden
von unseren Worten.
Ich schweige
Deinen Namen,
den nur das Herz weiß.

(A.S. Naegeli, Umarme mich, Herder,2018,40)

Das VaterUnser setzt ein mit der Aufforderung den Namen Gottes zu heiligen. Was bedeutet es, den Namen Gottes zu heiligen? Wie hat Jesus dies gemeint und wie können wir den Namen Gottes heilig halten?

Jesus lebte und glaubte als frommer jüdischer Mensch, dass die Gotteskraft eingeschrieben ist in die biblischen Schriften. Für ihn war diese der Tanach (Tora, Propheten, Schriften), die hebräische Bibel, die wir Christ*innen das Alte oder das Erste Testament nennen.

Die Heiligung des Gottesnamens durchzieht die gesamten biblischen Schriften, Altes und Neues Testament. Die Zehn Gebote beginnen mit der Heiligung Gottes und seines Namens:

Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus, herausgeführt hat. Du sollst keine andern Götter haben neben mir,“ (1 Mose 20,1f) und „Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen,“ (1 Mose 20,7). Das wichtigste jüdische Gebet, das Kaddisch, welches mehrmals am Tag gesprochen wird, beginnt - wie das VaterUnser - mit der Heiligung des Gottesnamens: „Erhoben und geheiligt werde sein großer Name...“. Beten ist die Anrufung des Namen Gottes. Auch wir beginnen jeden unserer Gottesdienste: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Doch was ist der Name Gottes?

Gott hat in der Hebräischen Bibel einen Eigennamen „JHWH“, vier Konsonanten. Dieser Gottesname kommt im Ersten Testament/AT 6828 mal vor, doch wie soll er gesprochen werden? Ohne Vokale ist er unaussprechlich. Der Name Gottes soll geheiligt werden und nicht laut gesprochen werden, so die jüdische Tradition. Um die Heiligkeit des Gottesnamen zu bewahren, wurde, so lange der Tempel in Jerusalem stand, nur ein einziges Mal im Jahr am Versöhnungstag (Jom Kippur) im Allerheiligsten und nur allein vom Hohepriester der Eigenname Gottes laut gesagt. Mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahr 70 n.Chr. endete diese Praxis. Deshalb weiß heutzutage keiner, wie der Eigenname Gottes klingt.

Aber wie gehen wir damit um, dass der Gottesname 6828 mal in der Bibel steht? Eine jüdische Person, die im Bibeltext die Konsonante JHWH sieht, weiß sofort: hier steht der heilige und unaussprechliche Name Gottes. Der Name wird gesehen, aber ausgesprochen wird er nicht. Ein kurzes Zögern und einen kleinen Moment zum Nachdenken braucht es, um ein Wort zu finden, das laut gesagt werden kann: „Adonaj,“ (mein Herr), „Ha-Schem“ (der Name), „Ha-Makom“ (der Ort) oder im Deutschen „der Ewige“, „der Heilige“, „der Lebendige“.

Als Martin Luther das Erste Testament/AT aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzte, hat er um die Heiligkeit dieses Gottesnamens gewusst und überlegt, wie er den Namen Gottes wiedergeben sollte. Luther hat sich entschieden, immer dort, wo die vier Konsonanten des Gottesnamens stehen, vier Buchstaben zu verwenden und wählte das deutsche Wort „Herr“. Um zu verdeutlichen, dass hinter diesen vier Buchstaben JHWH steht, hat Luther sie in Großbuchstaben HERR gesetzt. Deshalb steht heute in unserer Lutherbibel 6828 mal „HERR.“ „HERR“ großgeschrieben, so hat Luther die Heiligkeit und Unaussprechlichkeit des Gottesnamens gekennzeichnet. Die christliche Tradition hat oft vergessen, dass diese vier Buchstaben eine Platzhalterfunktion haben. Damit ist auch verloren gegangen, dass wir, wie im Judentum üblich, die vier Konsonanten sehen, kurz innehalten und überlegen, welchen Gottesnamen wir laut aussprechen wollen. Um die Gottesanrede für unsere Gegenwart lebendig zu machen hat die „Bibel in gerechter Sprache“ immer dort, wo in der hebräischen Bibel der heilige Gottesname JHWH steht, einen grauen Hintergrund unter die jeweilige deutsche Wiedergabe des Gottesnamens gesetzt. Zudem werden den Bibelleser*innen vielfältige mögliche Gottesanreden angeboten. Es lohnt sich diese Vorschläge anzusehen und ihnen nachzuspüren.   

Jede Gottesbezeichnung drückt aus, wer Gott für uns ist. Neben den vielen dort genannten Gottesanreden können wir auch die Fülle der Gottesanreden der Psalmen aufnehmen, z. B. „Du bist mein Hirte“ (Ps 23,1), „Du bist mein Licht, mein Heil, meine Lebenskraft“ (Ps 27,1), „Sonne und Schild“ (Ps 84,12) und vieles mehr. Wir können uns anregen lassen, darüber nachzudenken, wie wir in unseren Gottesanreden, die Sehnsucht nach Gottes Nähe mitschwingen lassen können. Den Namen Gottes zu heiligen heißt auch für uns, zu wissen, dass der heilige Name Gottes unaussprechlich ist. Wir könnten einen Moment zögern und innehalten, wenn wir die Buchstaben HERR/JHWH im Bibeltext sehen. Welche Gottesanrede wollen wir laut aussprechen? Was bedeutet das Gebet Jesu: „Geheiligt werde Dein Name...“ für unsere gottesdienstliche Praxis?

Predigt über das Vater-Unser von Ulrike Metternich

Vater-Unser-Predigt, Predigt zum Mirjam-Sonntag 2011

Ein Gebet, das mir immer aus der Seele spricht – 

Kennen Sie das, dass bei der gleichen Sache immer etwas anderes wichtig ist?
So geht es mir mit dem Vater Unser, dem Gebet, das Christ*innen weltweit vielleicht am häufigsten sprechen, für mich jedenfalls ist es das Gebet, das ich am häufigsten spreche. 

Manchmal ist mir am wichtigsten: Geheiligt werde dein Name
Weil dieses Wort „geheiligt“ schon so schön ist, dass es eine ganz besondere Atmosphäre schafft. Wenn ich es ausspreche, breitet sich Heiligkeit aus. Indem wir es gemeinsam sprechen, schaffen wir einen heiligen Raum. Geheiligt. 

Manchmal ist mir am wichtigsten:
Dein Reich komme
Dein Wille geschehe
Wie im Himmel so auf Erden
Die Gemeinden des Neuen Testamentes haben in einem Reich gelebt, das sie täglich Gewaltherrschaft spüren ließ. Und trotzdem beteten sie: Dein Reich komme, dein Wille geschehe. Von Gottes Königsherrschaft, von Gottes Königsein erwarteten sie eine gänzlich andere Form des Miteinanders.
So spreche ich es auch, mit Betonung auf dein. Mit dem Wissen darum, dass Gottes Reich ganz anders ist, als alle Reiche, die durch menschliches Herrschaftsdenken errichtet werden.
Ein Reich nach Gottes Willen: Dein Wille geschehe. Das heißt: die Menschen richten sich aus nach Gottes guten Weisungen
Wie im Himmel so auf Erden: So kommt der „Himmel“ der Erde ganz nah, so durchdringt Gottes Sein unser ganzes Leben wie die Luft unseren Körper durchströmt.

Im Zentrum des Gebetes sprechen wir: Unser tägliches Brot gib uns heute. Manchmal ist mir das am wichtigsten:
Ich denke dabei an ein richtig gutes saftiges Vollkornbrot mit Butter, einer der höchsten Genüsse, die ich mir vorstellen kann. Oder ich denke an ein frisches Weißbrot, außen harte Kruste innen federweich. Oder ein noch warmes Fladenbrot aus dem Steinofen. Welch ein Duft breitet sich um mich herum aus!
Ich denke auch an das Brot, das so vielen zum Leben fehlt.
Ja, ich denke an die Ungerechtigkeit der Verteilung der Güter, ich denke daran, dass mit unserem absurden und überhaupt nicht lebendigen Reichtum an schmutzigen Gütern Millionen Menschen die Lebensgrundlage entrissen wird.
Unser tägliches Brot gib uns zum Teilen, auf dass es Brot zum Leben, Brot des Lebens werde. 

Manchmal ist mir am wichtigsten: Und vergib uns unsere Schuld
– wenn ich merke, wie verstrickt ich in weltweit verwickelte böse Angelegenheiten bin, dann klingt hier wirklich der Begriff Schulden in finanzieller Hinsicht an. Ich kaufe bei Modeketten oder beim Discounter billige Kleidung und weiß: Dafür arbeiten Frauen auf den Feldern, in den Färbereien, Stofffabriken und Nähereien unter gesundheitsschädlichen und ausbeuterischen Bedingungen. Ich bin diesen Arbeiter*innen etwas schuldig, ich bin mit Schuld daran, dass Menschen in Schuldknechtschaft sind.

Oft aber spreche ich diesen Satz auch ganz persönlich: wenn ich mal wieder nicht aus meiner Haut kann meinem Partner gegenüber, meinen Kindern nicht gerecht werde, meinen Kolleg*innen zusätzlich Arbeit mache …
Und plötzlich fällt mir auf, dass es nicht mich heißt, sondern uns. Ich muss nicht allein aus diesen Verstrickungen herauskommen, ich muss mich nicht allein rechtfertigen.
Gemeinsam können wir beten und uns auf Gottes Welt ausrichten: 

Wie auch wir vergeben, jenen, die uns etwas schulden.
Da ist mir wichtig, dass dieser Satz keine Bedingung ist, keine Voraussetzung der Vergebung durch Gott oder die anderen, es ist ein Ineinanderwirken. Bei Gott ist Vergebung. Ich erfahre Vergebung. Ich kann anderen vergeben. Ich vergebe anderen, ich kann Vergebung annehmen.

In diesem Sinn hat die abschließende Bitte ihre große Bedeutung:
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen
Gott ist bei uns in allen Zerreißproben zwischen Gottes gerechter Welt und den Versuchungen zum Bösen. Gott führt durch die Versuchungen. Ich bitte: „Gott, begleite mich in der Versuchung! – Gott, begleite uns in der Versuchung“
Ich finde Geborgenheit in der Gemeinschaft der Betenden. Der Vielen, die im Gottesdienst neben mir beten. Der Vielen, die dieses Gebet auch sprechen.
denn
Gott kann uns aus den Verstrickungen erlösen. Wenn wir gemeinsam nach den Weisungen Gottes leben, entsteht Gottes gute Welt unter uns und um uns.
Oft ist für mich der stimmigste Gedanke: Und bewahre mich davor, in Resignation zu versinken – vielleicht ist dies die größte Versuchung.

Sie werden merken, ich habe mich bisher davor gedrückt, über den Anfang zu sprechen:

Vater unser im Himmel
Er geht mir tatsächlich immer wieder schwer über die Lippen.
Sollte ich Gott immer wieder ausschließlich Vater nennen? Das ist ein Bild, das für mich eigentlich für Gott
nicht stimmt
Vater im Himmel – festige ich damit nicht das Bild des unerreichbaren Gottes?
Es wird gesagt, dass diese Anrede doch gerade Gott als Gegenbild gegen die Herrscher der Welt stellen will. Es wird gesagt, dass diese Bezeichnung Gottes liebevolles Wesen vermitteln will.
Ich sage: es hat aber Jahrhunderte lang anders gewirkt. Es hat weibliche Gottesbilder verdrängt, ja es hat die Vorherrschaft der Väter und männlichen Führer gefestigt.
Hilft es, wenn wir das Bild der idealtypischen Mutter hinzufügen?
Vielleicht kann ich sagen:
Gott, Vater, der wie eine Mutter ist; Gott, Mutter, die wie ein Vater ist, ein solches Paradox könnte mir gefallen!

Das wird der Heiligkeit des Namens gerecht: indem wir beten „geheiligt werden dein Name“ durchbrechen wir die Einseitigkeit männlicher Gottesbilder, ja durchbrechen wir die Einseitigkeit jeglicher Gottesbilder. Ein heiliger Name kann nicht allein männlich sein. In der Heiligkeit des Namens stecken alle nur erdenklichen Namen und Bilder für Gott gleichzeitig. Welch ein Glanz: diese Fülle von Bildern für Gott. In einer Fülle von Weisen umgibt mich Gott. In einer Fülle von Weisen begegnet mir Gott. In einer Fülle von Weisen wirkt Gott in mir und durch mich, wenn ich sage „geheiligt werde dein Name“.

Manche leiten das Vater Unser ein: „Du Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel“. Manchmal wünsche ich mir, dass wir so in all unseren Gottesdiensten sprechen würden, dass wir endlich die einseitig männliche Art von Gott zu sprechen verlassen würden.
Bis dahin habe ich die innere Freiheit, diese Einseitigkeit hinter mir zu lassen. Mit der Heiligung des Gottesnamens lassen wir die glänzende Fülle der Vielfalt der Gottesbilder erstrahlen. Vom Himmel auf die Erde.

Dies wissend spreche ich voll Freude: Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit
Diese Gotteskraft, die um, in und durch Menschen wirkt und Gottes Welt immer wieder entstehen und aufleuchten und lässt, das ist Gottes Glanz, den wir mit Herrlichkeit übersetzen.

Und manchmal ist mir die Ewigkeit das Liebste. Dieser Raum Gottes, der größer ist als die Welt, die wir übersehen können. Nicht eine zweidimensionale Zeit, kein Zeitstrahl von hier bis da, sondern so vieldimensional wie Gott. Die Ewigkeit, eine Zeit, die die Angst vor Anfang und Ende nimmt, die alles umfasst, was über unser kleines und doch so großes Leben hinausgeht.

Amen. So ist es, so wirke es unter uns– willkommen im Glanz!

Und was ist Ihnen gerade am wichtigsten am Vater Unser? 

Nehmen wir uns bei Musik ein wenig Zeit, dem nach zu sinnen.

Hier können Bilder von Ulrich Hansmeyer per Beamer per Internet angeboten werden

Musik zum Nachdenken

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus
Amen

Magdalena Möbius in Zusammenarbeit mit der AG Mirjamarbeitshilfe

Anmerkung der Arbeitsgruppe

Christen und Christinnen wurde durch Christ*innen ersetzt, welches die Binarität geschlechtlicher Zugehörigkeit überwindet.

Arbeiterinnen wurde durch Arbeiter*innen ersetzt.

Schuldigern wurde ersetzt: Wie auch wir vergeben, jenen, die uns etwas schulden.

Anstatt von Vater und Mutter zu sprechen, kann das Wort Eltern bzw. elterlich verwendet werden. Es vermittelt eine Sorge ohne geschlechtliche Zugehörigkeit.

Ulrike E. Auga

Weg zur Predigt

Ein Bindeglied zwischen Exegese und Predigt, die von den Erkenntnissen der Exegese zu Überlegungen führt, was wir heute zum Ausdruck bringen wollen

Überlegen Sie in ihrer Vorbereitungsgruppe, was Ihnen die Worte des Vater Unser heute bedeuten und was sie im Zusammenhang mit Geschlechterstereotypen und geschlechtlich kodierter Gewalt heute bedeuten.

Was ist für Sie wichtig, wenn Sie vom Willen Gottes sprechen,

was wollen Sie stark machen, wenn Sie vor Augen führen wollen, was mit dem Begriff „Reich Gottes“ oder „Gottes gerechte Welt“ gemeint ist?

Was fällt Ihnen zum Begriff Versuchung ein, welche Verstrickungen wollen Sie benennen?

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