Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Inhalt springen
InstagramRSSPrint

Interview mit LEADER-Regionalmanagerin Grit Körmer

Ein Gespräch über Brandenburg und die Europawahl, ländliche Entwicklung und Kirche

Man erkennt ein angeschnittenes Portrait von Grit Körmer, Regionalmanagerin bei der Lokalen Aktionsgruppe Märkische Seen e. V.
Grit Körmer, Regionalmanagerin bei der Lokalen Aktionsgruppe Märkische Seen e. V.

Was hat das LEADER-Programm mit Regionalentwicklung zu tun? Warum ist der Green Deal der Europäischen Union (EU) als „große Überschrift“ zu verstehen? In welche Teile dieses EU-Ansatzes lässt sich der LEADER-Ansatz einsortieren? Kann die Arbeit der Europäischen Union in den ländlichen Räumen auch von Digitalisierungs-Ansätzen profitieren oder ist das kritisch zu sehen? Und im Europawahljahr 2024 besonders relevant: Inwiefern gibt ein bottom-up-Ansatz auch der Demokratie in der Europäischen Union neuen Schwung?

Dazu lesen Sie hier ein Interview mit einer Regionalmanagerin – hauptamtliches Management einer LEADER-Region im Osten Brandenburgs. Lokale Aktionsgruppe Märkische Seen e. V. – der Name „ihrer“ lokalen Aktionsgruppe beschreibt die Gebiete, um die sie sich kümmert, sehr gut. Geborene Brandenburgerin, bringt sie 14 Jahre Erfahrung in der ländlichen Entwicklung mit. Sie ist auch aktiv im Verein „Dorfbewegung Brandenburg – Netzwerk Lebendige Dörfer“ und ist vor einiger Zeit in den „Sachverständigenrat Ländliche Entwicklung“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft berufen worden.

Können Sie den LEADER-Ansatz in drei Sätzen erklären?

Grundsätzliches Prinzip von LEADER ist der bottom-up-Ansatz, das heißt, es wird nicht von „oben“ entschieden, wie Förderung abläuft, sondern von „unten“. Es geht um eine Partnerschaft der lokalen Zivilgesellschaft, der Wirtschafts- und Sozialpartner und den politischen Gremien.
Die wichtigsten Akteure einer Region erarbeiten somit gemeinsam und entscheiden auch gemeinsam, wohin die Reise gehen könnte – wie die ländliche Entwicklung voran geht. Diese Akteure haben den Überblick, welche Projekte benötigt werden, welche Ansätze es in ihrer Region braucht.
Knapp gesagt: Diese Menschen vor Ort wissen am besten, welche Anreize in Ihrer Region gebraucht werden. Sie beraten gemeinsam darüber und entscheiden auch gemeinsam darüber.

Durch einen Bericht des Europäischen Rechnungshofes ist der „europäische Mehrwert“ des LEADER-Ansatzes in Frage gestellt. Was erwidern Sie, wenn Sie gefragt werden, welche Effekte im LEADER-Prozess mit Mainstream-Förderung nicht erreicht werden können?

Es hat mittlerweile eine Nach-Evaluierung zu dieser „europäischer Mehrwert-Frage“ gegeben, welche die aufgeworfenen Zweifel zerstreut. Sie schafft es sehr gut, den Mehrwert von LEADER herauszustellen. Direkt gesagt geht es bei LEADER um ein „über den Tellerrand“ Hinausschauen, bei dem auch andere Aspekte neben dem eigentlichen Förderprojekt mit einbezogen werden. Ein LEADER-Projekt wächst im besten Fall aus der eigenen Innenperspektive hinaus.
Die Förderung bezieht sich somit gut auf den Ort und die Region und findet nicht isoliert statt. So können Synergien über den eigentlichen Förder-Sachverhalt hinaus gehoben werden.

Der LEADER-Prozess kann als ein Teil des europäischen Green Deal gesehen werden, ein Ansatz, in dem verschiedene Bereiche, wie Klima/Energie, Naturschutz/Biodiversität, Kreislaufwirtschaft und Landwirtschaft regulatorisch und fördertechnisch adressiert werden. Inwiefern gibt es hier Chancen und Risiken für eine schon ältere europäische Erfolgsstory wie LEADER?

Ich glaube, der Green Deal beißt sich nicht mit dieser Erfolgsstory. Er bildet einen großen politischen Rahmen, „die große Überschrift“. LEADER ist in erster Linie immer eine Methode zur Entwicklung ländlicher Räume. Insofern ist es eine aktuelle Herausforderung an uns, dass wir mit der LEADER-Methode Inhalte des Green Deal mitgestalten.

Wenn Sie morgen im Jahr 2028 aufwachen würden und die Zukunft so gestalten könnten, wie Sie es für richtig halten – was wäre im Sinne des europäischen Green Deal und der LEADER-Förderung im nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union (MFR 2028-2034) entschieden worden?

Die Frage ist tatsächlich, ob dann LEADER aus der sogenannten 2. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union herausgelöst wird. Es wäre dem Stellenwert dieser Methode angemessen, wenn LEADER als eigenständige Regionalentwicklungspolitik fest verankert würde, als Rahmen zur europäischen Entwicklung ländlicher Räume. Das würde bedeuten, dass wir nicht bei jeder Entscheidung über den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen fürchten müssen, dass LEADER komplett in Frage gestellt wird.
Die bisherige Erfahrung mit der LEADER-Methode war positiv und sie bildet ein großes Vorbild für die CLLD-Prozesse (Community Led Local Development), die in der Folge entwickelt wurden. Es ist wichtig, dass dieses Vorbild weiter verstetigt und untersetzt wird. Zudem lebt die Hälfte der Bevölkerung der Europäischen Union in ländlichen Räumen. Und in diesen Räumen ist das Thema Landwirtschaft zwar ein bedeutsamer, aber nicht mehr der vorherrschende Wirtschaftsfaktor.

Laut aktuellen Sitzprojektionen für die Europawahlen (in Deutschland findet die Europawahl am 9. Juni 2024 statt) wird besonders der Teil des Europäischen Parlaments stärker, der von Expertinnen und Experten als rechtspopulistisch bis rechtsextrem verortet wird. Auch in Brandenburg können sich laut Umfragen viele Menschen vorstellen, in dieser Richtung ihre Stimme abzugeben. Kann der LEADER-Ansatz neuen Schwung für „die Demokratie in Europa“ bringen?

Der bottom-up-Ansatz ist ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Teilhabe. Wenn ganz viele Akteure gemeinsam entscheiden, was für die Region dringliche Handlungsbedarfe sind und was förderpolitisch sinnvoll ist, stärkt dies das gemeinsame Wirken unserer regionalen Akteure. Es ist vor dem Hintergrund der politischen Landschaft wichtig, unsere Entscheidungsgremien dabei zu begleiten und weiterzubilden, diese Teilhabe klug zu realisieren und gute Entscheidungen zu treffen.
Wie versorgt man Vorstände, ehrenamtliche Entscheidungsgremien mit dem nötigen Handwerkszeug, damit der bottom-up-Ansatz der LEADER-Förderung gut gelingt? Ich erlebe oft bereits jetzt, dass sich die lokalen Aktionsgruppen, die LEADER vor Ort mit Leben füllen, Demokratieprozesse vor Ort mitgestalten und Beteiligung ermöglichen. Wie bei allen Instrumenten ist es auch bei der LEADER-Methode so, dass es nicht reicht, das Instrument zu haben, es muss auch klug eingesetzt werden. Wir müssen mit dieser hilfreichen Methode auch im Kontext von „Demokratie in Europa“ verantwortungsvoll umgehen.

Update: Ein Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft der LEADER-Aktionsgruppen beschreibt einen aktuellen Hemmschuh für die ehrenamtlichen Entscheidungsgremien - den Umgang mit „Interessenkonflikten“:
Siehe Newsbeitrag Interessenkonflikte im LEADER-Projektauswahlverfahren


Ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft in ländlichen Räumen sind die Kirchengemeinden. In Brandenburg ist der gleichwohl der Prozentsatz der Mitglieder vergleichsweise gering. Welche Aufgaben übernehmen Ihrer Erfahrung nach diese relativ kleinen Gemeinschaften in Ihrer LEADER-Region?

Auch bei den Kirchengemeinden nehme ich partizipative Prozesse, gestalterische Prozesse wahr. Da ist viel Engagement dahinter. Für uns als Regionalmanagement ist dann die Frage: Wie bringen wir das zusammen mit der ländlichen Entwicklung? Wie kommen wir aus unseren abgegrenzten Bereichen heraus und reichen uns die Hände?
Die Frage, wie wir dieses Engagement verschränken, ist allerdings nicht so schwer zu beantworten, denn es geht um ähnliche Themen. Nämlich möglichst viele Menschen einer Gemeinschaft an dem, was man tut, auch teilhaben zu lassen und einmal aufzumachen und einen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Und sich den Anliegen der Menschen vor Ort zu öffnen. Die Kirchengemeinden bei uns in der LEADER-Region leisten hier eine wichtige Arbeit.

In Brandenburg war die zweite Stufe des Förderprozesses im LEADER-Programm nach dem positiven Votum einer LEADER-Region mit einem förmlichen Förderbescheid des brandenburgischen „Landesamts für ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung“ (LELF) bisher als sehr bürokratisch verschrien. Seit der Neufassung der LEADER-Förderrichtlinie in Brandenburg wird nunmehr nicht mehr papiergebunden agiert, sondern mit einem digitalen Antragsverfahren. Ist dies ein positives Beispiel für „Europa für das digitale Zeitalter“?

Ja, denn wenn wir über Vereinfachung reden, liegt in Digitalisierungsprozessen auch ein großes Potential. Dieser Übergang ins Digitale ist gut. Kritisch müssen wir uns immer fragen: Nehmen wir noch alle mit, wie halten wir zusätzliche Hürden und neuen, rigiden Umgang mit Menschen, die einen Antrag stellen, möglichst in einem akzeptablen Maß?
Natürlich geht es hier auch um Lernprozesse, die Plattform, von drei Bundesländern gemeinsam entwickelt wurde, hat gleichzeitig die Eigenschaften, die wir brauchen. Ich denke, hier brauchen wir auch ein wenig Geduld, bis sich alles gut eingespielt hat.

Was die Digitalisierung angeht, passiert auch in Kirchengemeinden mehr als gemeinhin bekannt ist. Wie kann das digitale Antragsverfahren in der LEADER-Förderung auch für Kirchengemeinden positive Effekte zeitigen?

Wenn das System des digitalen Antragsverfahrens gut funktioniert, ist es für alle beteiligten Stellen, auch für kirchliche Projekte, eine Erleichterung. Im Idealfall müssen wir nicht mehr leidigen Schriftverkehr mit großen Mengen an Dokumenten in Papierform umständlich verschicken, zudem kann ein digitales Antragsverfahren Fehlerquellen gegenüber einem papiergebundenen Antragsverfahren verringern.

Die Dorfkirchen sind oft sogenannte „ortsbildprägende Gebäude“ – was sind weitere Effekte von LEADER-Projekten im Zusammenhang mit Dorfkirchen neben dem Erhalt des Ortsbildes und der oft denkmalschutzrelevanten Aktivität an Ankerpunkten in den ländlichen Räumen?

Kirchliche Projekte leisten beispielsweise oft einen Beitrag zum Tourismus vor Ort. Die Identität in der Region wird gestärkt. In Dorfkirchen findet zudem sehr häufig die „Kultur“ im ländlichen Raum statt.
Gleichzeitig geht es für die Zukunft darum, Kirchen als Orte zu entwickeln, die wir mehr nutzen, als dass sie „immer mal aufgeschlossen werden“, um vereinzelte Veranstaltungen durchzuführen. Wie ist es Begegnungsräume zu schaffen, die Kirchenbänke einmal beiseite zu stellen und einen Raum zu entwickeln, wie die Gemeinschaft vor Ort ihn gerade braucht?
Natürlich in einer friedfertigen Weise und im Rahmen gemeinsamer Aushandlungsprozesse direkt vor Ort. Und immer in einer Weise, die einem Kirchenraum angemessen ist. Eine Kirche sollte nicht „nur“ für Taufen und Beerdigungen genutzt werden, dazwischen gibt es noch jede Menge Leben.

Viele Verantwortliche in Kirchengemeinden fragen sich, wie es in Brandenburg mit der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) weitergehen wird, bei deren Förderung für kirchliche Projekte in der Vergangenheit ebenfalls eine Zusammenarbeit mit der jeweiligen LEADER-Region erfolgte. Wissen Sie, was hier die nächsten Jahre bringen werden?

Der Bund als einer der Teile der öffentlichen Hand, welche die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz verantworten, bekennt sich sehr klar zu dieser im Grundgesetz verankerten Aufgabe.
Der Sonderrahmenplan ländliche Entwicklung wurde allerdings aufgehoben, was bedeutet, dass im Prinzip innerhalb der GAK-Förderung der Bundesländer selbst von Brandenburg entschieden werden kann, für welche Förderbereiche Geld zur Verfügung gestellt wird. Wenn der Fokus auf Agrarstruktur und Landwirtschaft liegt, gibt es aus der GAK-Förderung keine Mittel für die ländliche Entwicklung.
Es ist Aufgabe der Landtagsabgeordneten des Landes Brandenburg, hier darauf zu einzuwirken, dass die Entwicklung der ländlichen Räume in Brandenburg aus GAK-Mitteln wieder ermöglicht wird.

Vielen Dank für das Gespräch!


(Das Interview geführt hat Dr. Johan Wagner, Referent für Fördermittelrecht in der EKBO)

Sie sind noch nicht für unseren Newsletter angemeldet? Wenn Sie drei bis sechs Mal im Jahr zu ausgewählten aktuellen oder vollendeten Projekten und anderen Neuigkeiten aus unserem Bereich informiert werden möchten, melden Sie sich an:

Newsletter der Regionalberatung der EKBO

 Update 06/2024: Aktuelle News zum Positionspapier zu Interessenkonflikten im LEADER-Projektauswahlverfahren eingefügt, Veröffentlichungsdatum neu gesetzt