Vikariat

Vikariatsjahrgang 2022-24 mit Begleitenden

Die Ausbildung im Pfarrdienst

Das Vikariat ist die zweite und praktisch orientierte Ausbildungsphase auf dem Weg in den Pfarrberuf und dauert insgesamt 28 Monate. Neben praktischen Tätigkeiten in einer Kirchengemeinde oder der Erteilung von Religionsunterricht in Schulen gehören auch Ausbildungskurse im Predigerseminar in der Lutherstadt Wittenberg sowie eine Seelsorgeausbildung zum Programm, das die angehenden Pfarrerinnen und Pfarrer absolvieren werden. Mentorinnen und Mentoren, erfahrene Pfarrerinnen und Pfarrer, begleiten sie dabei. Neben der theologischen Reflexion und der Berufspraxis geht es in der Ausbildung auch um die notwendige Selbstorganisation sowie die Frage der so genannten work-life-balance, um die vielfältigen Aufgaben des Pfarrdienstes möglichst nachhaltig zu bewältigen.

Die Vikarinnen und Vikare werden in Berlin sowie in den Kirchenkreisen Mittelmark-Brandenburg und Barnim ausgebildet.

Was ist das Vikariat?

Kurz erklärt:

Das Vikariat ist nach dem Studium die zweite und letzte Ausbildungsphase, um Pfarrer bzw. Pfarrerin zu werden. Gemeindepädagoginnen und -pädagogen können ebenfalls ihr Vikariat absolvieren, zudem ist auch ein berufsbegleitendes Vikariat möglich. Die Ausbildung im Vikariat dauert 28 Monate. Die ersten sechs Monate wirken die Vikarinnen und Vikare im Evangelischen Religionsunterricht mit, wo je ein Mentor bzw. eine Mentorin sie begleitet. Hospitieren, Unterricht vorbereiten, ganze Einheiten unterrichten und eine Prüfung am Ende stehen auf dem Programm.

Danach folgt die 22-monatige Ausbildung in einer Kirchengemeinde, die von einem Pfarrer oder einer Pfarrerin als Mentor bzw. Mentorin begleitet wird. Die Arbeitsfelder eines Pfarrers werden erkundet und selbst erprobt: Gottesdienste gestalten, Menschen an den Wendepunkten ihres Lebens bei Taufen, Trauungen oder Bestattungen begleiten, Seelsorgegespräche führen, mit Konfirmanden arbeiten und Leitungsaufgaben wie die Teilnahme an den Sitzungen des Gemeindekirchenrates kennenlernen. Darüber hinaus bieten sich gemeindespezifische Bereiche an wie z. B. die Arbeit in einer Kita, diakonische Projekte, kirchenmusikalische Angebote, interreligiöse Begegnungen, übergemeindliche Kooperationen und vieles mehr.

Begleitkurse und Einheiten im Predigerseminar in Wittenberg zur Reflexion des pastoralen Dienstes unterbrechen die Arbeit in der Gemeinde. Dort tauschen sich die Vikarinnen und Vikare gemeinsam mit Studienleitern und Kollegen aus unserer, der mitteldeutschen, der anhaltinischen sowie der sächsischen Kirche über ihre Erfahrungen und ihre Praxis in den Gemeinden aus. Eine sechswöchige Seelsorgeausbildung ergänzt diese theoretische Ausbildung. Am Ende schließen die Vikare ihre Ausbildung mit dem zweiten Theologischen Examen ab.

Ein Vikariat ist eine unglaublich spannende, inspirierende und erfahrungsreiche Zeit: Vieles wird neu entdeckt, manches wird ausprobiert, eine stimmige Form im eigenen pastoralen Tun gilt es zu finden. Vikarinnen und Vikare bringen neue, frische Ideen in Schulen, Gemeinden und Pfarrkollegien und sie bereichern unsere Kirche.

Vikarinnen und Vikare im Interview

Interview mit Vikarin Milena Hasselmann

„Ich möchte in das tägliche Leben hineinwirken“

1. Was motiviert Sie, den Pfarrberuf anzustreben?
Mein Glaube trägt mich und ist mein Zugang zur Welt und zu Menschen. Das möchte ich gerne mit anderen teilen, von ihnen lernen und an sie weitergeben. Ich möchte mit dieser Lebensweise in die Gesellschaft und in das tägliche Leben hineinwirken. Ich glaube, dass der Pfarrberuf dazu viele Möglichkeiten bietet. Mir gefällt am Pfarrberuf, dass er Job und Leben vereint und immer ein bisschen beides ist.
 
2. Worauf freuen Sie sich im Vikariat besonders?
Ich freue mich darauf, vieles, was ich gelernt habe und worüber ich mir Gedanken gemacht habe, praktisch anzuwenden, zu überprüfen und durch neue Gedanken zu ergänzen.
 
3. Wovor haben Sie am meisten Respekt?
Ich habe Respekt davor, an vielen Stellen gleichzeitig kreativ zu sein, ohne dabei banal zu werden. Ich habe Respekt davor, dass der  Pfarrberuf Job und Leben vereint und immer ein bisschen beides ist.

Milena Hasselmann beginnt im September ihr Vikariat in der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO),. Sie ist der Gemeinde Berlin-Buch zugeteilt. Parallel schließt sie zurzeit ihre neutestamentliche Promotion ab. In den vergangenen Jahren hat sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neues Testament an der Universität Greifswald und als nebenamtliche Gefängnisseelsorgerin in der JVA Berlin-Tegel gearbeitet.

Interview mit Vikar Christopher Schuller

„Es wäre ein Fehler, auf das zu setzen, was ich schon kann, oder wo es für mich bequem ist“

1. Was motiviert Sie, den Pfarrberuf anzustreben?
Nicht nur als Marburger Master-Absolvent bin ich Quereinsteiger: ich bin nicht in der evangelischen Kirche aufgewachsen, sondern bei der römischen Konkurrenz. Als junger Erwachsener habe ich mich nach vielen kirchenfernen Jahren bewusst für diese Kirche entschieden. Sie ist für mich nicht eine Art Elternhaus des Glaubens, in dem ich mich schon immer geborgen gefühlt habe; ich sehe sie vielmehr als gesellschaftliche Bewegung, der ich mich inbrünstig angeschlossen habe.
Als Pfarrer will ich meine Stimme erheben und die mir gegebenen Privilegien und Vorsprünge als Hebel nutzen, um die Würde anderer Menschen zu stärken und zu schützen. Ich will eine direkte, sprachlich entstaubte Theologie treiben, die meine Gemeinde und die Kirche herausfordert, aber auch unterstützt und wachsen lässt.
In den letzten Jahren an der Gedächtniskirche habe ich die große Vielfalt der Persönlichkeiten im Pfarrberuf gesehen und bin überzeugt, dass es auch für mich darin Platz gibt, und dass ich meine Arbeit für Menschen und für Gerechtigkeit auch im neuen Beruf fortsetzen kann, wenngleich in anderen Zusammenhängen auf anderen Ebenen.
 
2. Worauf freuen Sie sich im Vikariat besonders?
Beantwortet ist für mich die Frage, ob ich Pfarrer werden will. Im Vikariat muss man sich fragen: was für einer? Eines dazu weiß ich schon: es wäre ein Fehler auf das zu setzen, was ich schon kann oder wo es für mich schon bequem ist. Vieles aus Verwaltung und Liturgie kenne ich; als Jurist und Oxford-Absolvent habe ich schon diverse schwarze Talare im Kleiderschrank. Ich freue mich eher auf die Situationen, in denen ich nicht weiter weiß, oder den Mentor fragen muss, oder als Rückmeldung ein „ähm, das hätte besser laufen können“ bekomme und aus dieser Erfahrung heraus einen Schritt hin zu dem großen Generalisten mache, der jeder Pfarrer sein muss. Predigen, Seelsorge, Arbeit mit Jugendlichen – das wird für mich alles absolutes Neuland sein.

3. Wovor haben Sie am meisten Respekt?
Was sind die zähsten Verhandlungen in irgendeinem UN-Gremium gegen die beharrlichen existenziellen Fragen eines Achtjährigen? In Genf war ich im Palais des Nations häufig im dunklen Dreiteiler unterwegs; ich gehe davon aus, dass ich mich in der Grundschule ab September noch wärmer werde anziehen müssen.

Christopher Schuller wurde 1985 geboren und studierte Rechtswissenschaft an der Universität Oxford. Nach fünf Jahren in der Wissenschaft arbeitet er seit 2013 am Deutschen Institut für Menschenrechte als Senior Policy Adviser im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Ab 2016 studierte er nebenberuflich evangelische Theologie in Marburg, das Studium schloss er mit dem Master-Abschluss im April 2019 ab. Ehrenamtliche kirchliche Tätigkeiten hatten es ergänzt: Schuller ist seit drei Jahren Mitglied im Gemeindekirchenrat der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde und im Kuratorium der Stiftung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

 

Interview mit Vikarin Lena Müller

„Ich möchte Menschen in ganz unterschiedlichen Lebensphasen begleiten“

1. Was motiviert Sie, den Pfarrberuf anzustreben?
Ich möchte gerne Menschen in ganz unterschiedlichen Lebensphasen begleiten und mit ihnen in einen Dialog über das, was sie bewegt, treten. Das kann im Rahmen von Gottesdiensten, durch Bildungsangebote, im Seelsorgegespräch oder auch beim Stockbrotbacken am Lagerfeuer geschehen. Mir gefällt am Pfarrdienst, dass es so viele abwechslungsreiche Aufgabenfelder gibt und an vielen Stellen auch ein großer Gestaltungsspielraum dafür existiert, wie man diese Aufgaben angeht. Und doch verbindet alle diese Tätigkeiten - mögen manche von ihnen auf den ersten Blick vielleicht auch mal etwas unspektakulär wirken -, dass sie aus Glaube, Hoffnung und Liebe geschehen und davon geprägt sind.

2. Worauf freuen Sie sich im Vikariat besonders?
Als neugieriges Wesen freue ich mich darauf, neue Menschen kennen lernen und neue Tätigkeiten ausprobieren zu dürfen. Meine Mentorinnen sowohl in Schule als auch Gemeinde haben bereits viele innovative Projekte erfolgreich umgesetzt und ich möchte gerne von ihnen lernen und mit ihnen zusammenarbeiten.
In meinem Studium hat mir unser Einblick in die Seelsorge viel Freude bereitet, deshalb bin ich schon sehr gespannt auf die klinische Seelsorgeausbildung. Ein weiteres Thema, das mich beschäftigt, sind Predigten – vor allem die Frage nach ihrer Wirkung auf die Hörer*innen, dazu habe ich im Rahmen meiner Masterthesis geforscht. Daher interessiert mich alles, was mit Homiletik zu tun hat. Eine Herzensangelegenheit war für mich schon immer die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Deshalb ist es wunderbar, dass ich mich sowohl im Schul- als auch im Gemeindevikariat intensiv mit diesen Altersgruppen beschäftigen werde. Aber vor allem freue ich mich auf die Dinge, die mich überraschen werden. Das Vikariat wird ein Abenteuer für mich werden, und dazu gehört, dass ich noch nicht jeden Schritt voraussehen oder -planen kann.

3. Wovor haben Sie am meisten Respekt?
An sich bin ich davon überzeugt, dass die Seminare in Wittenberg, Berlin und anderswo sowie die praktischen Tätigkeiten innerhalb der Gemeinde sich gegenseitig bereichern. Allerdings kann es sicherlich auch herausfordernd werden, diesen beiden Bestandteilen des Vikariats gerecht zu werden; beispielsweise, wenn ich gerade in einem spannenden gemeindlichen Prozess involviert bin, der dann aber durch das Predigerseminar für mich unterbrochen wird. Selbst bei großem Engagement – manches werde ich einfach aufgrund von Terminüberschneidungen verpassen. Ich sehe es daher als meine Aufgabe, transparent mit der Gemeinde zu kommunizieren, damit Frustrationen („Die Vikarin ist ja nie da!“) möglichst gar nicht erst entstehen.

Lena Müller ist 27 Jahre alt, hat Evangelische Religionspädagogik an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB)  studiert und war bereits während ihres Studiums als Gemeindepädagogin für die Arbeit mit Kindern, Konfirmand*innen und Jugendlichen in der Region Friedrichshain angestellt. Bereits als Zwölfjährige hatte sie begonnen, sich ehrenamtlich in der Evangelischen Kirche zu engagieren - im Organisationsteam des Kindergottesdienstes. Als sie mit18 Jahren ein Mathematikstudium begann, führte sie ihre ehrenamtliche Arbeit in Berliner Gemeinden fort. Nach Abschluss des Mathematikstudiums stellte sie fest, dass es ihr nicht genügte, „nur“ ehrenamtlich im kirchlichen Kontext zu arbeiten und entschied sich für einen Neuanfang: mit dem Zweitstudium an der EHB, das sie von Anfang an erfüllte und begeisterte: "Es machte Sinn für mich"

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