04.10.2023
Die am Sonntag startende Berliner Kältehilfe bietet in diesem Winter bis zu 1.000 Notübernachtungsplätze für Obdachlose an. Gebraucht würden angesichts der wachsenden Zahl an Bedürftigen mindestens 400 Plätze mehr. Das System sei am Limit, heißt es.
Die Berliner Kältehilfe stößt nach Angaben der Liga der Wohlfahrtsverbände an ihre Grenzen. Die klassische Vorstellung von Winternothilfe sei angesichts des angespannten Berliner Immobilienmarktes und der wachsenden Zahl von Bedürftigen immer schwerer umzusetzen, sagte die Berliner Diakonie-Direktorin Ursula Schoen am Freitag in der Bundeshauptstadt. Die Logik, für die Kältehilfe temporär Immobilien anzumieten, funktioniere praktisch nicht mehr.
„Wir erleben in nahezu allen Bereichen von Jugend- bis Eingliederungshilfe, dass der soziale Immobilienmarkt an die Grenzen stößt“, sagte Schoen, die als Diakonie-Direktorin derzeit die Federführung der Liga hat. Es sei kaum noch möglich, brauchbare Gebäude für die Einrichtung von Notübernachtungen zu bekommen. Die wenigen leerstehenden Gebäude, die angeboten würden, seien teilweise in absolut unbrauchbarem Zustand.
Ein weiteres Problem ist nach Angaben von Sabrina Niemietz von der Kältehilfe-Koordinierungsstelle, dass ausschließlich Objekte in den äußersten Stadtteilen weit außerhalb des S-Bahn-Rings angeboten würden. Für viele obdachlose Menschen seien weite Anfahrten aber schlicht nicht möglich, so Niemitz. Sie seien - abgesehen vom Fahrgeld - körperlich und oft auch psychisch nicht in der Lage für eine lange Anfahrt und anschließende kilometerlange Fußmärsche in ein Gewerbegebiet.
Laut Schoen startet die am Sonntag beginnende Kältehilfe deshalb auch unterversorgt in die neue Wintersaison. Angeboten würden wieder rund 1.000 Notübernachtungsplätze für obdachlose Menschen, die so einen Schlafplatz und ein warmes Essen bekommen. Das sind nach ihrer Aussage mindestens 400 Plätze zu wenig.
Knapp 700 Plätze seien dabei reine Kältehilfeplätze, die nur temporär angeboten werden. Die anderen 300 Plätze stehen das ganze Jahr über zur Verfügung. Finanziert wird die Kältehilfe in hohem Maße durch Spenden. Zudem stellt der Berliner Senat drei Millionen Euro zur Verfügung. Dazu sind Hunderte ehrenamtliche Helferinnen und Helfer Abend für Abend im Einsatz.
Nach Angaben der Diakonie-Chefin erleben auch die ganzjährig geöffneten Tagesstätten und Suppenküchen einen rasant wachsenden Bedarf. Das könne von den sozialen Einrichtungen kaum noch abgefangen werden. Gebraucht werde deshalb ein ganzjähriges, etabliertes Hilfe-Regelsystem, in das die Menschen vermittelt werden können. „Berlin hat kein Potenzial mehr für temporäre Lösungen“, betonte Schoen.
Laut der Sprecherin der Berliner Stadtmission, Barbara Breuer, sind die Einrichtungen zunehmend mit Problemen konfrontiert, „die sie nicht mehr stemmen können“. So habe sich das Profil der Gäste in den Notübernachtungen stark geändert. Der „klassische, alkoholabhängige, alte Obdachlose“ sterbe aus. „Dafür haben wir vermehrt junge, psychisch kranke Menschen zwischen 20 und 40 Jahren, die mehrfach suchtabhängig sind und abends bei uns zugekokst vor der Tür stehen“, sagte Breuer. Auch sei die Stimmung aggressiver, weshalb ein Wachschutz notwendig sei. Zudem gebe es mehr und mehr mobilitätseingeschränkte Gäste, die im Rollstuhl sitzen und für die es kaum barrierefreie Räume gebe.
Hilfe-Hotline für obdachlose Menschen, montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr: 0157/80597870
(epd)