23.10.2023
„Wer sie angreift, greift uns an.“
Liebe Gemeinde heute Abend,
Predigt steht da jetzt – ich weiß nicht, ich will ein paar Worte sagen:
Als erstes – herzlichen Dank, Dir lieber Rabbiner Nachama, lieber Andreas, dass Du heute hier bist – wir haben am Freitag in der Synagoge zusammen gebetet, ich habe mitbeten dürfen, jetzt sind wir hier zusammen vereint im Schmerz, im Beten, im Bitten, im Hoffen – wir Christinnen und Christen an Eurer, an der Seite der Jüdinnen und Juden. Danke für diese Verbundenheit in diesen Tagen.
Und Danke Ihnen allen, die Sie gekommen sind und sich berühren lassen – es geht, wir wissen das, es geht auch um diese Stadt, um unser Miteinander, um das Aufstehen gegen Gewaltverherrlichung und Antisemitismus, für das Achten und den Respekt und die Würde.
Darum geht es auch.
Aber als erstes geht es um die Menschen, die jetzt leiden unter dem schrecklichen Morden, das die Hamas gebracht hat. Kinder wurden enthauptet, Menschen erschossen, ein Musikfestival überfallen und Menschen massakriert – und entführt, verschleppt, als Geiseln genommen.
Wir beten für diese Geiseln in dieser Stunde – Ihr tut das jetzt jeden Tag in den Synagogen, lieber Andreas, wir sind bei Euch mit unseren Gebeten.
Eine riesige Zahl von Menschen wird jetzt von der Hamas mit in Haft genommen – die Menschen in Gaza, die Kinder dort, es gibt keinen Krieg gegen die Palästinenser, es gibt nur ein Kämpfen gegen den Terrorismus, schwer genug. Wir stehen an der Seite.
Ich habe einen Moment überlegt, welcher Text heute für meine kurze Ansprache der richtige sein könnte. Es gibt unter den sogenannten Marginaltexten – also den Texten, die im Grund für einen Sonntag ausgesucht sind, wenn alles außer der Reihe, außer der Fassung ist, und so ein Sonntag ist es, es gibt unter diesen einen Text aus dem ersten Buch Mose, 9. Kapitel – Worte an Noah nach der Sintflut:
Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig: 13 Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. 14 Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. 15 Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe. 16 Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, dass ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, das auf Erden ist. 17 Und Gott sagte zu Noah: Das sei das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch auf Erden.
Das sind Worte Gottes an Noah – nach der Sintflut, das ist auf jeden Fall die falsche Analogie, das ist ja klar – wir haben es nicht mit einem Naturereignis, sondern mit menschengemachtem und menschenverantworteten Terror zu tun und ich wehre allen Tendenzen, hier Täter und Opfer zu vermischen, umzukehren oder alles auf höhere Ebenen sozusagen wegzuabstrahieren – die Gewalt, die da über uns gekommen ist, nein: Hamas Terroristen haben ein Massaker begangen und haben Geiseln verschleppt.
Aber – und auch deshalb kommen mir die Bilder von Noah in den Sinn – aber es ist auch eine Situation, in der einem im Grunde der Boden weggezogen ist, kein Fundament, kein fester Grund mehr da.
Vor allem aber:
Mit dem Wort vom Bund sind wir mitten in dem tiefsten Verhältnis von Gott und seinem Volk Israel: Der Bund ist die innere Bindung in allem zerrissen sein, ja man kann sagen: Bund meint das: in der Zerrissenheit zueinander stehen. Gott steht zu seinem Volk. Und wir stehen an dieser Seite. Und daran wird nichts und niemand etwas ändern, das sei heute in aller Deutlichkeit gesagt.
Das Große an den Worten im Buch Genesis ist: der Bund gilt hier durch Israel hindurch allen Menschen – mit allen Menschen fühlen und spüren wir im Moment, mit allen, Muslimen, Christen, Gott hat durch Israel hindurch einen Bund der Liebe und Verbundenheit geschaffen. Und wir nehmen und hören darauf und darin.
Und als drittes: Mit dem ganzen Kosmos, mit seiner Zerrissenheit ist dieser Bund – und das Zeichen ist der Bogen. Der Bogen als das, was umfasst und umfängt – der Bogen, den ich mir immer vorstellen wie eine Art Umarmung Gottes, wie sein Segen. Das ist das Großartige an diesem Zeichen: wir erleben es in jeder Umarmung, in jedem Segen, in jedem Hüten und Behüten wieder mit und ich wünschte mir so sehr, dass es sich durch unsere Tage zieht.
Aber ach, na klar – das ist jetzt schnell zu schnell, zu schön, das ist so, wenn man vom Bogen redet und vom Zeichen Gottes.
Ich tue das nur, lieber Andreas Nachama, weil mich deine Predigt vom Freitag noch so berührt: du hast damit geschlossen, dass Du gesagt hast: wir dürfen uns vom Hass nicht überwältigen lassen. Hass zerstört andere, Hass zerstört am Ende uns selbst.
Und so bitten wir für das Leben.
Für das Leben der Geiseln.
Für das Leben Israels.
Für alle, die sich nicht in Hass ziehen lassen.
Für alle, die jetzt von den Folgen des Hasses betroffen sind – in Gaza und auch bei uns und bei den Familien der Geiseln.
Wir bitten für den Frieden auch bei uns und dass sich niemand vom Hass überwältigen lässt und niemand ihn verherrlicht bei uns – werden wir nicht akzeptieren.
Wir bitten für das Zeichen des Lebens und für das Zeichen des Bundes Gottes – Gott mit den Menschen, die betroffen sind.
An der Seite der jüdischen Geschwister bitten wir für Israel – Dein Volk, Dein Augapfel.
Wer sie angreift, greift uns an.
Amen.
(Predigt: Sonntag, den 15. Oktober 2023 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, mit Bischof Christian Stäblein und Rabbiner Andreas Nachama.)