03.04.2024
Zweite Reformation
Halloween ist dieses Jahr merklich kleiner ausgefallen, so mein Eindruck. Eine Erklärung könnte sein: Wo der Schrecken real so unermesslich ist wie derzeit durch den Überfall auf Israel, den Krieg in Gaza und den Krieg in der Ukraine, da müssen wir keinen künstlichen Schrecken mehr erzeugen und uns auch nicht maskieren. Als jemand, der diesen Halloween-Zirkus immer mit großem Abstand gesehen hat, wünschte ich mich fast in die Unbeschwertheit dieser Tage von Süßes oder Saures zurück.
Nun, dagegen scheint mir der Reformationstag wieder mehr ins Bewusstsein gerückt zu sein. Brandenburg hat ihn ja ohnehin als Feiertag. Richtig so. Er ist auch in der überwiegend säkularen Gesellschaft eine Gedächtnisstütze dafür, dass das Fundament, das uns trägt – uns und den Zusammenhalt von Menschen – nicht von uns selbst hergestellt werden kann. Und dass eine Gesellschaft nicht von Furcht, sondern durch Vertrauen bestimmt werden sollte, auch daran erinnert der Reformationstag mit seiner Geschichte. Fürchte dich nicht – dieser Zuruf ist eine grundevangelische Botschaft, damals wie heute in einer Welt, die wahrlich das Fürchten lehrt.
Der Reformationstag steht noch für eine andere Bewegung, die mehr denn je dran ist: Erneuerung. Eine Kirche, die sich nicht erneuert, erstarrt. Glaube ist immer ein Werden, nie ein fertiges Sein. Zu dieser Erneuerung gehört in den letzten Jahrzehnten auch etwas, was man gut und gerne als zweite Reformation der Kirche bezeichnen kann: die Erneuerung ihres Verhältnisses zu den jüdischen Geschwistern. Dazu gehört die Abkehr von jeder Form von Antisemitismus und von antijüdischen Denkmustern. Die tragen ja gerne viele Masken, hinter denen allerdings immer das gleiche Grauen lauert. Kaum ein größerer Schrecken in der gegenwärtigen Situation als der so lautstarke Antisemitismus. Eine Kirche, die nicht an der Seite der jüdischen Geschwister steht, geht in die Irre. Das will ich mit diesem Reformationstag festhalten und immer neu und wieder sagen.