28.03.2023
Interview mit Kristian Gaiser, Gleichstellungsbeauftragter der EKBO
Vor Diskriminierung und Rassismus, so wie diese gerade Staat und Gesellschaft, aber auch in der Kirche diskutiert werden, soll das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützen.
Kristian Gaiser, Gleichstellungsbeauftragter der EKBO und nach AGG §13 erster Ansprechpartner bei Diskriminierungsfällen am Arbeitsplatz und im kirchlichen Leben wirbt deshalb für mehr Bewusstsein für die vielfältigen vorhanden Ausgrenzungs- und Diskriminierungsformen und ermuntert zum Widerspruch, denn: „Wer schweigt, stimmt zu“.
Bianca Krüger: Zu was verpflichtet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)?
Kristian Gaiser: Es verpflichtet alle Menschen, den Mitmenschen diskriminierungsfrei und vorurteilsfrei zu begegnen, gleich welche Andersartigkeit vorliegt. Das kann das Alter, das Geschlecht, eine Behinderung oder die sexuelle Orientierung sein. Psychische oder körperliche Einschränkungen (Ableismus) sind schon auch mal Grund für Diskriminierung und Ausgrenzung, aber auch das Körpergewicht reicht schon mal für Spott und Häme, weil dieses dem „sogenannten Schönheitsideal“ nicht entspricht (Body Shaming). Und selbstverständlich gehören dazu auch Ausgrenzung und Anfeindung aufgrund ethnischer Herkunft, sprich alle Formen von Rassismus.
Bianca Krüger: Alle Mitarbeiter:innen sind angehalten, eine AGG-Schulung zu machen. Was lernt man denn dort?
Kristian Gaiser: Ich denke, dass die Schulung eine Sensibilisierung für die neuen Mitarbeiter:innen sein kann, um ein Problembewusstsein dafür zu bekommen, welche eigenen Verhaltensweisen zu überdenken sind. Eine Schulung kann aber nicht beseitigen, dass Menschen jahrelang so geprägt wurden, dass sie keinen Kontakt mit Zugewanderten, Alleinerziehenden oder Homosexuellen hatten. Man wird immer wieder Berührungsängste finden, aber diese sollten dann durch eine Schulung aufgegriffen werden. Eine Kirche der Vielfalt und der wunderbaren Schöpfung sollte sich so organisieren und geprägt sein, dass jedes der Menschenkinder Gottes ohne Angst anders und verschieden sein kann.
Bianca Krüger: Im April wird bei der Frühjahrstagung der Landessynode das Thema „Kirche ohne Rassismus“ auf der Tagesordnung stehen. Muss da etwas passieren?
Kristian Gaiser: Bisher, finde ich, war das ein Tabu-Thema, so wie in der gesamten Gesellschaft. Besonders die Evangelische Jugend in der EKBO (EJBO) hat die Diskussion angestoßen. In Kirche als Institution und als Gemeinschaft ist es oft nicht anders als in der übrigen Gesellschaft. Als Gemeinschaft der Gläubigen, Suchenden und Zweifelnden sind wir aufgerufen, alles Mögliche dafür zu tun, um Ausgrenzung, Anfeindung und fehlende Gleichbehandlung und Chancengerechtigkeit zu verhindern. Und sollte es dieses geben, dieses Fehlverhalten gegenüber Mitmenschen abzustellen. Manches Mal gilt es dann vielleicht auch gewisse Strukturen, zum Beispiel bei der Gremienarbeit aufzubrechen, um den Weg für ein besseres Miteinander freizumachen.
Bianca Krüger: Welche kirchlichen Strukturen könnten dies denn sein?
Kristian Gaiser: Vielleicht erleben wir die größte Bremse oder Sperre im Kopf, so nach dem Motto: „Das kommt bei Kirche doch nicht vor!“, „Das gibt es bei uns doch nicht“. Dies ist bester Nährboden für Untätigkeit, aber auch dafür, dass Personen sicherlich Angst dann davor haben auszusprechen, wenn sie Opfer von Grenzüberschreitungen geworden sind. Der beste Schutz vor Übergriffen in all ihren Formen und vor gruppenbezogener Feindlichkeit ist ein Klima der Ehrlichkeit und des offenen Umgangs mit dem Thema, vor allem aber sind es selbstbewusste Mitarbeiter:innen, die wissen, was ihr gutes Recht ist, und Kirchenglieder, die im Sinne der Vielfalt der Schöpfung nicht schweigend zustimmen, sondern das Wort erheben und wissen, was dann zu tun ist, schon gar nicht, wenn sie an den Auftrag des Evangeliums denken, welcher der Apostel Paulus so formuliert: „Nehmt einander an, so wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob“, Römer 15.
Bianca Krüger: Derzeit gibt es vielerorts Antirassismus-Training, auch in der Landeskirche. Was können wir uns dabei erhoffen?
Kristian Gaiser: Manchmal frage ich mich: Sind wir eigentlich nicht alle ein bisschen rassistisch? Haben wir nicht auch so das eine oder andere Vorurteil? Ich finde, es ist geboten und lohnt sich, nicht immer auf andere Menschen oder politische Bewegungen zu zeigen, sondern gerade auch bei diesem Thema auch mal auf uns selbst zu schauen.
Sozialisierung beutet ja, dass wir von klein auf in allen Bereichen des Alltags mit Rassismen konfrontiert werden. Dazu gehört eben auch, was man als Kind so mitbekommt und aufschnappt von Verwandten, Bekannten, anderen Kindern, Nachbar:innen und Erzieher:innen. Dieser Alltagsrassismus steckt in der Art und Weise, wie wir sprechen und lesen lernen, wie wir Werbung wahrnehmen, wie wir Witze vielleicht auch unreflektiert weitererzählen. Wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, dann fühlen sich kleine und große Formen von Rassismus wie schlechte Luft an, die wir immer mal wieder im Alltag ein- und ausatmen. Das bedeutet auch, mal unangenehme Gespräche hierzu führen zu müssen, einschreiten zu müssen, aber auch sich selbst und seine eigene Verhaltensweise vor Augen zu führen. Diese geschärfte Sensibilität erwarte ich von meiner Teilnahme an einem solchen Training.
Und so erhoffe ich mir zum Nachdenken gebracht zu werden über eigene Denkmuster, über die eigene Sprache und eigene Stereotypen, die ich verinnerlicht habe, trotz aller Professionalität, die ich als Gleichstellungsbeauftragter sicherlich auch jeden Tag bei meinem Tun und Lassen unter Beweis zu stellen habe. Wir alle können und müssen im eigenen Alltag anfangen, die kleinen und großen Rassismen zu entlarven. Das kann mit Blick auf einen selbst auch wehtun oder löst nicht selten innere Abwehr, Ohnmachtsgefühle und Verunsicherung aus. Diese kontinuierliche Selbstreflexion mit auf den Weg zu bekommen, ist auch Ziel eines solchen Trainings. Aber auch einen geschärften Blick dafür, wo es in Kirche als Institution und als gelebte Gemeinschaft der Glieder Christi vielleicht noch mehr klare Regelungen, Abgrenzungen und Haltungen im Umgang mit Rassismus braucht, um eine Kultur des Miteinanders und gegenseitiger Akzeptanz und Toleranz nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt zu wissen.