05.02.2023
Er reizte die SED bis aufs Blut, sodass die Stasi sogar seine Ermordung plante. Nach dem Mauerfall warfen ihm seine eigenen Mitstreiter Verrat an der Sache vor. Am 12. Februar wird Rainer Eppelmann 80 Jahre alt.
Berlin (epd). Eigentlich wollte er Architektur studieren, gestand Rainer Eppelmann einmal in einem Interview. Dann kam der Mauerbau und dem damals 18-jährigen Sohn aus einer Ost-Berliner Handwerkerfamilie blieb kurz vor dem Abitur der Weg in sein Gymnasium im Westteil der Stadt versperrt. Er brach die Schule ab, jobbte zunächst als Dachdecker, absolvierte dann eine Maurerlehre und begann schließlich ein Theologiestudium an der Ost-Berliner kirchlichen Fachhochschule „Paulinum“. 1974 trat er seine erste Pfarrstelle in der Samaritergemeinde in Berlin-Friedrichshain an.
„Ich wäre vielleicht ein leidlich guter Architekt geworden“, bilanziert der heutige Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur: „So aber bin ich Pfarrer geworden. Besser hätte es mich gar nicht erwischen können.“ Am 12. Februar wird Eppelmann 80 Jahre alt.
Als er 1969 sein Theologiestudium aufnahm, hatte er aus Sicht des SED-Regimes mit widerspenstigem Verhalten bereits reichlich verbrannte Erde hinterlassen. Drei Jahre zuvor, 1966, verweigerte er nicht nur den Dienst an der Waffe in der NVA, sondern auch das Gelöbnis in den waffenlosen Baueinheiten der DDR-Volksarmee. Dafür wanderte er acht Monate in den Knast.
Viel mehr als ein beruflicher Werdegang unter dem Dach der evangelischen Kirche blieb ihm bei diesen Vorbedingungen in der DDR nicht übrig. Auch als Kirchenmann eckte er an. Der Gemeindepfarrer und Kreisjugendpfarrer politisierte seine Arbeit, öffnete seine Kirche für unangepasste Jugendliche. Legendär wurden Eppelmanns Blues-Messen mit zuletzt Tausenden von Teilnehmern, in denen Bands im geschützten Raum der Samariterkirche unzensiert auftreten durften.
Die Blues-Messen missfielen nicht nur der Staatsmacht, sondern auch der Kirchenleitung. „Wie oft ich dafür Keile gekriegt habe von den eigenen Leuten“, erinnert er sich vier Jahrzehnte später. Eppelmann blieb standhaft, aber der „Bund der Evangelischen Kirche in der DDR“ wollte den für 1987 in Aussicht gestellten Kirchentag nicht gefährden und entschloss sich im Herbst 1986 schließlich, die Blues-Messen einzustellen.
Eppelmann veranstaltete Friedensseminare und Mahnwachen, schrieb offene Briefe und Eingaben, verfasste 1982 mit dem SED-Dissidenten Robert Havemann den „Berliner Appell“ zum „Frieden schaffen ohne Waffen“. So wuchs er in den 80er Jahren zeitweise zum „Staatsfeind Nr.1“ der DDR-Oberen heran. Aus Stasi-Unterlagen ging später hervor, dass Offiziere des DDR-Geheimdienstes sogar seine Ermordung planten. Er nervte Polizei und Justiz mit Anzeigen, wegen der Verwanzung seiner Wohnung durch die Stasi oder wegen Fälschung der Kommunalwahlen von 1989.
Er wurde zu einer der Schlüsselfiguren der friedensbewegten DDR-Opposition und unterhielt rege Kontakte zu Politikern und Journalisten aus dem Westen. Als das SED-Regime zu erodieren begann, gründete er im Oktober 1989 die Partei „Demokratischer Aufbruch“ mit, für die er 1990 in die frei gewählte DDR-Volkskammer zog. Unter dem letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière (CDU) wird der Pfarrer Abrüstungs- und Verteidigungsminister.
Wie das SED-System fiel mit dem Mauerfall auch die Opposition in der DDR in viele Fraktionen auseinander. Eppelmann gehörte zum eher bürgerlichen Flügel, der gegen eine rasche Wiedervereinigung wenige Einwände hatte. Den absoluten Tabu-Bruch für viele der pazifistisch gesinnten DDR-Bürgerrechtler beging der kernige Ex-Pfarrer, als er sich im Frühjahr 1990 für einen Verbleib Gesamtdeutschlands in der Nato aussprach. „Rainer Eppelmann, ich schäme mich für Dich!“, ließ Havemanns Witwe Katja via Zeitungsanzeige in der „taz“ den ehemaligen Weggefährten wissen.
Das habe ihn damals verärgert und auch traurig gemacht, erinnert er sich: „Der Eppelmann war doch immer noch der Eppelmann.“ Als Pfarrer habe er die Erfahrung gehabt, sich um diejenigen zu kümmern, bei denen etwas zusammengebrochen ist: „Und für die NVA-Militärs war auf einmal alles anders“, begründet er heute noch die Übernahme des Ministerpostens.
Nach dem 3. Oktober 1990 zog Eppelmann für die CDU in den Bundestag und leitete ab 1992 die beiden Enquete-Kommissionen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Sechs Jahre lang steuerte er die Kommission durch die raue See von Geschichtsklitterung und aufkommender Ost-Larmoyanz. Aus den Kommissionen ging 1998 schließlich die Stiftung Aufarbeitung hervor, deren Vorstandsvorsitzender er seitdem ist.
Seinen 80. Geburtstag sieht er nur als weitere Station in seinem bewegten Leben. Er müsse mindestens 93 Jahre werden, sagt Eppelmann. Dann hätte er ein Jahr länger in der Demokratie als in der Diktatur gelebt.