Die Kirche trauert um Prof. Dr. D. Wolf Krötke (1938-2023)

30.06.2023

Nachruf von Pröpstin Dr. Christina Maria Bammel

Er hat Generationen von Studierenden der Evangelischen Theologie begleitet und geprägt: leidenschaftlich lehrend und forschend in unserer Kirche, mit der verbunden zu sein ihm eine tiefe Herzens- und Glaubensangelegenheit war. In schweren und guten Zeiten.

Wolf Krötke wurde am 5. Oktober 1938 in Berlinchen (Neumark) geboren und hatte in Leipzig, Naumburg an der Saale und Berlin Theologie studiert, weil er Pfarrer werden wollte, wie er im Rückblick öfter betont hat. Die Theologie in den Dienst der Verkündigung, der Seelsorge und der Bildung unter das Dach der Kirche zu stellen, das gehörte für ihn zusammen. Seinen Pfarrdienst begann er in dem kleinen Dorf Görschen. Dann wurde er Studentenpfarrer in Halle. Nicht zuletzt durch ihn entstand dort ein für so manchen jungen Menschen beglückender Freiraum des Denkens und des Gesprächs zwischen Glaube und Wissenschaft.
In der Zeit als Dozent des Kirchlichen Lehramtes für systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule in der Borsigstraße, auch ein freiheitlicher Denkraum wenige Meter von der Berliner Mauer entfernt, bekannt unter dem Namen „Sprachenkonvikt“, hatte er angehende Pfarrerinnen und Pfarrer auf einen schönen und unter den Bedingungen der DDR zugleich ausgesprochen schwierigen Dienst vorbereitet. Dabei war ihm – ganz von Herzen ein Lehrer!  – immer wichtig, mehr Potenzial in den Lernenden zu sehen, als diese manchmal in sich selbst zu erkennen vermochten.
Als ausgewiesener Forscher und Kenner der theologischen Werke Karl Barths und Dietrich Bonhoeffers hat er nicht nur die Freude an einzelnen systematisch-theologischen Fragen, sondern am theologischen Denken überhaupt unter denkbar herausfordernden gesellschaftlichen Gegebenheiten geweckt. Seine Freude über das Wunder der errungenen Freiheit nach 1989 hat er deshalb oft tief dankbar, ja fröhlich und staunend beschrieben. Denn er hatte zu denen gehört, die wussten, was eine „atheistisch verbohrte Weltanschauungsdiktatur“ mit Menschen anzurichten imstande ist: Wegen „Hetze und staatsgefährdender Propaganda“ – Spottverse aus der Feder des jungen Studenten Wolf Krötke auf Karl Marx waren in die falschen Hände geraten und er wurde verraten – erlebte er schwere Haftmonate in der Justizvollzugsanstalt Waldheim. Unvergessen, wie er in Vorlesungen oder Seminaren davon sprach, wie das seine theologische Existenz mit geprägt hatte!
In der Haft hatte er die DDR von ihrer schlimmsten Seite kennengelernt. In dieser Zeit stand übrigens sein Name auf der Fürbittenliste der Synode der Evangelischen Kirche der Union. Aber nach dem Gefängnis weggehen oder fliehen kam für ihn nicht in Frage. „Ich möchte am liebsten fort sein und wäre am liebsten hier“ – hat er vielmehr Wolf Biermann oft zitiert und damit das schwere Lebensgefühl einer Zeit angetippt, über die er später oft in Anekdoten und auch mit einem Lachen der Widerständigkeit erzählt hat. In dem Band „Aufatmen“ schreibt er: „Fort bin ich ja nun aus den Greifarmen dieser Zeit. Aber die fast täglichen Vergegenwärtigungen dieser Zeit im Spiegel der theologischen Existenz und in der Brechung durch die theologische Existenz lassen mich am Ende dennoch froh sein, dass ich sie erleben konnte.“ Klar war ihm da das Vertrauen in die Potenziale christlicher Freiheit unendlich kostbar. Die muss permanent eingeübt werden gegen alles, was einen unrechtmäßig zwingen will. Das hat er den Studierenden nach 1991 dann an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er eine Professur für Systematische Theologie und Ethik bis 2004 innehatte, immer wieder nahe gebracht.

Theologie könne man nicht verhandeln wie höhere Mathematik und gehöre auch nicht in den Elfenbeinturm, sondern muss sich bewähren als wirklichkeitserschließende Kraft. Dass eine theologische Existenz dann auch ins Widersprechen führt, hat er in aller Konsequenz und stets freundlich streitbar für sich angenommen. Mit Demut und Ernsthaftigkeit, mit kenntnisreicher Liebe zu den Texten nicht nur Luthers,  Schleiermachers, Kierkegaards, vor allem den biblischen, mit tiefer, bisweilen sogar kichernder Freude an den Lebensbeobachtungen, die auch zum Theologietreiben gehören und mit Scharfsinn konnte Wolf Krötke seine unverwechselbare Stimme erheben auf Tagungen, insbesondere auf dem Leuenberg (Schweiz), auf Kongressen, Seminaren und Kirchentagen. Seine tief gehende, aber nie langweilige dogmatische Expertise hatte er seit 1987 als Mitglied des Theologischen Ausschusses der EKU (dann UEK) ebenso eingetragen wie zwischen 1990 und 2003 in der Theologischen Kammer der EKD. Seine theologische Handschrift und geistige Formulierungskraft ist in etliche Positionspapiere und Stellungnahmen, die in dieser Zeit entstanden sind, maßgeblich eingeflossen. Mit Sibylle Sterzik zusammen gab er die Sammelhefte „Den Glauben verstehen und aus Glauben handeln“ heraus, damit die Interessierten in dogmatischen und ethischen Themen sattelfest werden.

1976 wurde Wolf Krötke die Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen verliehen, 1990 – zusammen mit dem damaligen Bischof Gottfried Forck – der Karl-Barth-Preis der Evangelischen Kirche der Union. Wolf Krötke lebte nicht von großen Anerkennungen und Ehrungen, sondern aus dem Gespräch und aus dem Schatz seines Geistes, der überreich gefüllt war mit Gedichten, Zeilen, Kirchenliedstrophen, Texten. Diese alle haben ihm immer wieder in hellen wie in dunklen Zeiten innere Freiheit und Tiefe gegeben.

Weit über den Ruhestand hinaus war ihm die Verbindung mit den kommenden Generationen wichtig, so auch als Vorsitzender des Fördervereins „Konvikt Borsigstr. 5 e.V.“.

Seine Aufsätze, Bücher, Vorträge, Radiobeiträge suchen und finden Sprachräume, die etwas in Menschen öffnen für die Geschichte, die Gott in Jesus Christus mit ihnen schreibt. „Gottes Klarheiten“, Krötkes Neuinterpretation der Lehre von den „Eigenschaften Gottes“ ist so ein Beispiel. Darin heißt es über die Klarheit des ewigen Gottes, das sie für alle Menschen „die Zukunft bleibt, auf die hin zu leben es nie zu spät ist und die klarmachend bleibt, wenn die Dunkelheiten des Sterbens und des Todes Menschen ereilen, das sollte keine christliche Verkündigung in Frage stellen oder einklammern. Auf die Klarheit zu hoffen, bedeutet auf die Wahrheit, die Liebe und die Macht Gottes als Vollendung des eigenen Lebens, ja der ganzen Welt zu vertrauen.“

Wolf Krötkes Predigten sind gern und manchmal noch lieber zum Weitersagen und Weitergeben genutzt worden. In den „Denkskizzen“ der anstehenden sechsten Predigtreihe  hat er bereits schwer erkrankt Gedanken für den zweiten Weihnachtsfeiertag festgehalten. Wenn zum kommenden Weihnachtsfest gepredigt wird über das Spenden und Schenken und über das Geschenk Gottes an diese Welt, dann werden bestimmt etliche Predigerinnen und Prediger bei diesem Fest des Schenkens daran denken, was uns allen mit dem Menschen, dem Christen, dem Pfarrer und dem Freund Wolf Krötke geschenkt wurde. Am vergangenen Freitag ist er nach schwerer Krebserkrankung in seinem 85. Lebensjahr gestorben. Wir trauern mit seiner Familie, seiner Ehefrau, Pfarrerin Petra Krötke, seinen Kindern und Enkeln, seinen Freunden und gemeinsam mit allen Weggefährten. In alle tiefe Traurigkeit mischt sich die Dankbarkeit für einen aufrichtigen, unbestechlichen Lehrer der Evangelischen Kirche in unserer Zeit.

Christina Maria Bammel

 

 

 

 

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