Digitalisierung: "Es braucht vor allem Mut, Neugier und Motivation"

21.04.2020

Andreas Erdmann, Landesonlinepfarrer der EKBO, über die Möglichkeiten der Digitalisierung

Andreas Erdmann. Foto: privatAndreas Erdmann. Foto: privat

Gottesdienste und interaktive Angebote im Internet sind nach Meinung des Landesonlinepfarrers der EKBO, Andreas Erdmann, eine Chance für die Gemeinden. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) plädiert Erdmann für niedrigschwellige Zugänge, Kreativität und mehr Datenschutz bei den kirchlichen Online-Angeboten.

 epd: Herr Erdmann, die Corona-Krise beschert derzeit vielen Unternehmen und Verwaltungen mit dem Zwang zum Homeoffice für Mitarbeiter einen unfreiwilligen Digitalisierungsschub. Gilt das auch für Kirchengemeinden?

 Erdmann: Von unfreiwillig würde ich im Zusammenhang mit den Kirchengemeinden nicht sprechen. Vormals hatten die Menschen in den Gemeinden schlichtweit keine Zeit und keinen Anlass, um digitale Angebote zu erarbeiten. Das wird jetzt erfreulicherweise aufgeholt - die Digitalisierung hat hier tatsächlich in den vergangenen Wochen einen deutlichen Schub erfahren.

 epd: Als Landesonlinepfarrer haben Sie auf der Homepage der EKBO für Kirchengemeinden zahlreiche Tipps aufgelistet, wie sie mit Hilfe sozialer Medien den Kontakt zu ihren Gemeindegliedern halten können. Was läuft besonders gut?

Erdmann: Durch die Rückmeldungen der Gemeinden wissen wir, dass sie vor allem Online-Andachten und -Gottesdienste als Videos aufgenommen und über verschiedene Kanäle hochgeladen haben. Zugleich beobachte ich auch im analogen Bereich eine Vielzahl kreativer Ideen, die vor Ort sehr gut angenommen werden. Zum Beispiel sind das Zettel mit Segenssprüchen zum Mitnehmen, die am Zaun des Pfarrgartens hängen oder die Möglichkeit, eigene Gebetsanliegen in eine Box an der Kirche einzuwerfen. Weiter gibt es den guten alten Gemeindebrief, der durch ehrenamtlich Helfende zu den Menschen gebracht wird. Lokal werden also vor allem Angebote angenommen, an denen die Menschen auf dem Weg zum Einkaufen oder anderweitig ohnehin vorbeikommen. Auch wenn sich bei den Nutzern von Videogottesdiensten nicht sagen lässt, ob es sich dabei um Gemeindeglieder vor Ort handelt, scheint den Rückmeldungen nach doch auch der größte Anteil der eigenen Gemeindeglieder darunter zu sein.

 epd: Wie erfahren die Menschen von den neuen Angeboten?

 Erdmann: Hier ist die Werbung entscheidend, weil man an dem neuen YouTube-Kanal der Gemeinde eben nicht einfach beim Einkaufen vorbeikommt. Darum sind Ankündigungen im Gemeindebrief und auf anderen, vor allem auch analogen Wegen zusätzlich zur Verlinkung auf der Homepage sinnvoll. Bei den Gottesdiensten, wo ein Vergleich zwischen Echtzeitübertragung und Aufzeichnung gezogen werden kann, scheint es eine größere Abnahme bei Angeboten zu geben, die live sind und vielleicht über einen Chat nebenbei Interaktivität ermöglichen.

 epd: Ihr Auftrag ist es, den Kirchengemeinden bei der Digitalisierung Ihres Angebotes zu helfen. Auf Ihrer Homepage geben Sie viele Tipps, etwa zum Erstellen eines Videos oder Podcasts, zu dessen Verbreitung, aber auch zu rechtlichen Fragen, etwa bei der Verwendung von Liedern. Welche Grundvoraussetzungen sind nötig, damit sich ein Pfarrer oder eine Pfarrerin über soziale Medien an die Gemeinde wendet?

 Erdmann: Es braucht vor allem Mut, Neugier und Motivation, die Menschen zu erreichen und das Evangelium zu verkündigen, auch dort und so, wo und wie es nicht wie sonst gewohnt funktioniert. Die wenigsten YouTuber haben eine Ausbildung im Bereich Medienmanagement und nicht jede, die einen Computer bedient, ist Informatikerin. Aber sie haben den Mut, ihre Komfort-Zone zu verlassen. Sie sind neugierig genug, Neues auszuprobieren und haben den innigen Wunsch, die Menschen zu erreichen mit dem, wofür sie brennen, auch wenn vielleicht nicht alles perfekt ist. Das und nichts mehr brauchen auch Pfarrer und Pfarrerinnen, wenn sie sich auf den Weg machen, die Gemeinde digital zu erreichen. Bei technischen Fragen, die ihnen dabei im Weg sein könnten, finden sich in den meisten Gemeinden auch Ehrenamtliche, die sich damit auskennen. Ansonsten können sie sich natürlich für weitere Beratung jederzeit an mich wenden.

 epd: Sie plädieren dafür, der Kreativität beim Ausbau der interaktiven Angebote freien Lauf zu lassen. An was denken Sie dabei?

 Erdmann: Beim MineCraft-Gottesdienst am Ostersonntag etwa - organisiert von der Cansteinschen Bibelanstalt Berlin und unterstützt durch die EKBO - gab es die Möglichkeit, auf Youtube oder der Gaming-Plattform Twitch Jesu Leben vom Leiden bis zur Auferstehung im Spiel mitzugehen. Fürbitten können bei einem Live-Gottesdienst über einen Chat- oder Messengerdienst von den Mitfeiernden eingebracht und dann im Gottesdienst mit vorgelesen und gebetet werden. Bei einer Kirchenführung der Live-Übertragung auf Twitch konnten Zuschauende mit mir als Streamer ins Gespräch kommen und über das Gesehene zusammen diskutieren. Das sind drei interaktive Angebote von vielen, die aktuell bereits stattfinden und von denen es gerne mehr werden dürfen. Ein weiteres höchst interaktives Format wäre eine virtuelle Online-Kirche im sogenannten Gameplay-Format, wie sie aktuell in Planung ist. Damit soll eine niedrigschwellige, für die Nutzenden kostenlose und digitale Möglichkeit geboten werden, sich mit dem eigenen Avatar online zu treffen, auszutauschen, gemeinsam zu planen, zu feiern und in einzelnen Szenarien Ereignisse zum Beispiel an bestimmten Feiertagen nachzuspielen.

epd: Die interaktive Online-Kirche - welche Rolle wird diese Art der Verkündigung des Evangeliums künftig spielen?

Erdmann: Es war schon immer wichtig, auf die Menschen zuzugehen und sie mit dem Evangelium dort zu erreichen, wo sie sich befinden, sowohl örtlich als auch inmitten ihres Lebens. Das gilt auch heute noch. Insbesondere dort, wo Glaubende weit getrennt voneinander leben und zum Beispiel Konfirmandenkurse aufgrund der Entfernungen nicht mehr vor Ort stattfinden können, dürfte eine Online-Kirche eine ganz entscheidend hilfreiche Rolle spielen, um nur ein Beispiel zu nennen. Letztlich geschieht Vernetzung über die unterschiedlichen Plattformen auch so schon, nur eben leider häufig über datenschutzbedenkliche Plattformen. Hier könnte eine gemeinsame virtuelle 3D-Kirchenlandschaft auf selbst verwalteten Systemen der Kirche eine rechtskonforme Unterstützung auch für die Arbeit vor Ort sein. Das wäre eine niedrigschwellige Zugangsmöglichkeit für Menschen, die nicht vor Ort in die Gemeinde gehen, um sich im Gemeindebüro vorzustellen oder den für sie fremden Kirchenraum mit der unverständlichen Liturgie in einem Gottesdienst besuchen möchten. Die virtuelle Online-Kirche wäre zudem grenzüberschreitend offen, ein Angebot von, aber nicht nur für diese Landeskirche, mit der das Evangelium digital durch Anteilhabe verkündet und erfahrbar gemacht werden kann. Ich denke, das hätte Potenzial - und Zukunft.

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