26.09.2020
Eine neue Webseite der EKBO hilft, den Gottesdienst geschlechter*gerechter zu feiern
Hier geht's direkt zur Seite www.ekbo.de/gottesdienstgeschlechtergerecht
Von Katharina Körting, Redakteurin bei ekbo.de
Sprache kann einsperren, kann die eigene Wahrnehmung fesseln. Hierarchische Sprache, die einer Rangordnung unterworfen ist, wirkt wie ein Gefängnis. Die Fesseln durch eingefahrenes binäres Sprechen, das die Zweiteilung „männlich“ und „weiblich“ fortschreibt, sind oft nicht bewusst angelegt. Gerechte Sprache kann diese Fesseln lösen. Sie kann dabei helfen, aus den gesellschaftlichen Zuschreibungen auszubrechen, die dem Erleben nicht entsprechen. Biologie und Geschlechterforschung gehen heute von einer Fluidität aus, das heißt von einer Wandelbarkeit und Vielzahl von Geschlecht.
Die evangelische Kirche unterstützt die Vielfalt und versucht, auch die Leitungsgremien divers zu besetzen. Dabei ist Sprache unverzichtbar, denn sie „bildet die Wirklichkeit ab und stellt sie zugleich immer wieder neu her“, erklärt die Theologin und Geschlechterforscherin Ulrike Auga, Studienleiterin beim Amt für kirchliche Dienste (AKD). Die liturgischen Texte in den evangelischen Gottesdiensten der Landeskirche sollen geschlechter*gerecht(er) werden, weil Sprache die Wirklichkeit verändern kann. „Mit Sprache stabilisieren wir Hierarchie- und Gewaltverhältnisse“, sagt Auga.
Andersherum kann Sprache helfen, eine neue, gerechte Wirklichkeit zu schaffen – auch und gerade im Gottesdienst. Zusammen mit Ulrike Auga, Clemens Bethge, dem Referatsleiter Kirchliches Leben, und der Internetredaktion hat die EKBO die Webseite www.ekbo.de/gottesdienstgeschlechtergerecht an den Start gebracht, pünktlich zum Europäischen Tag der Sprachen am 26. September. Dieser Tag findet seit 2001 statt und feiert die Sprachenvielfalt.
„Die Webseite bietet neben Materialien und Praxishilfen für die liturgischen Elemente von Votum bis Segen auch Hintergrundtexte, Anregungen für die Verwendung von Liedern, Literaturtipps und demnächst auch Hinweise zu Fortbildungen“, sagt Clemens Bethge. Über Predigt und Fürbitte bis zum Vaterunser stehen Anregungen für eine geschlechter*gerechte sprachliche Gestaltung bereit, ergänzt durch Liedvorschläge, Literaturtipps und Texte für Kindergottesdienste.
Das Angebot richtet sich an Pfarrer*innen, Prädikant*innen und Lektor*innen im Verkündigungsdienst sowie an weitere liturgisch Beteiligte und Interessierte. Nach einem Jahr soll eine Evaluierung erfolgen.
Grundlage ist ein Beschluss der Frauenversammlung der Frauen in der EKBO vom Mai 2019. „Jeder Gottesdienst verweist auf die Gottebenbildlichkeit aller Menschen“, meint die Theologin Auga. Umso wichtiger sei eine geschlechter*gerechte Sprache. Diese pariere zudem die Angriffe von Rechtsradikalen und Alternative für Deutschland (AfD) auf die Selbstbestimmung und die sexuelle Freiheit, die diese zum Teil mit der Bibel begründen. „Teile der Rechten missbrauchen die Bibel, um Geschlechterhierarchie und homophobe Verunglimpfung zur gottgewollten Norm zu erklären“, sagt die Geschlechterforscherin. Derlei Fehlinterpretationen der Bibel rechtfertigten und zementierten ungerechte Verhältnisse. Dem könne eine geschlechter*gerechte Liturgie entgegenwirken.
Dagegen wirke sich eine Sprache, die an überkommenen binären, hierarchischen Sprach- und Bildmustern – Mann/Frau, Schwarz/Weiß, Herr/Knecht – festhält und das generische Maskulinum, also die maskuline Form für weibliche und männliche Personen als scheinbar neutrale Norm fortschreibt, sich nicht förderlich auf die Gleichstellung in der Kirche aus.
Dabei geht der Ansatz von Ulrike Auga über das Geschlecht hinaus. Auch postkoloniale Kritik fließt in die Entwicklung geschlechtergerechter Sprache ein, denn auch rassistisches Sprechen zum Beispiel schließt Menschen aus beziehungsweise teilt sie in mehr oder weniger wertvolle Gruppen ein. „Gerade die Religion hat über die Jahrtausende Hierarchien reproduziert, sprachlich abgebildet und so ein weiteres Mal legitimiert“, erläutert Auga.
Geschlechter*gerechte Sprache ermögliche es, eine andere, nicht heteronormative, nicht hierarchische, nicht rassistische Wirklichkeit, eine Welt, in der Ausbeutung nicht alternativlos ist, als Möglichkeit wahrzunehmen – und dadurch möglich zu machen. Sie trägt dazu bei, sich von den weiter bestehenden patriarchalen Denk-Fesseln zu lösen.
„Die sprachliche Wirklichkeit sensibilisiert uns für bestehende Ungerechtigkeiten und trägt zur Gleichstellung und Anerkennung von Vielfalt bei“, erläutert Ulrike Auga. Menschen fühlen sich ermächtigt, sich selbst und die Wirklichkeit teilhabend und gerecht zu denken. Diese Macht von Sprache wirkt auch und gerade in Gottesdienst und Liturgie. Sie kann Hierarchie und Gewalt entweder stabilisieren – oder überwinden helfen.
Texte und Anregungen für geschlechter*gerecht gestaltete Gottesdienste und Andachten bitte an geschlechtergerechte.liturgie