Soziologe: Pilgern ist "religiöses Phänomen jenseits von Kirche"

22.02.2014

Heute pilgern die meisten Menschen, ohne an das zu glauben, was die Kirche ihnen vorgibt, sagt der Soziologe Christian Kurrat.  

22. Februar 2014. Hamburg (epd). Pilgern ist "in", pilgern boomt. Doch dass die persönliche Wallfahrt über Jahrhunderte hinweg aus kirchlich-religiösen Gründen unternommen wurde, ist vorbei. Heute pilgern die meisten Menschen, ohne an das zu glauben, was die Kirche ihnen vorgibt, sagt der Soziologe Christian Kurrat. Er hat in seinen Studien dem Phänomen nachgespürt, warum in einer Gesellschaft, die durch immer mehr Kirchenaustritte und immer weniger Gottesdienstbesuche gekennzeichnet ist, Hunderttausende von Menschen zu den Gräbern von Heiligen pilgern.


Die wenigsten, die auf dem Pilgerweg unterwegs sind, tun dies aus traditionell religiösen Gründen, sagt Kurrat. Er forscht an der Fern-Universität Hagen über die "Soziologie des Pilgerns". Pilgern sei vielmehr "ein biografisches Programm", ausgelöst durch persönliche Ereignisse, Prozesse und Situationen. Für seine Forschungen hat er Feldstudien betrieben, indem er 2008 selbst auf einem Pilgerweg unterwegs war und 2010 eine sechswöchige Forschungsreise zum Jakobsweg in Nordspanien unternahm, um Interviews zu führen und Material zu sammeln.

 

Typische Gründe für das Pilgern sind laut Kurrat vor allem persönliche Krisen oder Umbruchssituationen, die einem widerfahren. Das könne beispielsweise der Verlust eines nahe stehenden Menschen sein. Häufig sind es aber auch selbst herbeigeführte Brüche wie Trennung oder Auszeit aus dem Job. Oft pilgern Menschen auch, wenn sie vor einem "biografischen Übergang" stehen, wie dem Eintritt ins Berufsleben oder ins Rentenalter.


Pilgern sei zwar immer noch ein religiöses Phänomen, sagt Kurrat: Es erfülle grundlegende Funktion von Religion, nämlich "Sinnstiftung, Identitätsstiftung und Evidenzsicherung". In der Gesamtschau sei es jedoch "ein religiöses Handlungsformat jenseits von Kirche". Dies liegt nach Ansicht des 32-jährigen Wissenschaftlers vor allem daran, dass viele der heutigen Pilger mit den "erstarrten Deutungsmustern" der Kirche nichts mehr anfangen könnten. Sie suchten Halt in einer sogenannten "Bastelreligion", einer individualisierten Religion, die sie sich aus verschiedenen Angeboten "zusammengebastelt" haben. Das Problem sei jedoch, dass diese eigene Religion nicht "ratifiziert" ist, nicht bestätigt von einer anerkannten Institution. Der Austausch mit anderen Pilgern biete da die Möglichkeit der Selbstvergewisserung und der Erweiterung der eigenen Erfahrungen.

 

Hape Kerkeling, dessen Pilger-Reisebericht "Ich bin dann mal weg" mit mehr als vier Millionen verkauften Exemplaren bis heute das erfolgreichste deutschsprachiges Sachbuch ist, bezeichnet Kurrat als "Steigbügelhalter für den Pilgerboom". Bis heute ist der "Kerkeling-Effekt" quantitativ nachweisbar. Ein Jahr nach Erscheinen des Buches 2006 betrug die offizielle Pilgerzahl 13.837. Das waren 71 Prozent mehr als im Vorjahr. In den Folgejahren war der Anstieg bei den deutschen Pilgern mit 14 Prozent nicht mehr ganz so hoch, lag jedoch immer noch deutlich über dem durchschnittlichen Zuwachs von 9 Prozent. Insgesamt pilgern jährlich rund 16.000 Deutsche auf einem der mittlerweile zahlreichen Pilgerwege. "Kerkeling hat eine Option für biografische Krisen aufgezeigt", sagt Kurrat, "der Jacobsweg als Therapieroute".

 

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