22.02.2021
Es war ein Jahr voller Regeln und Vorschriften, viel mehr als in all den Jahren zuvor. Auch das ist ja eine Folge von Corona gewesen und ist es immer noch. Keine Tür zu Post, Bahnhof oder Arztpraxis, an der sie nicht stehen: die allerwichtigsten Regeln. Zusammenleben in riskanten Zeiten braucht das. Keine Frage. Aber: Wie viel Spielraum haben wir eigentlich zwischen diesen Ansteckungsrisiken einerseits und der Fülle von Vorgaben andererseits? Ich finde, da ist jede Menge Spielraum. Immer wieder erlebe ich Menschen dabei, wie sie Spielräume ausprobieren.
Spielräume zu entdecken, macht vielleicht ein bisschen mehr Arbeit, aber meistens lohnt es sich. In einem Krankenhaus habe ich einmal eine schwerstkranke junge Frau kennengelernt. Wochenlang ist sie dort Patientin gewesen. Dem Tod näher als dem Leben. So gern würde sie noch einmal ihre Katze sehen und streicheln, meinte die Studentin. Die war nämlich in der WG zurückgeblieben. Die Mitbewohner schleppten das Kätzchen tatsächlich in der großen Reisetasche an. Und eine sehr kreative Krankenschwester auf der Station fand Wege und Mittel, trotz aller Vorschriften einen Herzenswunsch zu erfüllen. Mag jetzt nicht so groß und nicht so spektakulär gewesen sein, aber die Krankenschwester hat gezeigt: Es ist fast immer möglich, zwischen den Regeln Spielräume zu finden. Dazu muss man gar nicht besonders genial sein, vielleicht aber beherzt. Die eigenen Spielräume sind mir kostbar, ob es um die ganz großen Lebensplanungen oder Alltagsentscheidungen geht.
Aber meine eigenen Spielräume sind nicht alles. Genauso kostbar sind die Spielräume, die ich anderen Menschen um mich herum zugestehen kann. Und mehr als das. Meinen Kindern, meinem Partner und Freundinnen. Sich mal gegenseitig die Spielräume eröffnen. Fällt nicht immer leicht; ist ja auch kein Kinderspiel. Spielräume jedenfalls nicht neiden, aber auch nicht gleich sorgenzernagt fragen, was da alles passieren könnte, wenn... Spielräume haben nämlich Türen; die kann man öffnen. Dafür ist jetzt Zeit. Meint auch die Fastenaktion der Evangelischen Kirche. Sieben Wochen ohne Blockaden, dafür aber mit Spielräumen.
„Es gibt eine Zeit für die Arbeit und eine Zeit für die Liebe. Mehr Zeit hat man nicht.“ Das meinte mal die berühmte Modedesignerin Coco Chanel. Stimmt, die Zeit an sich wird nicht mehr. Was aber nun wirklich nicht knapp ist, das sind die Spielräume fürs Lieben, für Zuwendung und Herzlichkeit.