Theologe Markschies: Kirche war 1914 "in vorderster Front dabei"

16.03.2014

Die evangelische Kirche habe sich nicht anders verhalten als andere gesellschaftliche Kreise, erklärte der Theologieprofessor.

16. März 2014. Berlin (epd). Die Kriegsbegeisterung der evangelischen Kirche im Jahr 1914 ist nach Ansicht des Berliner Kirchenhistorikers Christoph Markschies auch 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht hinreichend erforscht. "Dieses Erbe ist immer noch nicht genügend aufgearbeitet", sagte Markschies im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Die Kirche war in vorderster Front bei der Erweckung des Nationalbewusstseins mit dabei." Sie habe die Euphorisierung der Massen mit ihren Möglichkeiten befördert, zum Beispiel in Predigten.


Die evangelische Kirche habe sich nicht anders verhalten als andere gesellschaftliche Kreise, erklärte der Theologieprofessor, "sie war so blind, wie es die gesamte Bevölkerung war". Das sei für Nachgeborene schmerzlich nachzuvollziehen. "Wir haben die Erfahrung von zwei Weltkriegen in den Knochen und können mit dieser Frage anders umgehen als die Menschen damals", räumte Markschies ein. Daher müsse man heute selbstkritisch die Frage stellen: "Hätten wir damals 1914 auch vor dem Berliner Schloss 'Hurra' geschrien, oder hätten wir gesagt: Hier geschieht Ungeheuerliches?"


Nach Einschätzung des Theologen gab es unter den Protestanten 1914 nur wenige kritische Stimmen wie etwa den Schweizer Theologen Karl Barth. Einige andere hätten im Verlauf des Weltkrieges ihren Irrweg erkannt und sich fortan für Versöhnung und Frieden eingesetzt. Nur eine Minderheit der Theologen habe sich nach 1919 auf die Seite der Weimarer Republik gestellt. In der Nazizeit sei auch die NS-kritische Bekennende Kirche noch vom preußischen Erbe der Kaiserzeit geprägt gewesen. So habe die Bekennende Kirche nie zur Wehrdienstverweigerung aufgerufen.


Der Kirchenhistoriker sieht eine Kontinuität bis weit in die Zeit der Bundesrepublik hinein. "Auch die Kirchentage der 50er Jahre waren geprägt von bekenntnisorientierten Generalstabsoffizieren oder erweckten preußischen Adligen wie Reinhold von Thadden", sagte Markschies. Der Kulturbruch sei erst Ende der 60er Jahre gekommen, "als die Studentenbewegung Männlichkeitskultur und Heldentum infrage stellte".


Heute werde als schlimme Gotteslästerung empfunden, was im Ersten Weltkrieg selbstverständlich war, sagte Markschies. Kaiser Wilhelm II. in seinem Selbstverständnis als Monarch von Gottes Gnaden sei "auf den Spuren eines sehr stark als Helden modellierten Christus" gewandelt. Die Worte "Gott mit uns" auf den Koppelschlössern der Soldaten stünden für die "Christlichkeit" eines Staates, "für die es spätestens seit der Weimarer Reichsverfassung auch aus theologischer Sicht keine Rechtfertigung mehr geben kann".


Als Beispiel für Kriegshetze nannte Markschies den Theologen Reinhold Seeberg, den späteren Rektor der Berliner Universität. "Seeberg hat bis 1918 die These vertreten: Wenn man im Zuge der 'Verteidigung des Vaterlandes' einen belgischen Soldaten erschießt, vollstreckt man das Werk der Nächstenliebe Christi an ihm", sagte Markschies, der selbst von 2006 bis 2010 Präsident der Humboldt-Universität war.


"Gerade die Erforschung der Rolle Reinhold Seebergs ist eine Aufgabe, sie sich auch meine Berliner Fakultät stärker auf die Fahnen schreiben muss", räumte der Professor ein. "Wir sollten noch präziser darüber informieren, dass wir in Berlin nicht nur eine Lichtgeschichte mit Schleiermacher und Harnack, sondern dass wir auch eine sehr dunkle Geschichte mit Reinhold Seeberg haben."

 

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