Wer hat die alten Menschen gefragt?

26.06.2020

Die Menschen in Altenheimen sind in ihren Kontakten weiterhin stark eingeschränkt. Das stößt auf Unverständnis bei Bewohner*innen, Angehörigen und Seelsorger*innen

In Pflegeheimen läuft der Kontakt zu Angehörigen nun oft ausschließlich per Smartphone. Foto: Georg Arthur Pflueger / UnsplashIn Pflegeheimen läuft der Kontakt zu Angehörigen nun oft ausschließlich per Smartphone. Foto: Georg Arthur Pflueger / Unsplash

Dieser Artikel ist erschienen in der Wochenzeitung "die kirche"

Von Anne Heimendahl

In einem Brief meldet sich eine ältere Dame zu Wort: „ Ich bin fast 95 Jahre alt und werde bezüglich des Coronavirus vom Staat beschützt. So schön, so gut, nur: Ich bin nicht gefragt worden. Ich fühle mich stigmatisiert, nur weil ich alt bin, ich sehe nicht ein, warum um meiner Gesundheit willen Kinder und Jugendliche zu Hause bleiben müssen; ganz abgesehen von den vernichteten Existenzen in Kunst, Kultur und Gewerbe. Diese Maßnahmen mögen ja alle virologisch richtig sein, aber es gibt nicht nur die eine Perspektive auf dieses Virus. Die emotionalen und mentalen Schäden werden größer sein, als das von der Politik bedacht worden ist.“

Mit diesem Statement spricht die Dame sicher vielen Menschen aus der Seele. Nur: Wenn es diese Kontaktbeschränkungen nicht gegeben hätte, wären dann nicht gerade die Alten die am stärksten Leidtragenden gewesen? Und war es nicht genau richtig, den Schutz der Gesundheit vieler über die Autonomie der Einzelnen zu stellen? Ist es nicht ein Gebot christlicher Nächstenliebe, wenn wir gerade auf die Schwächsten in dieser Weise Rücksicht nehmen?

Ja, sage ich aus der Perspektive der Verantwortlichen, die vielfach ein Ohr für die Seelsorger*innen hatte, wenn das Virus in einem Heim viele Menschen infizierte und wenn die Frage war, wie wir trotz fehlender Schutzkleidung für die da sein können, die uns brauchen.

Und doch wird hier eine wichtige Gegenstimme laut, die in diesen Tagen der Lockerungen unbedingt gehört werden sollte. Sie fordert einen Perspektivwechsel ein und fragt nach den Kosten für die Alten, nach emotionalen und mentalen Schäden. Viele alte Menschen in Pflegeinrichtungen leben auf den Besuch ihrer Angehörigen hin. Ein Kontaktverbot bedeutet zwar Schutz, aber auch Isolation. Das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, führt zu Grübeln und Ängsten: Was ist mit Familie und Freund*innen draußen los? Menschen mit einer Demenz verstehen nicht, warum sie nicht raus, warum sie nicht besucht werden dürfen. Sie spüren dafür sehr deutlich die Atmosphäre der Angst und Bedrohung. 

Auch wenn vielfach gute Wege gefunden wurden, um die alten Menschen trotz der Kontaktbeschränkungen zu begleiten, ist die Perspektive der Seelsorge eindeutig: Telefongespräche, Skype oder Briefe ersetzen nicht den menschlichen Kontakt. Die Präsenz eines Gegenübers, der Atem, die Körperwärme sind durch nichts zu ersetzen. Und bleiben sie für längere Zeit aus, dann bauen Menschen ab, werden mutlos, lebensmüde. 

Umso mehr verwundert, dass selbst jetzt, trotz aller Lockerungen, noch Kontaktbeschränkungen aufrechterhalten werden. Es muss nach Sinn und Unsinn der Entscheidungen gefragt werden: Worin zum Beispiel liegt der Sinn, wenn sich bei dem Besuch der Ehefrau der demente Ehemann auf den Balkon hinter die Fensterscheibe stellen soll? Keine Berührung? Distanz wäre auch innerhalb des Zimmers möglich gewesen. Beide Ehepartner trugen Masken. Der eine versteht es nicht, die andere leidet still. Oder warum wird agilen Alten verboten das Pflegeheim zu verlassen? Weil sie sich anstecken könnten? Masken, Desinfektionsmittel und ausreichend Tests sind doch vorhanden.

Wenn nicht mehr vernünftig erscheint, was zum vermeintlichen Schutz der Bewohner*innen getan oder unterlassen wird, dann könnte der Grund dafür Angst sein. Sie ist eine typische Begleiterscheinung einer jeden Krise. Angst vor dem Unkontrollierbaren, Angst vor der Hilflosigkeit, Angst davor, durch Fehlverhalten schuldig zu werden. Angst kann auch ein wichtiges Warnsignal sein. Wenn sie aber dazu führt, Menschen in ihren Rechten zu beschränken und ihrer Würde und Lebensqualität zu berauben, dann ist sie ausschließlich lebensfeindlich.

Wenn die ältere Dame in ihrem Brief einen Perspektivwechsel einfordert, dann könnte er darin bestehen, mit mehr Vertrauen auf die Alten und ihre Lebenssituation zu schauen. Mit einem Gottvertrauen, das weiß, dass wir nicht alles kontrollieren können, selbst wenn wir die Möglichkeit dazu haben. Dies immer wieder in Erinnerung zu rufen, ist unsere Aufgabe, die der Seelsorge, aber natürlich auch die der Kirche. Wir sind Anwälte für das Leben, weil wir in ihm als Geschenk Gottes mehr sehen als die Funktionsfähigkeit des Körpers. Wir wissen, dass es um die Gestaltung eines gelingenden Lebens geht – bis zum Schluss und auch unter einem Lockdown.

Anne Heimendahl ist Landespfarrerin für Krankenhaus- und Altenpflegeheimseelsorge. Hier finden Sie mehr zu diesem Thema in der EKBO

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