Zupke: "Wiedervereinigung lag hinter meinen Fantasiegrenzen"

08.11.2021

Berlin (epd). Seit Juni ist Evelyn Zupke Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt sie, warum die Opfer politischer Repression in der DDR noch heute eine Ombudsfrau brauchen, wo sie konkret helfen will und wie es dazu kam, dass sie als Oppositionelle vor 32 Jahren den Mauerfall verschlief.

epd: Am Dienstag jährt sich der Tag des Mauerfalls zum 32. Mal. Sie haben den Tag verschlafen. Wie kam das?

Evelyn Zupke: Die Zeit davor, eigentlich das ganze Jahr 1989, war sehr anstrengend. Im Mai hatten wir vom Weißenseer Friedenskreis die Fälschung der Ergebnisse der Kommunalwahl nachgewiesen. Darauf aufbauend schrieben wir Eingaben, fertigten Strafanzeigen. Dazu kamen die Proteste auf dem Alexanderplatz. Die Dauermahnwache vor der Gethsemanekirche habe ich mitorganisiert. Das alles lief neben der Arbeit und Familie. Wir waren tiefenerschöpft und sind bei jeder Gelegenheit eingeschlafen. So ging es mir eben auch bei der berühmten Pressekonferenz am 9. November 1989, auf der die neue Reiseregelung bekannt gegeben wurde. Damit hatte ich den Mauerfall verschlafen.

epd: Das heißt, sie rechneten auch nicht mit solch einer Nachricht?

Zupke: Nein. Wie viele andere Oppositionelle kämpfte ich für Reformen in der DDR. Die Öffnung der Grenze oder eine Wiedervereinigung Deutschlands lag hinter meinen Fantasiegrenzen.

epd: Was hat sie damals angetrieben?

Zupke: Hoffnung spielte natürlich eine Rolle, genauso aber auch Trotz. Wenn man so etwas wie mit der Aufklärung der Kommunalwahl angefangen hatte, wollte man das durchziehen.

epd: Hatten Sie keine Angst?

Zupke: Natürlich hatte ich die. Ich wurde zweimal in dem Jahr festgenommen. Ständig wurden wir zum Verhör abgeholt, „zur Feststellung eines Sachverhaltes“, wie es so schön hieß. Die größte Angst war, dass uns die Kinder weggenommen werden. Wir haben uns gegenseitig, aber auch an Leute außerhalb des Friedenskreises Vollmachten ausgestellt, ohne zu wissen, ob im Fall einer Inhaftierung unsere Kinder dorthin gekommen wären. Die Demonstration am 7. September 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz, auf der viele von uns brutal zugerichtet wurden, hat Angst gemacht. Einem Freund aus dem Friedenskreis wurde an dem Tag der Arm gebrochen.

epd: Seit knapp fünf Monaten sind Sie die erste SED-Opferbeauftragte des Bundestags nach der Auflösung der früheren Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen. Ist schon jemand von den Verhandlern der möglichen Koalition von SPD, Grünen und FDP auf Sie zugekommen, um nach Ihren Anliegen zu fragen?

Zupke: Mein Thema steht nicht ganz oben auf der politischen Agenda. Aber natürlich bin ich mit der Politik im Gespräch und werbe für die Anliegen der SED-Opfer.

epd: Welche sind das?

Zupke: Eines ist das Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft. Das ist aber durch das Engagement der Opferverbände und einen Bundestagsbeschluss auf einem guten Weg. Bei den Dingen, die direkt den Opfern politischer Repression zugute kommen würden, sind mir die Durchsetzung eines bundesweiten Härtefallfonds, Beweiserleichterungen bei der Begutachtung gesundheitlicher Folgeschäden und eine Anpassung der SED-Opferrente an die allgemeine Lohn- und Rentenentwicklung besonders wichtig. Härtefallfonds gibt es bisher nur in Sachsen, Berlin und Brandenburg. Infrage kommt für Leistungen nur, wer dort heute lebt. Damit sind viele ausgeschlossen, faktisch alle, die damals in den Westen geflüchtet oder später dorthin gezogen sind.

epd: Es sollte also einen Härtefallfonds geben, für den der Bund zuständig ist?

Zupke: Aus meiner Sicht braucht es eine bundesweite Regelung. Es geht um Menschen, die bereits eine Rehabilitierung erhalten haben, bedürftig sind und einen nachvollziehbaren Bedarf haben, weil etwa ein Möbelstück kaputt ist oder das Geld für Angebote sozialer Teilhabe fehlt.

epd: Und was ist den Leistungen für gesundheitliche Folgen politischer Verfolgung im Argen?

Zupke: Ganz einfach: Neun von zehn Anträgen von SED-Opfern auf gesundheitliche Entschädigungsleistungen haben keinen Erfolg. Ich bekomme dazu viel erschütternde Post und Anrufe. Manche Leute müssen sechs Jahre auf eine Begutachtung warten, andere werden mit unsensiblen Gutachtern konfrontiert, werden retraumatisiert durch die Befragung und bekommen dann eine Ablehnung.

epd: Aus welchem Grund?

Zupke: Die wesentliche Hürde scheint mir zu sein, dass die Betroffenen nachweisen müssen, dass eine jetzige Erkrankung auf damalige Haft, Zersetzung oder Zwangsmaßnahmen in einem Jugendwerkhof zurückzuführen ist. Das wird oft nicht anerkannt, obwohl hinlänglich erwiesen ist, dass solche Folgen oftmals erst Jahre oder Jahrzehnte nach dem Erlebten auftreten. Die Leute geben auf oder werden durch die Verfahren noch kränker. Da muss sich dringend etwas ändern.

epd: Was genau?

Zupke: Über den genauen Weg muss man noch beraten. Es könnte eine Gesetzesänderung sein, wodurch beispielsweise politische Häftlinge den Zusammenhang zwischen dem Gesundheitsschaden und den Erlebnissen in der Haft nicht mehr durch umfangreiche Begutachtungen belegen müssten. Ich will mich aber auch dafür einsetzen, dass nur noch im SED-Unrecht geschulte Gutachter eingesetzt werden. Es scheint in vielen Fällen nicht verstanden worden zu sein, was etwa ein Jugendwerkhof in der DDR bedeutete. Die Gutachter halten das für eine normale Jugendhilfeeinrichtung, lesen die Akten nicht kritisch. Dass es in der DDR reichte, eine West-Jeans zu tragen, um ein „Rowdy“ zu sein und im Jugendwerkhof eingesperrt zu werden, wissen viele nicht. Und das war keine Jugendhilfe: Da wurden Menschen gebrochen, krasseste Disziplinierungsmaßnahmen angewendet, Jugendliche zersetzt.

epd: Über das Thema gerieten Sie vor zehn Jahren auch in Streit mit der Evangelischen Hochschule Hamburg, an der Sie damals ein Studium angefangen hatten. Worum ging es da?

Zupke: Das erste Lehrbuch, das ich damals bekommen hatte, enthielt einen Beitrag von Eberhard Mannschatz. Das war der Miterfinder des Geschlossenen Jugendwerkhofs Torgau. In dem Beitrag ging es darum, wie beispielhaft, vorbildhaft die Jugendhilfe der DDR gewesen sei, von Repressionen in Torgau natürlich kein Wort. Ich dachte, ich falle vom Glauben ab! Ich habe dann einen Brief an die Hochschulleitung geschrieben, mit anderen Studenten ausgetauscht, mich an Medien gewandt. Es kam immerhin zu einem Besuch der Hochschulleitung in Torgau. Später wurde das Kapitel wohl ausgetauscht.

epd: Sind die jungen Opfer des SED-Unrechtsregimes heute genügend be- und anerkannt?

Zupke: Ich finde nicht, das hat aber verschiedene Ursachen. Im Osten dachte man wirklich, in den Jugendwerkhöfen und den DDR-Spezialkinderheimen sind die „schwierigen“ Jugendlichen. Ich dachte das mit 16 Jahren wahrscheinlich auch. Und später, als man es besser wissen konnte, wollten es viele nicht mehr wissen. Im Westen ist es schlicht weiterhin unbekannt.

epd: Um wie viele Menschen geht es bei den gesundheitlichen Entschädigungsleistungen?

Zupke: Wir reden von bis zu 250.000 politischen Gefangenen, zwischen 50.000 und 100.000 Insassen von Jugendwerkhöfen, Spezialkinderheimen und Opfern beruflicher Zersetzung. Mir tut es im Herzen leid, zu sehen, wie diese SED-Opfer heute alt werden und dabei durch hartleibige Ämter nochmal beschädigt werden. Das finde ich nicht würdig.

epd: Ein Thema der vergangenen Wahlperiode war die Aufarbeitung von Zwangsadoptionen in der DDR und die Anerkennung ihrer Opfer. Ist das ein Thema für Sie?

Zupke: Es gab mit Sicherheit Zwangsadoptionen in der DDR. Ich vermag nur das Ausmaß überhaupt nicht zu benennen. Es ist gut, dass es weiter erforscht wird und diese Kinder mit ihren Müttern ins Bewusstsein gerückt werden. Erst mit den Ergebnissen kann man aber bei dem Thema wirklich weitersehen.

epd-Gespräch: Corinna Buschow und Markus Geiler

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