09.12.2024
„Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der jede soziale Aktivität bezahlt werden muss“
Beate Tensfeldt arbeitet ehrenamtlich in der Krankenhausseelsorge im Urban-Krankenhaus. Durch ihren Hauptberuf im Gesundheitswesen und früheren Aktivitäten hatte sie schon immer einen Bezug zur Arbeit im medizinischen Bereich.
Wie sind Sie zu Ihrem Ehrenamt gekommen?
Beate Tensfeldt: Vor über vier Jahren hatte ich den Gedanken, mir ein Ehrenamt für die Zeit im Ruhestand zu suchen und vorbereitet zu sein, wenn der letzte Arbeitstag kommt. Durch eine französische Dokumentation im Fernsehen aufmerksam geworden, hatte ich mich mit der Gefängnisseelsorge der evangelischen Kirche in Berlin in Verbindung gesetzt. Doch schnell wurde klar, dass wegen der Coronamaßnahmen eine Umsetzung meiner Vorstellungen erschwert wird.
Parallel hatte ich mich für einen ehrenamtlichen Seelsorgekurs der EKBO angemeldet und wurde angenommen. Für die Praxis musste ich mir noch ein Aufgabengebiet suchen und bin auf die Idee gekommen, im Krankenhaus nachzufragen. Durch meinen Hauptberuf und frühere Aktivitäten hatte ich schon immer einen Bezug zur Arbeit im medizinischen Bereich.
Was mich besonders glücklich macht, ist, dass ich nun im kirchlichen Bereich tätig sein kann. Denn das war ursprünglich mein Plan und Wunsch gewesen, als ich mit dem Studium der Sozialen Arbeit anfing. Gelandet bin ich dann aber beim Staat, wo ich lange Jahre im Jugendamt und dem Bereich Teilhabe gearbeitet habe und jetzt im Gesundheitsamt bin, wo es sogar Überschneidungen zu meinem Ehrenamt gibt.
Inwieweit bereichert Sie das Ehrenamt?
Beate Tensfeldt: Da das Ehrenamt freiwillig gewählt ist, bildet es einen Gegensatz zu meiner tagtäglichen beruflichen Arbeit, die ich auch sehr gerne mache. Es ist mir eine Freude, meinen Glauben sichtbar werden zu lassen, ohne dass dieser im Vordergrund steht. Ich freue mich, wenn die Menschen eine positive Gesprächserfahrung mit einer Vertreterin der Kirche machen können, selbst wenn sie sich über die Kirche beklagen oder sie ablehnen. Oft gehe ich aus den Gesprächen selbst beschenkt raus, weil es so viele tapfere und beeindruckende Menschen gibt, die mich an ihrer Weisheit oder ihren Glauben teilhaben lassen.
Heute traf ich einen Mann während meines Einsatzes im Urban–Krankenhaus, dessen Frau im letzten Jahr verstorben ist und der bis heute kaum mit jemanden darüber sprechen konnte. Er war zutiefst dankbar, dass ich im Zimmer erschienen bin und nutzte die Gelegenheit, um sich auszusprechen und nach Hilfe zu fragen. Wir sprachen ausführlich über seine Situation und was für eine Hilfe er gebrauchen könnte.
Es kommt immer wieder vor, dass Patienten und Patientinnen das Gespräch mit mir nutzen, um über Dinge zu sprechen, über die sie noch nie mit jemanden geredet haben. Angehörige sollen nicht belastet werden und Freunde geben gute Ratschläge, worum es aber nicht geht. Das laute Aussprechen tut gut und verschafft Klarheit.
Meist sehe ich die Menschen nur einmal, aber die Begegnung findet statt in einem Moment der Verletzlichkeit, der Sorge und der Angst, insbesondere, wenn die Krankheit lebensbedrohlich ist. Ich fühle mich mit meinem Dasein dann am richtigen Ort.
Haben Sie das Gefühl, dass die ehrenamtliche Tätigkeit in unserer Gesellschaft ausreichend sichtbar ist?
Beate Tensfeldt: Einerseits wird über Ehrenamtliche in den Medien berichtet, zum Beispiel über die Tafel, die Arche, die Obdachlosenarbeit der Stadtmission. Andererseits, wenn ich es richtig verstanden habe, sind über eine Million Menschen in Deutschland ehrenamtlich unterwegs. Das wird sicher nicht deutlich. Aber ich würde nicht mehr Aufmerksamkeit haben wollen. Ich bekomme meine Anerkennung aus der direkten Arbeit mit den Menschen.
Das Ehrenamt hat was mit mir und meinen Stärken, Wünschen und Erfahrungen zu tun, die ich einbringe, ist also etwas Persönliches.
Es ist mir total wichtig, diesen Dienst zu tun, weil ich nicht in einer Gesellschaft leben möchte, in der jede soziale Aktivität bezahlt werden muss.
(Das Interview führte Bianca Krüger)