Erntedank in Jüterbog: Die Predigt des Bischofs

04.10.2020

Zum Erntedankfest hat Bischof Christian Stäblein in Jüterbog Gottesdienst gefeiert. Hier lesen Sie seine Predigt im Wortlaut:

Beim Erntedankgottesdienst am 4. Oktober in Jüterbog. Fotos: Andrea FichtmüllerBeim Erntedankgottesdienst am 4. Oktober in Jüterbog. Fotos: Andrea Fichtmüller

"Liebe Gemeinde,

sieben Körbe über. Das ist so etwas wie mein Lieblingsbild in der Geschichte. Hinterher sieben Körbe über. Was man damit noch machen kann. Heute würden wir sagen: einfrieren? Für schlechte Zeiten? Na, wenn die Körbe voll nicht nur für Brot stehen, sondern auch für die guten Geschichten, die wir mit Jesus erleben, ist das vielleicht gar kein schlechter Vorschlag. Aufbewahren für Zeiten, wenn wieder Hunger ist. Es war ja jetzt auch ganz gut in dem halben Jahr, wo das mit der Nähe schwierig ist, dass es Menschen gab und gibt, die zumindest gute Geschichten von der Nähe erzählen können, gute Geschichten, dass Jesus da ist, auch, wenn wir ganz allein sind, auch wenn, wir sterben. Ja, sammelt die Körbe und bewahrt die Geschichten auf.

Oder – sieben Körbe voll – na sicher, da liegt es nahe, dass wir sagen: weiter verteilen. Die 4000 sind satt und also teilen wir weiter aus. Brot für die Welt – in diese Erzählung heute aus dem Evangelium muss man das wirklich nicht erst hineinlesen, da steht das wahrlich schon drin, der Auftrag. Sieben Körbe über – raus zu den Hungrigen damit. Hier in Jüterbog ist das ja vielleicht nicht so, aber in Berlin: es ist jedes Mal neu für mich ein Erschrecken, wenn ich sehe, wie viele Menschen die Mülleimer an den S-Bahnen-Stationen nach Essbarem durchleuchten. Kleine Taschenlampe, schneller Blick, man sieht denen das von Außen gar nicht an, zack, kurze Kontrolle, ist da was im Müll. Dass das mitten unter uns so ist? Und hier in Jüterbog und um zu womöglich auch? Armut in Deutschland ist in den sogenannten ländlichen Regionen ja nicht kleiner, das Kind, das nicht mitkann, wenn die anderen ins Kino gehen, der eine Cappuccino, der nicht im Budget ist, wenn die Arbeitskolleginnen noch nach Schluss … sieben Körbe voll über bei Jesus heißt auch: Es ist immer was über, es ist noch Platz, bei ihm sowieso, aber auch in unserem Herzen, ja, es ist noch Platz.

Sieben Körbe voll – haltbar machen für andere Zeiten, verteilen in die Welt oder auch: einfach noch ein bisschen bleiben. Er ließ sie gehen, heißt es ja am Ende der Geschichte, er ließ sie gehen – aber vielleicht sind sie noch einen Moment geblieben, war ja noch genug zu Essen da. Wenn es am Schönsten ist, wenn man gut zu essen und gut ins Gespräch gekommen ist, wenn man an einem Abend – möglicherweise bei einem ewig langen Gespräch in der Küche bei Käse und Traubensaft sein Leben begriffen hat, wenn man sich entschuldigt hat, wenn man alles erzählt hat, was endlich raus musste, dann hat man meist drei Anläufe bis dahin gebraucht, dann hat man vielleicht auch zweimal schon gesagt, ich will jetzt gehen – ich sage das, weil ich manchmal denke: In der Kirche verlernen wir das auch langsam, dass man da manchmal auch bleiben will, dass nicht alle immer nur Kaffee to go und Gebete to go und womöglich Segen to go und Gemeinschaft to go wollen, sondern irgendwo auch bleiben. Sind noch sieben Körbe voll da. Ist noch viel Zeit und vor allem ein großes Versprechen: Du kannst wieder kommen. Auch wenn Jesus heute sagt: Du kannst gehen. Er ist da, und Du kannst wieder kommen. Sieben Körbe voll – bei Jesus herrscht geradezu Überfluss. Überfluss ist ja das Zeichen – es gibt nicht nur das Nötigste, es geht nicht nur um satt und sauber, satt und sauber ist gut, aber nicht alles im Leben. Bei Jesus herrscht Überfluss – an Güte und Glück. Und zwar – naja, altes Wortspiel – und zwar für die, die sich überflüssig fühlen. Sie sind es nicht, sie sind das Glück dieser Welt.

Sieben Fässer Wein – da gab es mal so ein Lied, ein Schlager für die übervollen Abende, wenn man den Text genauer ansieht, geht es allerdings nicht um das reine Glück, sondern eher um das verpasste Leben. Sieben Fässer Wein sind also weniger zu empfehlen, nur zum Singen, würde ich sagen, aber besser sieben Körbe voll Brot. Sieben ist ja kein Zufall hier, sieben meint ja die ganze Fülle, sieben, das ist die Symbolsprache in Zahlen: etwas ist himmlisch ganz, himmlisch gefüllt, einfach die Fülle. Eben Leben bei Jesus.

Liebe Gemeinde, wenn wir nur sieben offene Fragen an eine biblische Geschichte haben, ist es vermutlich wenig. Heute fallen mir sofort zig Fragen ein: Warum sind die da ohne Brot überhaupt solange raus? Warum wurde nicht vorgesorgt? Ist in der Geschichte überhaupt reales Brot gemeint? Geht es nicht um was anderes? Und dann natürlich: Wie macht Jesus das? Wie soll das denn gehen? Sieben Brote 4000 Menschen? Ist das nicht alles eher symbolisch gemeint? Und wieso verstehen es die Jünger nicht, ist ja nicht das erste Mal, dass Jesus das macht? Und was hat das nun mit uns zu tun? Gibt es die Wunder nur bei Jesus? Ist es dann nicht eher schrecklich hilflos, diese Geschichte immer wieder zu erzählen, obwohl wir ja womöglich nicht so gut Wunder können? Oder geht es eigentlich ums Abendmahl? Aber da ist es nur so eine kleine Oblate? Ist das dasselbe? Oder anders satt? Ach, wenn wir nur sieben Fragen hätten – jede biblische Geschichte wirft Körbe voll Fragen auf, manchmal ist das schön, manchmal auch zu viel, jedenfalls für eine Predigt. Ich greife deshalb zwei Fragen raus, die mir zu heute passen. Die anderen Körbe Fragen überlasse ich Bruder Wiarda und Ihnen für die nächsten Jahre.

Also erstens: Warum diese Geschichte heute? Das ist schon deshalb wichtig, weil es ja eigentlich keine direkte Erntedankgeschichte ist. Was erstmal schade ist, denn das heißt: Es besteht das Risiko, dass passiert, was so schnell an Erntedank passiert: Die Bäuerinnen und Bauern, die Landwirtinnen und Landwirte werden übersehen. Der Landesbauernverband, also viele, die sich dort engagieren, sind heute hier. Das ist gut, darüber bin ich froh. In den letzten Wochen habe ich versucht, genauer auf Ihre Situation zu schauen – der dritte zu heiße Sommer, eine, vorsichtig formuliert, durchwachsene Ernte, manche Frage und unermüdliches Engagement für Schöpfung und Natur habe ich bei meinen Besuchen auf Mähdrescher und Melkkarussell erlebt. Unermüdliches Engagement in der Natur, für die Natur und für unsere Ernährung – die Geschichte, auch die mit Jesus, auch das Wunder, das alle satt werden, diese Geschichte geht nicht ohne Brot. Und Brot geht nicht ohne Sie, die Landwirtinnen und Landwirte. Das wollen wir aussprechen heute. Und das danken nicht vergessen.

Danken zuerst mit Ihnen für die Schöpfung, unserem Schöpfer. Das erste Wunder ist die Schöpfung selbst, und dass was wächst. Warum diese Geschichte von der Brotvermehrung heute? In diesem Sinne kann die Antwort nur heißen: Sie erinnert uns daran, dass die Welt von Gott so gemacht ist, dass Brot für alle da ist. Dass wir eben nicht aufteilen in die im Kern, die kriegen die sieben Brote, und die am Rand, die kriegen dann Brotkrumen, nein, nix da. Es ist genug für alle da, wir müssen nur – ja was. Komme ich gleich zu. Einen Moment noch. Es ist genug für alle da und die Landwirtinnen und Landwirte und alle dort Beschäftigen sorgen dafür, dass das so ist – wir haben nicht einen Tag in der Lockdown-Zeit gehabt, in der nicht Brot im Regal lag. Danke! Landwirtschaft ist systemrelevant? Sie ist existenzrelevant und sie weiß um die Härten der Existenz. Denn jede Ernte bleibt bei allem Tun auch Geschenk. So dankt Jesus, bevor er das Brot teilt und es ausgeteilt wird. Es ist alter jüdischer und christlicher Brauch: vor dem Essen danken, wie Jesus. Gott danken – unser Leben ist empfangen, verdankt, das Meiste und alles Entscheidende machen wir nicht selbst.

Und die zweite Frage, die ich raus picke: Wie geht das denn nun mit der Speisung der 4000? Wird ja nicht so richtig erzählt, wie Jesus das macht, nur eben das. Danken. Brechen. Sieben Brote. Austeilen. Alle satt. Sieben Körbe voll über. Wie das. Gibt viele Antworten darauf. Die einfachste und schönste ist: Teilen. Hatten Sie schon mal ein Fest mit Gästen und dachten nicht vorher, es reicht nicht und hinterher, weil alle noch was dazu getan und dann geteilt haben – hinterher war fast mehr über als vorher. Lebenserfahrung. Teilen und es reicht immer, fast immer. Wer hortet, hat hingegen nie genug. Auch das ist ja so im Leben: Wer Gutes horten will, dem verschimmelt sein eigenes Leben unter den Händen weg.

Teilen, ok. Aber das wird jetzt vielen und auch den Konfis nicht reichen, um die Nummer hier zu erklären. Ein nächster Stapel Antworten dazu kommt aus der Rubrik fromm: Man muss es glauben. Es geht nur bei Jesus. Es meint ein besonderes satt werden bei Jesus. Ja, es ist Jesu Wort und Jesu Gabe, die satt macht. Das klingt als Antwort ein wenig nach frommer Ausflucht, aber da steckt viel Kluges drin, wenn man einen Moment drüber nachdenkt. Was könnte das für ein Wort sein, dass man so teilen kann, dass es unendlich viele Leute satt macht. Na, vielleicht ein „es ist gut, dass Du da bist“. Wie viele warten darauf, dass das einmal am Tag jemand zu Ihnen sagt – oder einmal im Leben. Gut, dass Du da bist. Macht satt, braucht man gar nicht mehr kompensatorisch Schokolade – obwohl: die esse ich auch sehr gern neben Brot. Oder: Ja, ich verzeihe Dir, vergeben. Auch so ein Lebenswort, nach dem so viele hungern und dass einfach satt macht, und zwar mehr als jedes Brot.

Also die Rubrik fromme Antworten ist so schlecht nicht, oder, liebe Gemeinde? Na, was soll so ein Bischof schon auch sagen. Und trotzdem können Sie mir jetzt natürlich entgegen halten: Der Mensch lebt zwar nicht vom Brot allein, aber ohne Brot, nur mit guten Worten, ist auch nicht. Also auch bei dieser Antwort bleiben Fragen offen. Aber das ist ja so im Leben. Fragen bleiben offen. Und hoffentlich auch der Hunger nach Fragen und Antworten. Dass keine Fragen mehr offen bleiben – dass wirklich alle satt werden, dass wir alle friedlich und erlöst rumlaufen, das ist, wenn Jesus endgültig da ist, auch das erzählt ja die Geschichte heute. Sie erzählt wie alle schönen Geschichten mit Jesus vom Ende der Zeit und vom Glanz, den wir jetzt schon davon erhaschen. Nämlich wie?

Das ist nun mein letzter kurzer Punkt für heute. Das Geheimnis der Geschichte ist ja, dass die das da einfach tun. Jesus dankt und bricht und teilt. Und die Jüngerinnen und Jünger teilen aus. Die machen das einfach. Jesus traut uns das zu. Im rechten Moment tun, was dran ist. Das kennen Sie sicher auch, dass man manchmal denkt: jetzt macht doch einfach. Europa und die Menschen in den Lagern und den unmenschlichen Bedingungen. Wie auch immer man hier zu großen Politik steht, es ist so ein Punkt, wo ich denke: jetzt macht doch einfach. Holt mindestens die Kinder da raus, teilt das Leben mit ihnen. Ganz viele Kommunen haben sich unter dem Stichwort „wirhabenPlatz“ zusammengeschlossen. Macht doch einfach. Das geht natürlich nicht immer.

Einfach machen geht auch nicht immer gut, das weiß jeder. Nur: Wenn keiner anfängt, geht gar nichts. Und eben das erzählt die Geschichte auch. Jesus hat angefangen. Gott hat angefangen. Wir teilen das ja nur weiter aus. Seine Liebe. Sein Brot. Sein gutes Wort. Seine Gemeinschaft. So gesehen: Körbe voll, sieben Körbe voll zum weiter erzählen, weiter geben, mindestens. Und mehr muss gar nicht. Ist ja schon die Fülle voll: sieben. Ach ja, und natürlich: Ernten. Backen. Brot haben. Danken. Amen."

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