21.11.2024
Eröffnungsrede von Präses Harald Geywitz zur 9. Tagung der V. Landessynode
Antisemitismus
An erster Stelle steht für mich, an unsere gemeinsame Überzeugung zu erinnern, wie sie sich in unserem Beschluss vom November 2023 ausdrückt:
„Wir nehmen mit Entsetzen wahr, dass die Zahl der Beleidigungen und Bedrohungen jüdischer Menschen in Deutschland dramatisch zugenommen hat. Wir beklagen das Schweigen weiter Teile der deutschen Zivilgesellschaft angesichts des Terrors gegen Israel. Als Christinnen und Christen wollen und dürfen wir es nicht hinnehmen, dass Jüdinnen und Juden sich in Deutschland allein gelassen und nicht mehr sicher fühlen können. Wir stehen als Evangelische Kirche unmissverständlich an ihrer Seite. Wir bitten alle evangelischen Christinnen und Christen, sich daran erkennbar zu beteiligen.“
Ich unterstreiche jedes Wort und danke alle Christenmenschen, die in diesem Sinne aufgestanden sind, um an der Seite der Jüdinnen und Juden zu stehen. Ich danke unserem Bischof Dr. Christian Stäblein, für seine Initiative, am 7. Oktober 2024 gemeinsam der Opfer und der Geiseln zu gedenken und unsere Solidarität zu zeigen. In einem Gedenkgottesdienst in der Gedächtniskirche haben wir in interreligiöser Gemeinschaft miteinander gebetet und im Anschluss unseren Bundespräsidenten gehört. Es bleibt unsere Weisung, nicht zu vergessen, wo wir in die Irre gegangen sind, fest an der Seite der Jüdinnen und Juden zu stehen und weiterhin für Dialog und Versöhnung unseren Beitrag zu leisten.
Recht haben – oder vielleicht doch nicht?
Wir tagen in gesellschaftlich bewegten Zeiten. Über Vieles wird in unserem Land gestritten. „Zusammen streiten“, so hieß die Kampagne unserer EKBO in diesem Jahr. Streiten nehme ich allenthalben wahr. Aber zusammen? Wann lassen wir den Verdacht zu, der oder die Andere könnte recht haben?
Könnte nicht er Recht haben, der zu viele Veränderungen an der deutschen Sprache fürchtet, weil sie dadurch noch schwieriger erlernbar wird? Oder vielleicht doch diejenige, die es satt hat, immer nur mitgemeint zu sein?
Könnte sie recht haben, die ein individuelles Recht auf Asyl für unethisch hält, weil es in mobilen Zeiten ein unerfüllbares Versprechen abgibt. Oder derjenige, der meint, kein Mensch ist illegal oder irregulär?
Hat der Recht, der Deutschland in besonderer Verantwortung sieht für eine deeskalierende Strategie, die keine offensiven Waffen an die Ukraine liefern will? Oder doch der, der dem Unrecht der russischen Gewalt größtmögliche militärische Stärke entgegensetzen will?
Viele fragen sich nicht, ob die jeweils andere Position vielleicht doch richtig sein könnte. Am vergangenen Samstagabend der Friedensdekade, durfte ich in Lindow zu Gast sein. Dort erlebte ich ein Abwägen in der Diskussion um Krieg und Frieden und eine friedliche Stimmung. In der niemand sofort den anderen als Feind wahrnahm. Zusammen streiten eben.
Jugendsynode
Ein Schwerpunkt unserer Landessynode ist die gemeinsame Tagung mit vielen Jugendlichen. Einen ganzen Tag lang beschäftigen wir uns als 190-köpfige Versammlung am Freitag in Form einer "Jugendsynode" alle gemeinsam mit Ideen und konkreten Vorschlägen von jungen Menschen aus der EKBO. Am Ende stehen hoffentlich viele neue Erkenntnisse und konkrete Aufträge an die Kirchenleitung. Besonders interessant und vielversprechend finde ich persönlich den Vorschlag einer Jugendquote. Wir können die Zukunft unserer Kirche nicht nur für sondern müssen sie auch mit der Jugend gestalten. Die EKD hat durch ihre Jugendquote bewiesen, dass die Perspektiven junger Menschen unverzichtbar sind, um gute Entscheidungen zu treffen. Ich hoffe, es gelingt uns, eine gute gemeinsame Position dazu zu entwickeln.
Da passt es sehr gut, dass auch beabsichtigt ist, die bisherige Erprobung der Mitgliedschaft von Jugendlichen im Gemeindekirchenrat nun kirchengesetzlich auf Dauer zu ermöglichen. Dort, wo es erprobt wurde, höre und erlebe ich viel Zustimmung und Freude über frischen Wind. Auch wenn Frische im Kopf nicht nur vom Alter abhängt. Ich habe schon sehr innovative 76-jährige und sehr veränderungsunwillige 42-jährige erlebt.
Frauen im Pfarramt
Auf unsere lange Tradition als Kirche der Reformation sind wir bei etlichen Themen zu Recht stolz, und gleichwohl hat unsere Kirche im Laufe der Zeit Schuld auf sich geladen. Der Umgang mit den Frauen in der Gesellschaft und innerhalb unserer evangelischen Kirche gehört auch zur Schuldgeschichte unserer Kirche. Lange war Frauen der Zugang zum Pfarramt verwehrt. Zögerlich gab es erste Schritte und dann erste Pfarrerinnen, die zunächst nicht verheiratet sein durften. Ein aus heutiger Sicht atemberaubender Sonderweg des Zölibats im weltweiten Protestantismus. All diese zögerlichen Schritte haben Leid verursacht. Bei den Theologinnen selbst, aber auch bei den Frauen, die sahen, wie ihre Kirche mit Frauen umging und wie dadurch biblischem Zeugnis zuwidergehandelt wurde.
Das klingt auch heute noch nach. So schrieb die Pfarrerin Rahel Rietzl am 30. September 2024 in einem Beitrag in der Märkischen Oderzeitung:
„Beim Gebet liefen mir die Tränen. Da saß ich am Anfang unseres Konvents in der Kirchenbank. [Der Konvent ist ein Fortbildungstag der Mitarbeitenden im Kirchenkreis.] Ich war angerührt von den Erinnerungen meiner Pfarrkollegin. Sie erzählte vom Schreibtisch ihres Vaters. Der hätte auch der Schreibtisch ihrer Mutter sein können. Doch Frauen mussten sich damals entscheiden: Heirat oder Pfarrdienst. Darin höre ich auch die Geschichte meiner eigenen Großmutter. Sie musste auf ihre Pfarrstelle verzichten, als sie geheiratet hat. Auch für meine Mutter brauchte es viel Ermutigung ringsum, damit sie sich überhaupt ihre Pfarrstelle zutraute.“
So Pfarrerin Rietzl. Immer wieder gab es wichtige Schritte auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, auch in der Kirche. Erkämpft von starken Frauen und immer wieder bekämpft von denjenigen, die an Althergebrachtem mit Macht festhalten wollten. Das Buch „Die Ersten“, welches Schwester Scheepers gleich vorstellen wird, erscheint aus Anlass eines Jahrestages. Im November 1974 beschloss die Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Berlin West) im Wesentlichen die rechtliche Gleichstellungen von Frauen im Pfarrberuf. Technisch ging es um die Änderung dienstrechtlicher Vorschriften, die bis dahin Frauen diskriminiert hatten. Das geschah, wie es im Protokoll der Synode vermerkt ist, „mit großer Mehrheit“. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine heftigen Auseinandersetzungen darum gab. Ganz im Gegenteil: vom Ausscheiden „profilierter theologischer Mitglieder“ aus der Synode bis hin zu einem Rücktritt vom Präsesamt reichten die Abwehrhandlungen. Doch am Ende glückte das, was nach biblischem Zeugnis selbstverständlich sein sollte: die zumindest rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern im Pfarrdienst.
Mit solchen rechtlichen Beschlüssen, die in anderen Teilen unserer heutige Landeskirche in der Praxis teils früher und rechtlich teils später vollzogen wurden, ist die Frage der Geschlechtergerechtigkeit selbstverständlich nicht beantwortet. Sie wird in der Praxis beantwortet. Es ist beispielsweise gut, dass bisher zwei Frauen und zwei Männer Präses in der EKBO waren. Aber es reicht natürlich nicht aus und die Analysen zur ungenügenden Vertretung von Frauen in Führungspositionen in unserer Kirche sind bekannt und fordern uns alle auf, einen Beitrag zum Wandel zu leisten. Denn nur so werden wir unserem biblischen Auftrag gerecht und bleiben in einer sich verändernden Welt relevant.
Bevor ich nun das Wort an Rajah Scheepers zur Vorstellung des Buches „Die Ersten“ übergebe, erkläre ich hiermit die 9. Tagung der V. Landessynode für eröffnet. Die Verhandlungen dieser Tagung beginnen morgen um 9 Uhr in der Bartholomäuskirche.
(Es gilt das gesprochene Wort)