Experte: Kirchen sollen Gemeinschaftshäuser werden

03.03.2025

epd-Gespräch: Lukas Philippi

Die evangelische Kirche in der Hauptstadtregion sucht für wenig genutzte Kirchengebäude neue Ideen. Der Leiter des Bauamtes der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Frank Röger, berichtet dem Evangelischen Pressedienst (epd), wie er die oftmals unter Denkmalschutz stehenden Kirchengebäude retten will.

epd: Herr Röger, wie viele evangelische Kirchen gibt es auf dem Gebiet der EKBO?

Röger: Wir haben rund 1.900 Kirchen. Davon stehen in Brandenburg 1.550 Kirchen, in Berlin 200 und in Sachsen 65. Dazu kommen Kapellen, gewidmete Kirchsäle und Predigtstätten. Die meisten Kirchengebäude stehen unter Denkmalschutz.

epd: Das ist ein großer Schatz - und ein großer Klotz am Bein, oder?

Röger: Wir gehen davon aus, dass zehn Prozent der Dorfkirchen wenig oder kaum noch genutzt werden, also maximal zweimal im Jahr, an Ostern und zu Weihnachten. Wenn Sie von 1.400 Dorfkirchen ausgehen, dann reden wir von etwa 150 Dorfkirchen, die das betrifft. Das heißt, dort kommen Sie auch nicht mehr so einfach rein, weil es keine aktive Kirchengemeinde mehr vor Ort gibt. Das wird sich in den nächsten Jahren deutlich erhöhen. Wir gehen von 300 bis 500 Kirchen aus, die wir einfach zu viel haben. Jedes Dorf hat eine Kirche, aber kaum noch Christen.

epd: Wie reagiert die Landeskirche darauf - durch Abriss oder Verkauf?

Röger: Wir werden den Weg, Mitnutzer für nicht oder selten genutzte Kirchenbauten zu finden, verstärkt gehen müssen. In den vergangenen zehn Jahren sind weniger als 20 Kirchen verkauft oder abgerissen worden. Unsere Strategie lautet: vermieten oder verpachten.

epd: Welche Erfahrungen haben Sie mit Mitnutzungen?

Röger: In Berlin gibt es schon sehr viele Kirchen, die gemeinschaftlich genutzt werden, teilweise mit eigenen Betreibergesellschaften. Ich denke etwa an das Stadtkloster Segen, die Glaubenskirche oder die Lutherkirche. Das funktioniert sehr gut, weil es in der Großstadt einen Bedarf an Räumen gibt. Das Potenzial von Kirchengebäuden ist für unterschiedliche Akteure interessant. Beispielsweise wird jetzt gerade die Paul-Gerhard-Kirche an der Wisbyerstraße in eine Jugend- und Sportkirche umgebaut, in Kooperation mit einem Inklusionssportverein. Die Elias-Kirche an der Danziger Straße beherbergt das MACHmit! Museum. Das ist dann eine Win-win-Situation, wenn kirchenferne Akteure wieder in die Kirchen reinkommen.

In Brandenburg stellt sich die Lage unterschiedlich dar: Im Speckgürtel gibt es noch Möglichkeiten der Mitnutzungen. Aber je weiter sie von Berlin weg sind, desto schwieriger wird es. Beispiel Prignitz: Da haben wir 207 Dorfkirchen und knapp 20.000 Mitglieder, also rund 100 Mitglieder pro Kirche. Davon sind vielleicht zehn bis 20 Prozent aktiv. Die spannende Frage ist dann: Gibt es in den Orten noch lokale Akteure, die die Kirche mitnutzen wollen. Das ist sehr stark abhängig, wie ein Ort aufgestellt ist, denn auch die Dörfer in der Prignitz erleben einen starken Wandel, die dörflichen Gemeinschaften verändern sich. Es gibt Beispiele lokaler Fördervereine, die eine Kirche „bespielen“, manchmal nutzt die Musikschule vor Ort die Kirche oder die Kommune.

epd: Dass Kirchengemeinden mit ihren Immobilien teilweise überlastet sind, ist ja ein allgemeines Problem.

Röger: Die evangelische Kirche ist in einem deutlichen Wandel. Das betrifft die schwindende Mitgliederzahl, die Bindung der Mitglieder und ihre gesellschaftliche Bedeutung.

epd: Welche Rolle kommt da der Politik zu?

Röger: Der Erhalt von Kirchen ist auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir appellieren an die Politik: „Denkt bitte bei euren Infrastrukturplanungen mit, dass die Kirchen auch genutzt werden können. Ihr braucht keine neuen Dorfgemeinschaftshäuser zu bauen. Wir sind bereit, die Kirchen dafür zu öffnen.“

epd: Im Koalitionsvertrag der brandenburgischen Landesregierung von SPD und BSW, steht wörtlich: „Dorfkirchen sind wichtiger baukultureller und gesellschaftlicher Mittelpunkt. Den Erhalt ihrer Bausubstanz werden wir weiterhin unterstützen.“

Röger: Wir bereiten aktuell für den neu konstituierten Landtag ein Faktenblatt vor. Damit wollen wir mit den politischen Parteien in den Dialog treten und zugleich an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung appellieren: Auch Kulturministerin Manja Schüle weiß, dass ein wesentlicher Kulturschatz Brandenburgs nicht in den Potsdamer Museen liegt, sondern auf den Dörfern in den Kirchengebäuden mit den wertvollen Ausstattungen. Uns geht es darum, weitere Fördermittel einzuwerben, um die Dorfkirchen für die Gesamtgesellschaft zu erhalten. Die Kirchen in den Dörfern sind für die gesamte dörfliche Gemeinschaft wichtige, emotionale Punkte, nicht nur für die wenigen Christen vor Ort.

epd: Haben Sie Beispiele, wo Sie die politische Gemeinde mit ins Boot bzw. die Kirche geholt haben?

Röger: Die Dorfkirche Brügge in der Prignitz zum Beispiel: Ein historisch gewachsenes Ringdorf, das also radial aufgebaut ist; in der Mitte steht die Dorfkirche aus dem 19. Jahrhundert. Die Kirchengemeinde hatte sie schon in den 1970er Jahren aufgegeben. 2009 bis 2014 ist sie restauriert worden. Die Kirche wird wieder zu unterschiedlichen Anlässen genutzt. Direkt daneben befindet sich das alte Schulhaus mit Übernachtungsmöglichkeit für Hochzeiten oder Musikfreizeiten. In der Kirche in Barsikow, das zur Gemeinde Wusterhausen/Dosse gehört, ist eine kleine Pilgerherberge im Turm eingerichtet worden. Aktuell wird die Dorfkirche in Golm klimaneutral saniert. Dort entsteht ein Gemeinschaftsraum für die Dorfgemeinde und den nahen Campus der Universität. Es handelt sich um eines der ältesten Gebäude Potsdams.

epd: Trotz aller Kooperationen müssen die Kirchengemeinden vor Ort aber Ansprechpersonen haben. Gelingt das immer?

Röger: Das ist manchmal schon ein Problem. Wir brauchen „Kümmerer“ für Kirchengebäude, wo es keine aktive oder lebendige Kirchengemeinde mehr gibt. Wir haben deshalb in zwei Kirchenkreisen, Mittelmark-Brandenburg und Zossen-Fläming, ein Förderprogramm aufgelegt mit dem Namen „Kirche intakt“. Dort werden ehrenamtliche Kirchenhüter ausgebildet, die wenig genutzte Kirchen regelmäßig bereisen und den Bauzustand bewerten. Wir sind auch mit der Architekten- und Ingenieurkammer in Brandenburg im Gespräch, ob diese nicht Patenschaften für Kirchengebäude übernehmen wollen.

epd: Und wenn Sie trotz aller Bemühungen niemanden finden?

Röger: Am problematischsten ist es, wenn vor Ort weder eine lebendige Kirchengemeinde, noch sonstiges gesellschaftliches Leben existiert und die Kirche in einem schlechten baulichen Zustand ist. Für diese Kirchengebäude müssen wir eine Art „Rettungsschirm“ aufbauen. Das wird künftig immer häufiger vorkommen. Manche Kirchen, die nicht mehr genutzt werden, legen wir still. Das kann man für 20 bis 25 Jahre machen.

Beispiel Ringenwalde im Kirchenkreis Oderland-Spree: diese Dorfkirche aus dem 13. Jahrhundert wird gerade stillgelegt. Sie wird seit 20 Jahren nicht mehr genutzt. Es gibt nur noch ganz wenige Christen im Ort. Ziel ist jetzt die Sicherung der denkmalgeschützten Bausubstanz und der Ausstattung. Auf das Dach des Kirchenschiffs kommt ein Blechdach, damit keine Feuchtigkeit mehr in den Dachstuhl eindringt. So ein Blechdach ist auch ein Zeichen an die Gesellschaft. Die Kirche ist gesichert, aber ob sich der Brandenburger oder der Tourist diesen Zustand wünschen? Wir hoffen, dass sich durch solche Zeichen auch Fördervereine gründen, die daran etwas ändern möchten.

epd: Da sind wir dann wieder bei der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung.

Röger: Ja, besonders in Fällen der stillgelegten Kirchen ist die öffentliche Hand gefragt, ihren Teil beizusteuern; zum Beispiel durch Gründung einer Stiftung. Das ist dann ein dickes Brett, das es zu bohren gilt. Da brauchen wir neue Lösungsmöglichkeiten. Den Verfall oder den Abriss eines Kirchengebäudes will ja keiner. Allerdings bekommen wir von der Politik häufig signalisiert: „Die Kirchen gehören euch, da müsst ihr euch drum kümmern.“ Wir verweisen dann darauf, dass wir immer weniger werden und es allein nicht mehr schaffen.

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