Gleichstellung von Frauen und Männern weiter voranbringen

21.11.2024

Predigt zur Eröffnung Landessynode am 20. November 2024 von Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein

Gott schenke Euch erleuchtete Augen des Herzens, damit Ihr erkennt zu welcher Hoffnung Ihr berufen seid!

Liebe Geschwister,

ich ziehe die Adventszeit heute einfach mal vor mit einem Text voller energiegeladenem Warten und Sehnen. Hören wir das wunderbare Magnificat, den Lobgesang der Maria aus dem Lukasevangelium: 

Meine Seele erhebt den Herren und mein Geist freut sich Gottes meines Heilandes, denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Namen heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unseren Vätern, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit. 

Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes! Oder in einer anderen Übersetzung: Meine Seele lobt die Lebendige, und mein Geist jubelt über Gott, die mich gerettet hat.

In welcher Sprache auch immer Sie/Ihr Euch wiederfindet, Euch zuhause und berührt fühlt, eines ist klar: Diese und die folgenden Worte sprudeln über vor Dankbarkeit, Freude, ja Lebens- und Umsturzlust! Maria spürt: In dem, was mir passiert, wirkt Gott.

Diese junge Frau freut sich über die Maße darüber, was Gott ihr zutraut: Seinen größten Schatz, sein Kind in diese Welt zu bringen. Was für eine Nähe, dieses göttliche Zutrauen, so viel größer als unser Menschliches. 

Wir freuen uns über die 50-jährige Gleichstellungen von Frauen im Pfarramt. Gleichzeitig ersehnen wir Frauen uns eine Gleichstellung, die tiefer geht und weiter greift als das, was wir bisher erreicht haben. Und ich gehe davon aus, auch die Männer hier tun das. 

Klar freuen wir uns darüber, dass vor 50 Jahren endlich die Frauen den Männern im Pfarramt gleichgestellt wurden. Einerseits, andererseits schwingt in dieser Freude auch eine große Fassungslosigkeit darüber mit, was Männer Frauen lange alles nicht zutrauen wollten. Und diese Fassungslosigkeit bleibt uns nicht erspart, wenn wir uns erinnern und feiern wollen. Man könnte geradezu irre werden, wenn man all die Vorbehalte und Kommentare studiert, die Männer ins Feld führten, wenn es darum ging, Frauenwege zu blockieren – und keiner kann sagen, sie, diese Männer hätten es nicht besser wissen können, damals. Doch hätten sie, schließlich waren sie von Frauen in die Welt gebracht, von ihnen aufgezogen und begleitet worden. Sie wurden von Frauen an ihrer Seite gestützt, gefördert, vorangebracht. Alle wussten, was Frauen können, trotzdem: sie wollten es nicht. 

Und heute? Ich hatte mir ausgerechnet am 6. November nachmittags Zeit genommen für erste Gedanken zu dieser Predigt. Aber an diesem Tag wurde mein Herz blind vor Zorn über einen Männlichkeitswahn, der sich unter anderem in den US-Wahlen wieder neu manifestiert hatte. Und gestern in den Nachrichten der Anstieg von Femiziden, von Gewalt gegen Frauen bei uns. 

Da stehen wir jetzt. Gott steht woanders. Gott traut dieser jungen Frau alles zu! Und sie freut sich, weil sie spürt, hier wird alles auf den Kopf stellt, durch göttliche Kraft werden die Verhältnisse umgedreht. Gott übermalt mit neuen Farben das Bild unseres Lebens. 

Für mich ist die rechtliche Gleichstellung von Frauen in unserer Kirche eine Selbstverständlichkeit, auch wenn ich bereits 15 Jahre alt war als sie kam. Dennoch, was für ein Glück und Segen. Inzwischen sind so viele Frauen Pfarrerinnen geworden – großartige Pfarrerinnen!

Und wir wissen, wir stehen auf den Schultern unserer Vorfahrinnen. Die Frauen vor uns haben so viel gekämpft, wir werden später von Raja Scheepers dazu hören, die uns ihr neues Buch vorstellt. Von mutigen, klugen und zähen Frauen. Ich selber habe das große Glück, auch von solchen Frauen geprägt worden zu sein. Meine Großmutter hatte schon Theologie studiert in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und was ist sie geworden? Eine Pfarrfrau, immer an der Seite ihres Mannes, eine Pfarrfrau, die neun Kinder auf die Welt gebracht und großgezogen hat, und zeitlebens am Diskutieren und Kämpfen war. Wenige Tage vor ihrem Tod 2004, 97- jährig, hat sie uns Enkeln noch einen Brief geschrieben, in dem sie uns vor der aufkommenden Rechten warnte und uns aufforderte, uns für die Umwelt zu engagieren. Ihrer Tochter, meiner Mutter kamen die Nachkriegsjahre dazwischen, sie konnte nicht studieren, zu viele Geschwister, zu wenig Geld. 

Vor wenigen Wochen erst haben wir einen Brief meines Großvaters an sie gefunden. Darin stand: Es gab eine Zeit, da ich mich fragte, ob wir Dir nicht hätten unbedingt das Studium ermöglichen müssen.

Ja, so war das und für uns Jüngere, Männer wie Frauen, ist es ist wichtig, auf diese Wege zu schauen, auf die Demütigungen, die viele erlitten haben, und die Kämpfe, die sie durchgestanden haben. Zumal die Zeiten vorbei sind, in denen wir denken konnten, es geht alles voran und es wird schon mit der Gleichstellung in allen Lebensbereichen. 

Auf protestantischer Seite haben wir uns lange mit dieser einen speziellen Vorfahrin im Glauben, mit Maria schwergetan und tun es ja zum Teil bis heute. Die Rolle, die ihr in katholischen Kontexten, jedenfalls in weiten Teilen dort, traditionell zugewiesen war, hat uns von ihr weggetrieben: die demütige Dienerin, Ansprechpartnerin für alle familiären Sorgen, innige mütterliche Figur im göttlichen Bereich. Vor allem durch die feministische Theologie haben viele eine Beziehung zu ihr zurückgewonnen. Und manchmal, wenn ich in katholischen Landstrichen, so wie im vergangenen Sommer in Italien, Marienfiguren am Weg sehe, dann bin ich schon neidisch auf diese Volksfrömmigkeit, die diese zärtliche Frau als eine Ansprechpartnerin feiert, die für all unsere Kümmernisse da ist. Dann spüre ich, wie sehr sie fehlt im protestantisch karg gehaltenen göttlichen Raum, dann will ich mich auch für Momente in ihren blauen Schutzmantel schmiegen und dabei etwas von Gottes Nähe spüren. Weniger Maria, dafür Pfarrerinnen, immerhin.

Aber natürlich nicht so, wie es in den Anfängen von Frauen im Pfarrdienst vorgesehen war, nämlich zuständig fürs Gedöns – wie es ein ehemaliger Kanzler mal bezeichnete: Frauen, Kinder, Jugendliche, Alte, Beeinträchtigte. So nicht! Auch wenn das nach wie vor nicht wenige gerne so verstehen. Pfarrerinnen sind ebenso wie Pfarrer für alle Bereichen kompetent. Das ist so selbstverständlich, dass es fast peinlich ist, es überhaupt auszusprechen. Inzwischen haben ja die meisten begriffen, dass sich die sogenannten männlichen und weiblichen Anteile in uns allen, je nachdem unterschiedlich verteilen. 

Zurück zum Evangelium: Maria, so jung, wird mit ihrer ganzen Existenz herausgefordert, als Gott sie ins Licht stellt und sie direkt anspricht. Was für eine verwirrende Erfahrung. Und Maria sagt Ja zu ihr und geht los übers Gebirge zu ihrer Cousine Elisabeth, der Älteren, mit deren ganz eigenem Schicksal, von Gott bewegt. Bei Lukas werden die Männer erst einmal auf mute, auf stumm gestellt und die Geschichten der beiden Frauen miteinander verschränkt. Die Geschichte der jungen mit der Geschichte der älteren. Beiden wird von Gott viel zugetraut, beide erleben ein Wunder. Erleben, wie sie unter dem Blick der göttlichen Liebe überhaupt erst zu sich selbst kommen und die werden, die sie sind. Maria, das junge, unsichere, überraschend mutige Mädchen, Elisabeth, die ältere, bis dahin vom Leben enttäuschte Frau. Neue Energie, neue Hoffnungen werden wach und Liebe strömt über, das Leben, das eben noch eng und begrenzt erschien öffnet sich neu, zeigt neue Horizonte und Möglichkeiten. Der göttliche Blick erweckt in uns den Blick auf die Potentiale, die Gott selbst in uns hineingelegt hat.

Und das alles wird uns ja nicht erzählt, damit wir es von Ferne als Geschichte aus längst vergangener Zeit bewundern, sondern damit wir hineingezogen werden und den göttlichen Blick spüren, in dem wir zu uns selbst kommen und verwandelt werden. 

Wir brauchen Geschichten oder wie es heute heißt, Narrative über die Möglichkeiten von Wandlung, persönlicher und gemeinschaftlicher. Wir brauchen Geschichten, Zeuginnen und Zeugen. Ein Text von Bonhoeffer dazu hat mich nochmal begeistert, unfassbar, was er in seinem kurzen Leben alles gedacht, geschrieben und weitergegeben hat:

„Dieses Lied der Maria ist das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen wurde. Es ist nicht die sanfte, zärtliche, verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern sehen, sondern es ist die leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte Maria, die hier spricht “

Marias Lied weitet den Blick auch in die Zeit, in ein Vorher und ein Nachher, in das Miteinander und Nacheinander der Generationen. Maria fühlt sich verbunden, weiß sich in Generationenfolge der Kinder Israels gestellt. Und mit Elisabeth an ihrer Seite wird dieses notwendige Miteinander und Füreinander der verschiedenen Generationen anschaulich. Die beiden brauchen sich gegenseitig und sie stehen sich bei in dieser außergewöhnlichen Situation. Elisabeth bringt den Vorläufer, den Vorbereiter auf die Welt und von Maria wird die uns bis heute aufrührende Erfüllung im göttlichen Menschen Jesus geboren. Was für eine Geschichte, sie erzählt uns davon, wie wir alle unseren Platz und unsere Aufgabe haben in diesem Lebenskosmos: als Menschen, in unterschiedlichen Geschlechtern, Jung und Alt, mit vielfältigen Begabungen und Blickrichtungen. Wunderbar, dass immer neu zu entdecken, auch und gerade hier auf unserer Synode. Miteinander, aufeinander zu hören und davon zu träumen, dass die Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden wie im Lobgesang der Maria: er stößt die Gewaltigen von Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. 

Und wenn ich auf meine Jahrgänge schaue, die sogenannten Babyboomer, die so wahnsinnig viele und bestimmend sind, dann gibt es da sicher auch noch einen gewissen Umsturzbedarf. Wie wäre es, das Lied der Maria noch ein paar Takte weiter zu singen. Gelegenheit dazu haben wir auf dieser Synode auf der die Themen junge Menschen im Zentrum stehen. 

Ich probiere da mal was: Die Älteren macht er bescheiden und schafft Platz für die Jungen.

Ein erster Versuch, weitere sind willkommen! Wie wäre es, pro Workshop einen?

Maria erlebt, bei Gott ist vieles möglich und sie verbindet ihre persönliche Erfahrung mit einer großen Vision. Sie sieht vor sich das Bild einer befreiten Gesellschaft, auch die, die sonst im Schatten stehen: Alle kommen ins Licht!

Amen

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