Huber: Die Kirche sollte nicht resignieren und kleinlaut werden

20.04.2025

epd-Gespräch: Franziska Hein

Die evangelische Kirche verliert weiter Mitglieder und muss sich in der Folge vom Althergebrachten verabschieden. „Die Aufgabe der Kirche besteht nicht darin, an überkommenen Strukturen festzuhalten“, sagt der Berliner Altbischof und Ethiker Wolfang Huber im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Interview äußert er sich zur Frage, wie eine glaubwürdige evangelische Friedensethik heute aussehen kann - zwischen dem Vorrang des Friedens und der Realität des Ukrainekriegs.

epd: Sie haben als Berliner Bischof und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in leitenden Ämtern gewirkt, als die Kirche noch eine Volkskirche war. Heute schwinden diese Strukturen. Schmerzt Sie das?

Huber: Die Aufgabe der Kirche besteht nicht darin, an überkommenen Strukturen festzuhalten. Sie hat die Verantwortung, das Evangelium zu den Menschen zu bringen. Dabei darf sie sich nicht nur auf eine kleiner werdende Mitgliedergruppe konzentrieren, sondern soll eine Kirche für das Volk bleiben. Auch unter heutigen Bedingungen sollte die Kirche nicht resignieren und kleinlaut werden.

epd: In der rheinischen Landeskirche wird überlegt, Pfarrerinnen und Pfarrer künftig nicht mehr zu verbeamten, sondern nur noch anzustellen. Halten Sie solche Modelle für tragfähig?

Huber: Solche Überlegungen entstehen aus dem Wunsch, angesichts sinkender finanzieller Mittel handlungsfähig zu bleiben. Allerdings sehe ich darin kein theologisches Konzept für eine Weiterentwicklung der Kirche - es geht vielmehr um organisatorische und finanzielle Fragen, nicht um echte Reform.

Die Organisationsform der Kirche ist aber nicht sakrosankt. Dass Pfarrerinnen und Pfarrer bislang verbeamtet waren, liegt in der Geschichte des Staatskirchentums begründet - nicht in theologischen Überlegungen. Dieses System hat sich seit der Reformation über Jahrhunderte gehalten, auch nachdem das Staatskirchentum überwunden war. Deshalb sollten wir darüber heute pragmatischer diskutieren.

epd: Wie stark sind die Beharrungskräfte der Kirche?

Huber: Die Kontinuität kirchlicher Strukturen ist nach wie vor deutlicher spürbar als ihre Veränderung. Veränderungen sind aber kein Selbstzweck. Sie müssen sich an zwei Fragen ausrichten: Wie lassen sich kirchliche Strukturen weiterhin leistungsfähig gestalten? Und wie wird unsere Kirche zu einer Kirche, die sich für Menschen interessiert, die keinen Kontakt mehr zur Kirche haben - oder noch nie zu ihr in engere Verbindung kamen.

epd: Wie kann es gelingen, mit Menschen wieder ins Gespräch zu kommen, die die Kirche nicht mehr als ihre Heimat ansehen?

Huber: Solche Menschen sollten wenigstens die Chance haben, mit der Kirche in Kontakt zu kommen. Aber es gibt auch weiterhin viele, die in der Kirche ihre Heimat sehen, und andere, die nur in bestimmten Lebensphasen mit ihr in Berührung kommen. Es ist eine wichtige Aufgabe, an solche Berührungen anzuknüpfen und sie weiterzuführen.

Gerade bei wichtigen Lebensstationen wie der Konfirmation spielt die evangelische Kirche nach wie vor eine wichtige Rolle. Es kommt darauf an, dass junge Menschen in dieser Zeit gute Erfahrungen machen und dazu ermutigt werden, sie in ihr weiteres Leben einzubeziehen. In der Konfirmandenarbeit vollzieht sich viel Positives - das sollten wir nicht kleinreden, sondern weitererzählen. Wir sollten nicht jammern, dass das Glas halb leer ist. Aus meiner Sicht ist es immer noch halb voll.

epd: Sie waren in den 1980er Jahren Kirchentagspräsident - in einer Zeit, in der die Friedensbewegung große Dynamik entwickelte. Heute ist das Thema Frieden angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine wieder hochaktuell. Wie sprachfähig ist die evangelische Friedensethik derzeit?

Huber: Ich denke besonders gern an die Kirchentage der frühen 1980er Jahre und natürlich ganz besonders an den Kirchentag in Düsseldorf 1985, dessen Präsident ich sein durfte. Verglichen mit jenen Jahren hat die Friedensethik es heute schwer. Sie kann nicht einfach wiederholen, was damals richtig war und sich in Slogans wie „Frieden schaffen ohne Waffen“ oder „Schwerter zu Pflugscharen“ ausdrückte. Wir müssen uns ethisch auf die aktuelle Lage einstellen, auch wenn wir nicht genau wissen, wie es weitergeht.

Für die Kirche ist das eine ernste Herausforderung: Sie muss weiterhin den Vorrang des Friedens betonen, darf dabei aber die Realität, wie sie sich besonders herausfordernd im Ukrainekrieg zeigt, nicht ausblenden. Auch die Kirche muss bereit sein, sich mit den konkreten Auswirkungen kriegerischer Gewalt auseinanderzusetzen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es bei dem Thema fällt, realistisch zu sein und trotzdem die Hoffnung nicht aufzugeben.

epd: Leben wir Ihrer Ansicht nach in einer neuen Epoche der Unsicherheit?

Huber: Vielleicht hätten wir nie denken dürfen, alles sei in Ordnung. Denn nun müssen wir zugeben, dass unser Friedensdenken auch von Illusionen geprägt war. Jetzt sehen wir uns gezwungen, uns der Realität zu stellen - und sind verunsichert, wie sich diese Erkenntnisse zu unseren bisherigen Überzeugungen verhalten. Für mich bleibt der Vorrang des Friedens zentral. Aber dieser Vorrang bedeutet auch, sich mit kriegerischer Gewalt ernsthaft auseinanderzusetzen, und das bedeutet, intensiv über die Möglichkeiten zur Beendigung derartiger Gewalt nachzudenken. Das ist schmerzlich, aber notwendig.

epd: Sie haben die Zeit des Kalten Kriegs miterlebt. Heute reden wir wieder über eine konkrete Kriegsgefahr in Europa. Ist das für Sie eine neue Dimension?

Huber: In meiner Zeit in der Friedensforschung habe ich mich mit ähnlichen Unsicherheiten beschäftigt. Solche intensiven Bedrohungslagen gab es auch damals. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen die heutige Situation unter der Perspektive der Friedensverantwortung betrachten. Es geht nicht nur um militärische Sicherheit, sondern auch um politische und gesellschaftliche Friedensarbeit. Das ist eben nicht nur die Aufgabe von Politikern - es ist auch unsere Verantwortung.

epd: Die katholische Kirche hat ein Papier zum Umgang mit völkischem Nationalismus und rechten Parteien veröffentlicht. Sind die evangelischen Landeskirchen da konsequent genug? Sollte es klare Regeln geben, etwa zum Ehrenamt in der Kirche und Mitgliedschaft in einer rechten Partei?

Huber: Ausschlussentscheidungen mögen in Einzelfällen unvermeidlich sein, aber ich glaube nicht, dass sie grundsätzlich etwas verbessern. Menschen wegen ihrer politischen Auffassungen aus kirchlichen Ämtern auszuschließen, hilft selten weiter. Im Gegenteil: Oft entstehen dadurch zusätzliche Verletzungen. Ich halte die Bemühung um das offene Gespräch für wichtiger als Ausgrenzung. Solche Situationen sollten seelsorgerlich geklärt werden - auch wenn dabei klare und deutliche Worte nötig sind.

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