15.05.2023
Christina Maria Bammel, Pröpstin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, über die Stärkung von Familien.
„Alle Soldaten woll`n nach Haus…“ hat Reinhard Mey vor 30 Jahren gesungen - von Igor, der zurück ins ferne Eriwan will, von Frank Kowalsky, der sich nach Texas zu Frau und Kind sehnt und von Jochen M., der sich mit der jungen Brigadeführerin aus der LPG 9. November an den schönsten Platz der Welt träumt, in eine Datsche am Stadtrand von Bitterfeld. Die Träume haben sich wahrscheinlich seitdem verändert. Die Sehnsucht nach Geborgenheit, Liebe, Zusammenhalt, Familie vielleicht, ist geblieben. Ist es Zufall, dass der Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung und der Internationale Tag der Familien auf ein und dasselbe Datum fallen? Am 15. Mai ist es wieder soweit. Schauen wir auf den Aktionstag international rund um die Stärkung der Familien – ob zu zweit, zu dritt und zehnt, ob Regenbogen oder patchwork. Die Vereinten Nationen haben mit der World Peace Federation diesen Tag ins Leben gerufen. 2023 steht der Familientag unter dem internationalen Motto des demographischen Wandels. Demographische Tendenzen werden wir weder aufhalten noch gänzlich umkehren. Aber aus der faszinierend vielseitigen Familienarbeit auch in unseren evangelischen Gemeinden, Schulen, Kitas, in den evangelischen Familienzentren, in der Diakonie, in der Kiezarbeit – Danke allen Engagierten für diesen unglaublichen Einsatz trotz oft so harten politischen Gegenwinds!! – wissen wir, dass Familie ein starkes Team sein kann und gerade in Krisenzeiten Rückhalt gibt. Klingt gut, liest sich aber in der Realität auch schnell anders. Die postpandemischen Verunsicherungen und Rückzüge von Jugendlichen und Kindern haben zugenommen, während die Erwachsenen in der Familie den Druck spüren, tatsächlich wieder voll und ganz funktionieren zu müssen. Und die älteren und ältesten Erwachsenen verstehen die Welt nicht mehr angesichts ihrer zeitlich völlig überbuchten Kinder und Enkel, die es manchmal kaum noch schaffen, mit der Oma im whatsapp-Chat mitzuhalten. Schwer wiegt, dass mit den Corona-Regelungen nicht einfach die Spannungen und Verluste der Coronazeit weggefallen sind. Familien spüren vermehrt und nicht nur vereinzelt die long-covid-Auswirkungen. Höchste Zeit also, sich gegenseitig zuzuhören, den zahlreichen auch neu entstandenen Ängsten Namen zu geben und ihnen damit auch ihre Macht zu nehmen; das ist jetzt dran. Geborgenheit ist die kostbare Ressource der Familie. Mindestens ebenso kostbar wie die Ressource Zeit. Von ihr scheint fast immer zu wenig da zu sein! Und wenn sie da ist, schläft der Papa vielleicht sekundenschnell und tiefenerschöpft nach dem Sandmann vor dem Kinderbettchen auf dem Teppich ein. Unternehmen wissen längst, dass Familienfreundlichkeit nicht beim sechsten Wickeltisch oder beim eingerichteten Spielzimmer aufhört. Ideen und Mut sind gefragt, gesellschaftsweit mit etwas mehr Willen zum Experiment. Die vier-Tage-Woche zum Beispiel wäre da zum Ausprobieren dran. Ein Luxusthema zur Unzeit? Nein, ein Beziehungs- und Bindungsthema. Also, wenn dafür keine Zeit ist, wofür dann?