"Friede ist möglich."

18.11.2024

Präses Harald Geywitz predigte zur Friedensdekade 2024 am 16. November 2024 in Lindow

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Friede sei mit Euch. Von welchem Frieden erzähle ich mit diesem Gruß? Welches Bild vom Frieden steigt in uns auf?

Ein starkes Friedensbild finden wir in dem biblischen Text, der heute Predigttext ist:

Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des HERRN, wie Wasser das Meer bedeckt.

((Jesaja, 11, 6-9))

Das ist einer der etlichen Friedenstexte, den uns die Bibel schenkt. Der mit seinen Bildern besser ausdrücken kann, was wir als Menschenkinder an Sehnsucht in unseren Herzen tragen. Nicht der ‚Kampf jeder gegen Jeden‘. Nicht die Feindschaft, aus der wir nicht herauskommen. Nicht die Welt voller Bosheit und Schaden, die uns den Atem raubt und den Frieden nimmt. Die Sehnsucht nach einer Welt, in der alle Gegensätze überwunden sind und uns nichts mehr von unserem Gott trennt. Es trennt uns nichts mehr von ihm, denn das ganze Land hat ihn erkannt, so wie Wasser das Meer bedeckt. Die Sehnsuchtsbilder aus der reichen Vielfalt der Natur, die Bilder von den friedlichen Tieren und Menschen, sie verdichten sich zum großen Ganzen. Zu einem Friedensreich, das uns dauerhaft mit Gott eins sein lässt.

So wird bei Jesaja vom Frieden erzählt. Doch das ist ja beileibe nicht die einzige Erzählung vom Frieden, die im Christentum geläufig ist.

Vielerorts wurde in dieser Woche mit großer Fröhlichkeit Martinstag gefeiert. Und mit diesen Festen, mit ihren Aufführungen, Liedern und Gedichten zeichnen sie ein starkes Bild der Hoffnung, der Barmherzigkeit und des Friedens. An der Oberfläche geht es ums Teilen, darum, etwas abzugeben an die, die es nicht so gut haben. Schaut man etwas genauer hin, findet man in der Überlieferung noch mehr, das erzählenswert ist. Was ist das Sagenhafte, das Beeindruckende? Was macht den Erfolg dieser auch schon viele Jahrhunderte alten Erzählung aus? Was ist gewissermaßen das St.-Martin-hafte am römischen Soldaten Martinus?

Martinus tut zum einen etwas, wofür er keinen Beifall bekommt, im Gegenteil. Er ist ein Elite-Soldat des römischen Kaisers, der in einer Gruppe unterwegs ist. Vielleicht zu Pferd, vielleicht auch doch zu Fuß und sie gehen gemeinsam achtlos an dem Bettler vorbei. Martinus, wahrscheinlich nach dem römischen Kriegsgott Mars benannt, wendet sich ihm zu. Er schenkt ihm seine Aufmerksamkeit und macht sich damit zum Gespött seiner Kameraden. Er bekommt eben keinen Beifall, sondern Spott, vielleicht begegnen ihm seine Kameraden sogar mit Verachtung oder Wut.

Zum anderen gibt er etwas, was ihm nicht leichtfällt. Ein guter, bestimmt sein einziger warmer Mantel, den er aufteilt. Er beschädigt einen Teil seiner Ausrüstung als Soldat und soll dafür sogar ins Gefängnis gekommen sein.

Aus diesem Ereignis mit einem Soldaten und einem Bettler in den Hauptrollen, daraus erwächst eine der bekanntesten Geschichten der Christenheit. Sie wird auch bei uns landauf landab gefeiert. Ein Hoffnungsbild, das uns träumen lässt: so sollte unsere Gesellschaft sein. Mit mutigen Menschen, die für Schwächere eintreten, auch wenn es dafür keinen Applaus, sondern sogar Schwierigkeiten gibt. Menschen, die nicht Gesetze vor die Mitmenschlichkeit schieben. Sicher durfte ein römischer Soldat nicht seinen Armeemantel kaputt machen und tat es doch. Und wenn wir uns heute daran immer noch erinnern, sehnen wir uns nach dieser Form des innergesellschaftlichen Friedens .

Kein christliches, aber ein ziemlich globales Hoffnungsbild löste zu Beginn seines rasanten Aufstiegs das Internet aus. Die Hoffnung keimte auf, es könnte endlich echte Beteiligung entstehen. Die bisher reinen Empfänger oder Hörer könnten selbst zum Sender werden, so erträumte es sich Bertolt Brecht in seinen Schriften zum „Hörfunk“ schon in den 1930er-Jahren: "Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d.h., er würde es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müßte demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren.“ Man könnte sagen, vom Empfänger (via „Volksempfänger“) zum Sender. Das schien vielen in der Welt in den 1990er bis Anfang 2000er-Jahren als greifbar, als Verwirklichung eines langgehegten Traumes.

Die Hoffnung war, dass Kommunikation auf Augenhöhe tatsächlich möglich wird. Die Aushandlung der besten Lösung von Gleich zu Gleich im digitalen Raum. Ein Raum mit viel geringeren Eintrittsbarrieren, an dem alle Menschen leichter beteiligt sein können. Ein Ort der Völkerverständigung könnte entstehen, so dachten viele. Ein Austausch mit Menschen in fernen Ländern, die vorher unerreichbar schienen, der Abbau der Sprachbarrieren, durch automatische Übersetzungen. Nicht zuletzt schürte die Selbstorganisation von freiheitsliebenden Menschen in Nordafrika, um ihre Diktaturen abzuschütteln, diese Hoffnung. All das waren Hoffnungen für ein besseres Zusammenleben in dieser Welt.

Doch aus den Lämmern und Wölfen, die friedlich beieinander liegen sollten, wurden Menschen den anderen Menschen zum Wolf. Die Aggressivität steigt, übelste Beschimpfungen sind an der Tagesordnung, die Schamgrenze fällt und heute wird mit Klarnamen und echtem Bild beleidigt, was das Zeug hält. Autoritäre Regierungen nutzen Plattformen, um auf Wahlen in anderen Ländern Einfluss zu nehmen. Zusammen streiten auf zivilisierte Weise? Eher Fehlanzeige.

Schon an dieser Stelle verfalle ich in ein Bild mit vielen Schwarztönen und vielleicht manchem ganz dunkelgrauen Fleck. Irgendwie Schwarz in Schwarz in Schwarz. Dabei habe ich das große Thema des schrecklichen Krieges gegen die Ukraine noch nicht einmal angesprochen. Irgendwie alles schwarz in schwarz in schwarz. Wie kommt man da wieder heraus?

Am besten halten wir uns noch einmal an den biblischen Text:

Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des HERRN, wie Wasser das Meer bedeckt.

Also wie nun – wird einfach doch alles gut? Blicken wir mal über den Tellerrand - der Jesaja-Text geht natürlich noch weiter und auch vorher stand schon etwas. Das geht in etwa so: es wird einer kommen, der ist anders als Eure bisherigen Könige, die Euch immer wieder schlecht regiert haben. Der wird Euch gut regieren. Der wird so nah an Gott sein, dass er Euch diesen Frieden tatsächlich bringen kann.

Wir Christenmenschen glauben, das ist ein Hinweis auf Jesus Christus. Er war anders als alle anderen. Er hat sich nicht Gedanken darüber gemacht, wem sein Handeln gefällt. Er hat mit allen gesprochen und allen zugehört, Er hat seinen Gefährten das Schwert abgewöhnen wollen. Er hat sich selbst geopfert, um all das Falsche und uns von Gott trennende zu überwinden.

Ist das denn zu glauben? Widersprechen nicht alle Fakten dieser Absicht Jesu Christi? Trotzdem sich immer wieder Menschen auf den Weg gemacht haben, in echter Nachfolge Jesu Christi zu folgen, stehen wir in einer Welt mit Krieg, mit Gewalt, mit Not und Feindschaft. Der Wolf überfallt das Lamm , Ochs und Löwe fressen nicht gemeinsam Stroh, sondern der Löwe den Ochsen.

Wir warten immer noch auf die Friedenswelt. Wir warten, manchmal ängstlich, manchmal genervt, manchmal traurig oder niedergeschlagen auf eine andere Welt. Und dabei erzählen wir uns doch immer wieder von unserer Sehnsucht nach Frieden. Der ewige Frieden ist für uns immer noch so weit weg, wie er den Zeitgenossen Jesajas erschienen sein muss. Kein Friedensregime in Sicht.

Doch gibt es wirklich nichts, woran wir unsere Friedensbilder fest in der Realität verankern können? Ich bin mir sicher, es gibt eben nicht nur Visionen, sondern auch Realitäten. Schauen wir unseren Nachbarn Polen an, mit dem wir heute in so mannigfaltiger friedlicher Art und Weise verbunden sind. Drei Mal von den europäischen Großmächten im 18. Jahrhundert geteilt, zerstückelt, verschwand Polen für über 120 Jahre von der Landkarte. Wer hätte nach den Gräueln der Nazi-Zeit eine solche Annäherung für möglich gehalten? Mindestens genau so unwahrscheinlich wie beim Nachbarn im Westen. Zwei Jahrhunderte hindurch haben sich Deutschland und Frankreich aufs Schlimmste bekämpft. Heute gelten sie, auch wenn er manchmal stottert, nach wie vor als Motor Europas. Selbst im Nahen Osten fanden sich auch immer wieder einzelne Hoffnungszeichen. So schlossen Israel und Jordanien 1994 einen Friedensvertrag, nachdem Jordanien vorher seit Gründung Israels immer auf der gegnerischen Seite gestanden hatte.

Friede ist möglich. Dazu braucht es Menschen auf beiden Seiten, die dem Krieg ein Ende machen wollen. Die eine Vision davon haben, wie gut es unseren Seelen tut, nicht mehr zu hassen.

Dabei kann einer unser Leitstern sein . Jesus Christus, der uns befreit hat. Befreit zum Mitleiden und Mitdenken. Und zum Handeln. Der seinen Gefolgsleuten die Nutzung ihres Schwerts ausreden wollte – denn wer das Schwert zieht, wird durch das Schwert umkommen. Der aber ebenso für tätige Nächstenliebe plädierte und dass man einen unter die Räuber gefallenen Nächsten schon helfen muss und ihn nicht ungeschützt liegen lässt, bis der nächste Räuber vorbeikommt.

Fragt man mich nach meinem Lieblingsbibelvers fallen mir eher zu viele ein. Deshalb sage ich manchmal frohgemut: „Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen, tröstet uns und macht uns frei.“ Ja, nicht wirklich aus der Bibel, aber doch im Bachschen Weihnachtsoratorium ein mir ganz wichtiger Satz. Wir sind erlöst, getröstet und können frei mit geradem Rücken eintreten für das, was wir als Christenmenschen glauben und in dieser nicht erlösten Welt einen Schritt in die Richtung gehen, den uns unsere Friedenserzählungen weist.

Amen

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