25.12.2024
Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. Liebe Gemeinde an diesem Festtag, unterwegs, Mandelhörnchen, Ja, Barberini, 96, Osten, Mamasch – keine Sorge, diese Reihe ergibt keinen zusammenhängenden Satz und Sie müssen auch nicht in einem Spiel zur Geburtstagsfeier des Tages daraus in einer Minute eine Geschichte basteln, in der alle diese Wörter vorkommen. Es ist nichts weiter als – probeweise – der Anfang einer kleinen Liste mit meinen Lieblingsworten. Unterwegs, Mandelhörnchen, Ja – mit zwei Buchstaben, nicht mit vier, kann man nicht hören, deswegen sage ich es extra, ein Ja halt, weiter: Barberini, das muss ich hier in Potsdam nicht erklären, 96, eigentlich kein Wort, sondern eine Zahl, aber Fußballfreunde wie ich wissen dann sofort Bescheid und sowas wie diesen Klub sucht man sich nicht freiwillig aus, schließlich Osten und Mamasch, Mamasch, sage ich später noch was dazu. Probeweise eine kleine Liste mit Lieblingsworten. Nun, was sind Lieblingsworte: entweder solche, die ich aus welchen Gründen auch immer gerne sage und klingen höre – Trommelwirbel etwa, könnte auch dazu gehören, klingt doch herrlich lautmalerisch, Trommelwirbel. Oder es sind Worte, klar, mit denen ich etwas dahinter verbinde, also dann geht es nicht um den Klang, sondern – wie meist bei Worten – um das, wofür sie stehen, Zeichen sind. Mandelhörnchen. Muss ich nicht weiter ausführen, oder? Haben Sie auch Lieblingsworte? Ich habe gedacht, heute, sozusagen zur Feier des Tages und natürlich mit Blick auf das Evangelium erstelle ich mal eine kleine Lieblingswortliste. Gar nicht so einfach, logisch. Da könnten jetzt zu Recht Worte aufbegehren und sagen: Du hast mich aber vergessen, wie konntest Du nur. Zum Unterwegs gehört doch auch das Zuhause, unbedingt. Und, noch schlichter: Ein Ja kann schwer leben ohne das Nein. Das wissen wir. Wer nicht Nein sagen kann, sagt im Grunde auch nie Ja. Und schon, liebe Gemeinde, Sie hatten es geahnt, wir sind ja nicht in der Deutschstunde, so gerne ich über die Sprache nachdenke, schon sind wir also in den biblischen Worten des heutigen Tages: Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Die Weihnachtsgeschichte nach Johannes nenne ich diesen fulminanten Start des Evangeliums, den ich so sehr liebe – ach ja: Liebe, gehört womöglich auch unbedingt auf die Liste der Lieblingsworte, wie konnte ich das übersehen. Nun: Ich war beim Ja, beim zentralen aller zentralen Wörtchen: ja. Man sagt gerne – und in der Bibel heißt es auch mal: In Jesus ist das Ja Gottes zu uns Menschen, dieses Ja spricht er durch ihn. Wörtlich heißt es in einem der Paulusbriefe sogar so: In Jesus Christus ist das Ja zu allen Verheißungen Gottes, darum sprechen wir durch ihn das Amen. Jesus Christus das Ja. Oh ja, das feiern wir heute. Aber – und auch das wissen wir intuitiv sofort: Auch dieses Ja nicht lebendig ohne ein Nein. Ein Nein, das sozusagen automatisch zum Ja dazu gehört, auch zu diesem Göttlichen: Nein zu Hass, Nein zu Terror, nein zu Lüge, nein etwa zu einem Verramschen und Verkaufen von Glauben und Vertrauen. Das sage ich, weil diese Geschichte, auch bei Johannes im Evangelium, so wichtig und markant ist: Jesus wirft die Händler aus dem Tempel. Macht aus dem Bethaus kein Kaufhaus, sagt er. Und sagt das mit allem Respekt vor Kaufhäusern. Ich gehöre nicht zu denen, die auf der billigen Masche der Konsumkritik daher kommen. Es gehört zu unserem Leben, zu tauschen, zu handeln. Dinge dazu zu erwerben, etwas Neues zu haben, was meinem Leben noch fehlte, das ist etwas sehr schönes. Der gestrige Abend wäre nicht vollständig ohne diese Form von Lebensfülle. Jesus sagt nur: macht aus dem Glauben keinen falschen Handel, das geht schief. Ein heftiges Nein um des Ja der Gnade Gottes willen. Um unseres Lebens willen. Kein Ja ohne ein Nein. So ist das mit allen Worten, auch mit allen Lieblingsworten im übrigen, immer braucht es ein Gegenüber. Zum Wort des Jahres gehört auch das Unwort des Jahres. Das ist ja eine schöne Beobachtung, die da seit bald 50 Jahren von der Gesellschaft für deutsche Sprache gewählt und präsentiert wird, seit etwas über drei Jahrzehnten neben dem Wort des Jahres eben auch das Unwort. In diesem Jahr Wort des Jahres? Sie ahnen es, wissen es? Ampel-Aus. Weiß ich jetzt nicht, ob ich das auf meine Lieblingswortliste setzen würde. Wenn man diese Wort-des-Jahres-Liste durchgeht, findet man ja durchaus sprechendes: Wellenbrecher – 2021, naja, man hört Corona durch. Oder, viel schöner: Lichtgrenze, 2014. Die Installation zu 25 Jahre Mauerfall. Ach ja, 1989: Wort des Jahres – Reisefreiheit. Jawoll. Und 1991: Besserwessi. Da fasse ich mir doch gleich an die eigene Nase. Manchmal denkt man eben schon beim Wort des Jahres, es könnte auch das Unwort sein. Es gibt schon furchtbare Unwörter. Unwort des Jahres 2023: Remigration. Wahrlich ein Unwort.
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Welches? Mein erster Zugang heute zur Feier des Tages zu diesem Satz, den ich so sehr liebe, weil er uns an den Anfang der Anfänge zurück führt, mein erster Zugang sagt: Du kannst Dir Lieblingswortlisten erstellen wie Du willst, es wird immer auch den Kontext brauchen. Ein Wort an sich bleibt schnell leer. Wer sagt: Gott ist das Ja, muss über das Nein reden. Wer sagt: Gott ist die Liebe, wird über den furchtbaren Missbrauch dieses Wortes durch die Jahrtausende sprechen müssen, die Leere, die das schönste Wort haben kann. Im Anfang war das Wort. Wer heute Weihnachtsmarkt sagt, denkt gewiss Todesfahrt gleich mit. Aber ja, wir können dieses Weihnachten nicht einfach feiern ohne Worte und tausend gute Gedanken an die, die jetzt in Magdeburg in Schmerz und Trauer darum ringen, dass das Leben stärker bleibt und Wut und Hass nicht siegen. Wahnsinn ist für mich das Wort, das es am treffendsten beschreibt, eine Wahnsinnstat, aus Wahn anscheinend gekrochen und allen Sinn von Menschen zerstörend – den Sinn und das Leben selbst.
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Aber die Seinen nahmen es nicht auf. Dieser Start ins Evangelium weiß schon: Das göttliche Wort und die Realität der Welt kommen nicht zusammen, das eine findet keine Wohnung im anderen. Deshalb: Im Anfang war das Wort – oder doch lieber die Stille?! Womöglich, liebe Gemeinde, seid Ihr heute morgen auch gekommen, weil jetzt schon wieder so viele Worte zu Hause waren, so viel Trubel, so viel erzählen, so viel Austausch, echt, du warst bei deiner Reise nach Japan auch noch in Korea, erzähl – und dann sind die nächsten zwei Stunden Worte gebucht. Oder: wirklich, sie haben in diesem Jahr den Turm von der Garnisonkirche eröffnet, echt – und du kannst von da oben …- man ahnt: Die nächste Runde schöne Debatte am Weihnachtstisch und viele, viele Worte sind auf dem Weg. Es gibt so viel zu erzählen, gut so, auch und erst recht zu den Glaubensdingen, es ist ja doch oft schade, wie wir über alles so gerne und viel reden, nur über den Glauben nicht wirklich. Ich frage die Menschen deshalb gerne inzwischen einfach und ganz direkt, was sie nun eigentlich wirklich glauben, was nach dem Tod kommt. Wenn Du das nicht mit allzu traurigem Unterton fragst, entstehen super Gespräche, ist meine Erfahrung. Aber man muss natürlich fragen. Weihnachten am Esstisch ist keine schlechte Gelegenheit dafür. Wo das Leben neu zur Welt kommt, darf man ruhig nach dem Tod fragen, wann, wenn nicht dann, würde ich sagen. Aber nun: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott – und irgendwann denkst Du trotzdem, gerade deshalb: Stille ist auch schön. Stille und Musik. Die anderen Sprachen Gottes, mancher wird sagen: die eigentlichen Sprachen Gottes und es ist natürlich so, wenn Du in diesen Raum hier kommst und Herrn Wiede an der Orgel hörst – Du denkst oft genug: das ist mir zig mal lieber als oft genug manche Worte. Die Musik, die Stille, der Klang, die Pausen. Was sollen wir sagen: Im Anfang war das Lied in allen Dingen, die Melodie des Seins, die du ihm ablauschen musst, willst. Ist das nicht Weihnachten? Das Ablauschen der Melodie in allen Dingen – das Neugeborene mit seinen öh und aröss. Die Sterbende mit ihren Atemzügen und einem letzten: ist gut, lass uns loslassen, vergeben, aber bleibt. Stille. Und die Melodie des Seins. Gott spricht aus der Stille, nicht wenige sagen das und ganz gewiss ist es eine wunderbare, tiefe Erfahrung, dass in der Stille neue Worte und alte Gebete neu geboren werden. Und wenn Sie, nach Weihnachten, sich mal einen Tag vornehmen nix zu sagen, gucken Sie mal, was dann danach das erste Wort ist und wie das klingt. Mandelhörnchen? Barberini? Vermutlich wird es was anderes sein.
Im Anfang war die Stille? Schon die Wortfolge, ich weiß, Sie wissen es, schon die Wortfolge klingt jetzt doch ein wenig nach Faust, also Goethe, der hat sich ja bekanntlich auch an diesem Einstieg bei Johannes im Evangelium versucht, hat durchprobiert, ich erinnere nur den Anfang der Sequenz kurz: Geschrieben steht im Anfang war das Wort, hier stock ich schon, wer hilft mir weiter fort, ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muss es anders übersetzen. Wenn ich im Geiste recht erleuchtet bin, geschrieben steht im Anfang war der Sinn. – Und so weiter. Es kommt dann noch Kraft als Urmoment und Übertragungsangebot. Und schließlich Tat. Auf einmal seh ich Rat/ und schreib getrost: Im Anfang war die Tat.
Womit etwas formuliert ist, was wir ja auch in der Tiefe empfinden, mit diesem Fest, aber oft genug überhaupt mit unserem evangelischen Glaubensverständnis. Worte, immer Worte – und oft genug gefühlt: nur Worte. Alles nur Worte? Mach mal was, lass es mal wirklich werden, dein Gerede von Mitmenschlichkeit oder von Liebe oder von Annehmen oder – tun wir ja auch gerne und viel: danken. Danken: Ein gutes Wort. Aber so richtig sinnig erst, wenn es praktisch wird, wenn es in die Tat kommt, wenn Du spürst: der dankt dir wirklich, er lebt anders. Danke, Gott, dass ich dieses Corona und dann noch jenen Sturz von der dritten Treppenstufe, als ich die zweite übersehen habe, dass ich den gut überstanden habe. Danke. Dann tu was, leb anders, dass man das Glück spürt. Lasst uns nicht lieben mit Worten, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit, hat der andere Johannes, der mit den Johannesbriefen im Neuen Testament an einer Stelle geschrieben. Nur Worte ist es eben nicht. Im Anfang war das Wort? Goethe will die Tat und jeder und jede von uns weiß: ein Glaube ohne Tun bleibt leer. Und selbst, wenn wir immer wieder sagen: die Taten, also die guten Werke sind es nicht, die uns vor Gott gut machen, Du kannst Dir vor Gott nichts verdienen und wer das glaubt, liegt schon mitten im Fehlschluss. Richtig. Und dennoch dann erst recht: ein Glaube ohne Tun bleibt leer, ohne Beten, ohne Danken, ohne für Entrechtete Eintreten. Bei Joachim Gauck, der jetzt 85 wird, der große Freiheitsprediger, da hört man immer wieder: Die Freiheit der Erwachsenen heißt Verantwortung. Ich würde es so übertragen: Der Glaube der Erwachsenen heißt Liebe. Zu Gott und zum Nächsten. Also tun, geht wohl nicht ohne.
Ob Gott das selbst auch gedacht hat? Entschuldigen Sie diesen naiv formulierten Gedanken, aber man denkt sich doch manchmal, was Gott sich so denkt. Und was hat er sich bei der Erschaffung der Welt gedacht? Vor ihr? Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, so fängt die Bibel ganz vorne an und dann kommt dieser Gott, der durch Worte schafft. Der spricht, es werde Licht. Und es ward Licht. Durch Worte tut er das. Und was hat er sich dann vor diesem Neueinsatz gedacht? Am Anfang war das Wort. Und das Wort ward Fleisch. Und es wohnte mitten unter uns. Und tut es bis heute. Jesus. Gottes Wort Fleisch, Gottes Liebe in Fleisch und Blut. Das tut Gott, sein Handeln. Das Wort Fleisch werden lassen in diesem Jesus, der das eben ist, lebt, tut, uns vormacht, wir ihn nachmachen. Worte Fleisch werden lassen. Ach, Johannes sagt doch alles in diesem Prolog, wie man den Anfang nennt, ich sage lieber: Weihnachtsgeschichte nach Johannes, steht alles schon da und ist ein großer Bogen jetzt, der ganze Kosmos einmal über das Wort, ich weiß, ein kosmisches Erleben dieser Einstieg, aber Weihnachten ist ja – das glauben wir – die Rettung der Welt, des Kosmos, kleinere Worte machen wir dann auch nicht heute. --- Es braucht, liebe Geschwister, und dann ist auch wieder still und Musik, es braucht noch drei kleine Anmerkungen: Erstens. Wort und Tat würde ich nie gegeneinander ausspielen. Sagen Sie später mal zu jemanden ich mag dich. Das sind nur Worte? Nee. Das ist ein Tun. Worte sind Tun, so gesehen immer, deshalb Lieblingswortlisten und Unworte und Worte des Jahres und wenn Du sagst, du brauchst hier nicht mehr her zu kommen und der andere geht, dann ist das ein Gesagtes, lateinisch ein Fatum, ein Schicksal auf Deutsch. Und dann ist das eine Tat, die das Leben furchtbar verändert. So oder so. Also sag lieber das Weihnachtswort schlechthin: Da bist du ja. Da bist du ja und das ist gut. Da bist du ja, Gott. Worte sind Taten, immer schon. Und sie sind die vermeintliche schwächste und darin die allerstärkste Form. Deshalb kommt Gott im Wort und unter den Worten zur Welt. Weil er im Schwächsten und Kleinsten ist und das groß macht, in der Schwäche groß, das Größte. Das Wort. – Welches? Letzte, dritte Anmerkung: Mamasch. Ist hebräisch. Und heißt zu deutsch: echt, wirklich. Sagt man im Hebräischen, wenn man betont, dass man etwas echt so meint. Mamasch. Liebe das Wort, weil es so schön klingt, man hört das einmischen, das drunter mischen, das Vermischen von Tun und Sagen und dass etwas echt wird, wirklich. Gottes Liebe mischt sich ein in diese Welt. Die sie aufnimmt und nicht aufnimmt. Und immer mehr davon annimmt, hoffe ich. Denke ich, glaube ich. Brauchen wir doch. Echt. Fangen wir an. Frohe Weihnachten. Amen.
PS: Eine ganze Weihnachtspredigt ohne das Wort Frieden? War das nicht das erste Wort? Jedenfalls soll es das letzte sein, im Kosmos, in der Weltgeschichte, heute früh: Frieden. Schalom. Welt ging verloren. Christ ist geboren. Halleluja. Amen.