24.12.2024
I Liebe Gemeinde in der Weihnacht,
nach Hause kommen. Dahin, wo die Erinnerungen wohnen. Das erste Geschenk. Ein Teddy, das Fell ganz dünn und zerschmust am Ende, das eine Auge fehlt, weil Du ihn so oft malträtiert hast den Teddy, abends, wenn Du alleine warst und irgendwie Angst hattest. – Oder: Nach Hause kommen. Da, wo die Rituale Dich einhüllen, auch wenn es noch nicht lange so ist /allein/ mit dem neuen Partner, gut tut es schon. Das Engelsorchester auf dem Seitenschrank, naja, drei Engel sind es bisher, ein Trio, mehr gibt der Geldbeutel zuletzt nicht her, Violinen-Engel, Trompetenengel und Klavierengel, der ist besonders, sitzt an einem schwarzen Flügel, den kannst Du lange angucken, Dir vorstellen, was er spielt, last Christmas I gave you my heart. Oder driving home for christmas. – Oder: Nach Hause kommen. Da, wo Dein Platz ist. Eine Runde um den Bahnhof gehen. Und wenn die Runde rum ist einmal durch die Halle mit den vielen Treppen. Am Stand der Bahnhofsmission vorbei. Zwei, drei kurze Gespräche. Eine Zigarette schnorren. Dann sagt jemand frohe Weihnachten. Und Du streichelst den Hund, der natürlich dabei ist. Es gibt ein Lebkuchenherz am Stand. Das gibt es immer. – Nach Hause kommen. Du kannst die vielen verschiedenen Bilder dieses Abends wenden, wie Du willst. Fast immer steckt das da mit drin: Nach Hause. Das heißt: Einen Platz in der Welt haben. Ja, ich würde sagen: Für diesen Moment spüren, dass es einen Platz in der Welt gibt, der Ort, wo Du bist, ja, wo Du hörst, erlauschst, gesagt bekommst: Da bist du. Ja.
Die halbe Geschichte dieser Nacht geht um die Heimkehr, geht darum, dass Maria und Joseph an jenen Ort gehen, wo die vor ihnen herkommen. Da machte sich auf auch Joseph aus Galiläa in das jüdische Land zur Stadt Davids, darum, dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war.
Liebe Gemeinde, wir tun es in dieser Nacht und zu diesem Fest Maria und Joseph gleich. Wir kehren zu uns selbst, suchen, wo unser Leben zu Hause ist. Wo es herkommt. Oder: Wo sein Ort ist. Wo das Leben zu Dir sagt: Da bist du ja. Einer der schönsten Sätze doch auf dieser Welt, wenn mit einem Lächeln oder großem Ernst gesprochen. Ein Weihnachtssatz. Da bist du ja. Endlich. Komm rein. Wie war die Fahrt, die Reise. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Ein Jahr. Oder länger. Eine halbe Ewigkeit. Da bist du ja. Ein Heiligabendsatz. Gut, dass Du bist. Geboren. Gut, dass Du geboren bist. In dieser Nacht, in der Gott zur Welt kommt, kommen auch wir neu in diese Welt. Und sagen: Da ist er ja, dieser Gott. Zu Hause in seiner Welt, bei seinen Menschen, in seinem Frieden. Endlich angekommen. Siehst Du das Kind dort schlafen, glucksen, Grimassen schneiden, gucken, unter einer Mütze hervor. In einem Windelpaket. Gibt es mehr zu Hause als das? Am Ort der Mütter und Väter. In Bethlehem. Gott, da bist Du ja. Wo du bist, ist Heimat, ach, du bist ein Heimatkind. Wir spüren es in dieser Nacht. Die Welt ist ein Ort.
II Jaja, liebe Gemeinde, zu romantisierend? In der Gefahr, statt wahr bloß süßlich zu sein? Es ist jetzt gerade vier Tage her, dass wir wieder ganz nah erfahren, begreifen mussten, wie unbehaust sie ist. Wie er sich Orte sucht der Wahnsinn, das Töten. Wir wussten es schon, wir spüren es alle Tage in den Kriegen dieser Jahre, im Hören von den Geiseln in den Tunneln. Und ja, es ist ein Schmerz, immer neu. Wenn der Teddy bloß das Überbleibsel ist. Ein verwaistes Kuscheltier. Das Engelsorchester, das im Stand auf neue zu Hause wartete, zerborsten in zig Holzsplitter.
Wo ist da ein Ort, wenn Leben keinen Platz mehr hat? Wenn es eine Suche ohne Ende ist? Die Geschichte dieser Nacht erzählt es ohne Umschweife. Es war nicht Marias und Josephs Wunsch, schwanger auf dem Weg zu sein. Und wer schon weiß, wie es weitergeht, weiß auch, dass aus dieser Reise eine Flucht wird. Kein Raum, heißt es da, kein Ort, nirgends, gerade in dem Moment, als die Geschichte bei dem angekommen ist, dessen Geburt wir feiern. Sie hatten keinen Raum in der Herberge. Es bleibt der Stall, der Matsch, der Gestank, die Enge. Jesus ist geboren wie ein Flüchtlingskind. Das sollten wir im Sinn behalten, bevor wir von diesen Kindern nichts mehr wissen wollen. Alle Kinder dieser Welt verbinden sich in diesem Kind, sind Kinder Gottes. Wir sind verbunden mit ihnen an diesem Abend. Mit denen in der Ukraine. Und mit denen, die in Tegel angekommen sind, der alte Flughafen, jetzt einer für Geflüchtete. Zuhause am Weg. Auf dem Weg ist Gott dabei, er wird ja dort geboren, wo eigentlich kein Ort ist. – Ich höre das als großen Trost. Gerade in dieser Nacht ist es eine Wahrheit, eine Verheißung auch. Wir sind alle auf dem Weg. Auf dem Weg ist Gottes Ort. Dein Raum. Gottes zu Hause ist auch der Aufbruch, die Weite. Und nur in dieser Wahrheit kann es einen Ort für ihn geben. Davon erzählen die vielen, die sich später lieber in den Bars treffen, weil ihr zu Hause nur unbedingt draußen und bei Freunden sein kann, muss, nicht bei der Familie. Alles andere wäre bürgerlicher Kitsch, von der Weihnachtserzählung jedenfalls nicht gedeckt.
Liebe Gemeinde, an diesem Abend, an dem viele – und jedenfalls Sie hier in der Kirche – einen Weg zurücklegen, ist beides irgendwie spürbar. Die Heimkehr. In die Worte der Geschichte dieser Nacht. In die Lieder. In das Miteinander auf Zeit. Die Engelsworte. Frieden. Ein guter Ort. Und dazu das andere, das auf dem Weg sein. Das Offene in allem. Das Kind ist klein. Gott wird noch groß. Wir haben noch viel vor uns. Viel zu tun, viel zu geben. Beides gehört zu unserem Sein. – Und? Ist das schon alles?
III Was sollen ich Ihnen sagen: Maria und Joseph waren vermutlich nie zuvor in Bethlehem. Wir wissen das natürlich nicht so genau, aber es spricht einiges dafür, dass es eine Art Heimritt ins Unbekannte war damals, der Weg nach Bethlehem. Wir sollten ihn so verstehen. Heim-, ja Umkehr an einen Ort, der wird. Womöglich ist das das Geheimnis dieser Nacht. Wenn wir gleich wieder gehen und es ist zwar unser Ort, aber es ist, als wären wir noch nie da gewesen. Alles dort zwar vertraut. Und doch neu. Ist dir je so leicht über die Lippen gekommen, dass Dir leid tut, was Du vor ein paar Wochen gesagt hast? Irgendwie scheint da, wo es so aussieht, wie gestern, so viel anders zu sein. Hat diese Paula je so nachhaltig erklärt, dass sie nächstes Jahr die Dinge anders machen will, beruflich und beziehungstechnisch? Hast Du je die Musik so als Geburtstagsständchen gehört wie nachher? Ja, fast scheint es, als hätte die Katze nie so geschnurrt und der Hund nie so freundlich seine Ohren hängen lassen. Also, wenn das das zu Hause ist – so war es doch nie, oder? Und das sind die Kleinigkeiten, liebe Gemeinde, würden wir sagen, wobei das auch Unfug ist, weil: was sollen Kleinigkeiten sein. Die Welt an der Krippe war noch nie so, der Abend scheint der erste zu sein, obwohl ich alle Gesichter und Dich und Dich und Dich schon unendlich oft gesehen habe. Das ist Weihnachten, oder? Das ist Geburt.
Die Welt ist anders – empfinden Menschen jetzt angesichts der vielen Herausforderungen: Kein Zuhausegefühl mehr. Schmerzlich anders ist die Welt in dieser Nacht dort, wo Menschen nie mehr nach Hause kommen. Das denken wir mit an diesem Abend, da wird das Kind in der Krippe zum festen Versprechen, dass es diesen Ort gibt für die, die nicht mehr bei uns sind. Es ist unsere Entscheidung, ob dieser Ort, die Stadt und unsere Gesellschaft menschlich bleiben, ob es zuallererst Zeit und Raum für Trauer und Verzweiflung, später auch für Heilung gibt, oder nur gleich wieder Instrumentalisierung von Leid und herzlose Besserwisserei. Die Krippe ist ein zutiefst menschlicher Ort, an dem beides, Leid und Verletzlichkeit unter der Geburt – und Rettung, Licht, Hoffnung angesichts des Lebens zusammenfinden. In der Verletzlichkeit hat Gott seinen Ort, sein Herz, im Riss ist er Zuhause, hat er seinen Ort. --- Na klar, liebe Gemeinde, Sie können sagen: viel zu groß, zu schön darin, um wahr zu sein all das. Und ich würde sagen: ja, hat womöglich noch keinen Ort, ist versprochen für Dein Leben, mit diesem Fest, durch diese Geschichte, dass es so wird. Und ja, wenn das Zuhause doch eigentlich immer eher auf dem Weg ist, auf der Suche, dann kommen Sie erst noch dahin, wo Sie das Gefühl haben, dass Sie da schon immer hingehörten. Das ist Ankunft. Und wenn der Gott, nach dem Sie sich sehnten, ohne näher etwas dazu formulieren zu können, sagt: Da bist Du ja, dann endlich spürst Du: Ich bin angekommen bei mir. Dann ist Jesus geboren, der Retter. Der „da bist du ja“ für diese Welt.
Die einen sagen jetzt womöglich, ich spinne. Und die anderen: kann sein, aber nicht heute, nee, heute nicht. Und kann gut sein, dass sie recht haben. Aber kann auch sein, dass, wenn Du den Teddy, den Du damals als erstes Geschenk bekommen hast, Ihr wisst schon, der so malträtiert ist, wenn Du den anguckst, dass das dann alles für einen Sekunde aufblitzt. Stell ihn ruhig zur Krippe, den Teddy. Oder auch, ja, wenn Du den vierten Engel zum Engelorchester stellst. Womöglich der Moment, in dem Du merkst, wo das ist, wo du sein willst. Merk Dir diesen Engel. Oder bei der Runde um den Bahnhof, Lebkuchenherz, hey, frohe Weihnachten. Hey. Vielleicht wünscht Du das jemandem gleich auf der Straße. Und in dem Moment begreifst Du Deinen Weg. Unterwegs dein zu Hause. Oder beim Hören der Weihnachtsgeschichte. Da, wo Du zu Hause bist in den Worten, wo sonst als in diesen Worten sind wir heute zu Hause. Genau da, wo du merkst, hier wendet sich gerade etwas. Da, wo es heißt: und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in Dein Herz, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Das steht da nicht in der Geschichte? In Dein Herz steht da nicht, sagen Sie? Ich gucke später nach. Es ist mir, als hätte ich sie noch nie so gehört wie heute Abend diese Geschichte. Fast möchte ich wetten: Aber hallo steht das da. Nun ist ja Weihnachten, da wettet man nicht. Da vertraut man. Weil der zur Welt kommt, in dem Du gesehen und geboren warst, bist, sein wirst. Da ist sein Ort. Dein Ort. Aber hallo zu Hause. Frohe Weihnachten. Amen.