Warten auf Tee

04.07.2023

Vor fast anderthalb Jahren überfiel Russland die Ukraine. Doch der Krieg begann für die Menschen im Osten des Landes schon viel früher, im Jahre 2014. Hilfsorganisationen wie Vostok SOS versuchen den Menschen seither zu helfen, so gut es geht.

In Syurte warten sie auf Tee. Der Tee muss in die Hilfspakete, die Sascha (44) mit seinem Team in einer bei Kriegsbeginn verlassenen österreichischen Möbelfabrik zusammenpackt. 32 Kartons passen auf eine Palette, 21 Paletten schaffen sie am Tag. Das sind 672 Hilfspakete, die von der Hilfsorganisation Vostok SOS vom westukrainischen Syurte bei Uschgorod aus auf die Reise zu Hilfsbedürftigen gehen, zumeist in den umkämpften Osten der Ukraine. Finanziell und logistisch unterstützt wird Vostok SOS dabei von der deutschen Diakonie Katastrophenhilfe.

Der Tee kommt wie Mehl, Spülmittel, Konserven, Kaffee, Nudeln, Schokoriegel, Fischbüchsen und Zucker aus den Niederlanden, geliefert von einer auf Hilfspakete für humanitäre Krisen spezialisierten Firma. Momentan ist der Tee aus, der letzte Lastwagen traf vor zwei Wochen ein. Nachschub wird jeden Tag erwartet, sagt Sascha.

Ab September sollen die Lebensmittel und Hygieneartikel nicht mehr aus den Niederlanden geliefert werden, sondern auf den einheimischen ukrainischen Märkten gekauft werden, versichert Oksana Kuiantseva von Vostok SOS. Am Anfang des Krieges sei das wegen der katastrophalen Versorgungslage nicht möglich gewesen.

Fast alle Mitarbeitenden bei Vostok SOS stammen wie Oksana aus dem umkämpften Osten der Ukraine und sind selbst vor dem Krieg geflohen. Fast alle haben ihren bisherigen Beruf aufgegeben, so wie Sascha, der und dessen Kollege früher im Atomkraftwerk gearbeitet haben. Jetzt packt Sascha in Syurte Hilfspakete, während Frau und Kinder in der sicheren Schweiz sind. Seine Kollegin Natalia stammt aus Kramatorsk, andere kommen aus Saporischschja, Cherson, Mariupol oder Dnipro. Orte, deren Namen für erbitterte Kämpfe stehen. Die menschlichen Schicksale dahinter schaffen es selten in die Nachrichten.

Jewgenija (36) war früher Direktorin einer Fahrschule. Sie sitzt im Büro von Vostok SOS in Uschgorod und studiert im Internet eine Karte zum Frontverlauf. Zwei Mal pro Tag wird die Seite aktualisiert. Sie weist Informationen zu besetzten und befreiten Gebieten aus, zu Militärstützpunkten, Truppenstellungen und Flughäfen. Die Informationen kommen teils von staatlichen Stellen, teils von anderen Informanten. Für die Evakuierungsteams von Vostok SOS können sie überlebenswichtig sein.

Tausende Menschen haben Helfer vor Ort seit Februar 2022 evakuiert und in sichere Teile der Ukraine gebracht. Menschen, die evakuiert werden wollen, machen ihren Standort via Google Maps bekannt, Evakuierungsteams machen sich dann mit kleinen Autos auf den Weg zu den Flüchtenden - oft unter Lebensgefahr. Wie der 23-jährige David aus der Region Luhansk, der nach 24 Stunden Autofahrt und 1.400 Kilometern gerade mit seinem Kleinbus wieder in Uschgorod angekommen ist.

An der täglich von acht bis 18 Uhr besetzten Hotline von Vostok SOS in Uschgorod gehen im Schnitt täglich 150 Anrufe ein, bei „stabiler Frontsituation“, wie Jewgenija sagt. An manchen Tagen, wie etwa nach dem Staudamm-Bruch von Kachowka bei Cherson können es auch schon mal 2.000 Anrufe sein. Jeder Anrufer bekommt Hilfe, versichert Jewgenija: „Es gibt keine Leute, denen wir nicht geholfen haben.“ Bekannt gemacht wird die Hotline von Vostok SOS in sozialen Netzwerken wie Telegram oder Facebook, aber auch über Plakate.

Sind die Menschen evakuiert und im sichereren Westen des Landes angekommen, geht die Arbeit erst los: Unterkünfte müssen gefunden, Kitas und Schulplätze organisiert, Arbeitsmöglichkeiten besorgt werden. In der Gebietsverwaltung von Transkarpatien geht man davon aus, dass etwa eine halbe Million Menschen allein in diese westukrainische Region geflohen ist. Uschgorod, Hauptstadt Transkarpatiens, hatte früher rund 115.000 Einwohner. Heute sind es rund doppelt so viele, heißt es von Mitarbeitenden in der Regionalverwaltung.

In den Schulen ist man wegen der Vielzahl von Mädchen und Jungen zu einem Wechselmodell übergangen: Der eine Teil der Klasse lernt online, der andere ist in der Schule. Täglich wird gewechselt. Viele Geflüchtete sind bei Freunden oder Bekannten untergekommen, andere haben schnell Arbeit gefunden und konnten selbst eine Wohnung mieten. Aber es gibt auch viele, die zunächst in Schutzunterkünfte müssen. Für die vielen sozialen Aufgaben hat die Regionalverwaltung die Zahl der Mitarbeitenden im Sozialservice deutlich aufgestockt, etwa Studentinnen und Studenten höherer Semester kurzfristig eingestellt.

Vorbereitet auf diesen Flüchtlingsstrom im eigenen Land war niemand, sagt Oleksandra (36), die sich in einer Art Frauenhaus um Opfer häuslicher Gewalt kümmert. Auch deren Zahl habe zugenommen infolge des Krieges. Die drei Schutzräume auf insgesamt weniger als 100 Quadratmetern sind fast immer belegt, zuletzt etwa eines der Zimmer mit einer Mutter mit sechs Kindern. Von eigentlich zehn Plätzen seien in den vergangenen Wochen teilweise 15 belegt gewesen, sagt Oleksandra achselzuckend.

Derweil wartet Sascha weiter auf Tee. Am Freitag soll ein Lastwagen mit Hilfsgütern von Syurte aus nach Saporischija starten. Dann muss der Tee da sein, sonst muss ein Teil der Hilfspakete unvollständig raus.

Der Beitrag entstand auf Grundlage einer von der Diakonie Katastrophenhilfe organisierten Reise.

 

Von Jens Büttner (epd)

 

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