12.12.2024
Ehrenamt in der Notübernachtung
Daniel Pittner war drei Jahre lang ehrenamtlich in der Notübernachtung der Berliner Stadtmission in der Nähe des Hauptbahnhofes tätig. Diese Einrichtung ist eine der größten Berlins und bietet 125 obdachlosen Menschen im Winter einen warmen und sicheren Platz zum Schlafen an.
Seit September ist der 45-Jährige dort Ehrenamtskoordinator. Ursprünglich kommt der ausgebildete Kaufmann für audiovisuelle Medien aus dem Showbusiness. Dort fühlte er sich aber nie an der richtigen Stelle. In einer Zeit als er sich gefragt hat, wie es beruflich weitergehen soll, suchte er nach einer sinnstiftenden Tätigkeit, die ihn erfüllt. Zuerst engagierte er sich ehrenamtlich und hat sich in diesem Jahr auf die freie Stelle als Ehrenamtskoordinator beworben. Seit September 2024 ist er nun beim evangelischen Verein Berliner Stadtmission angestellt.
Daniel, was genau macht ein Ehrenamtskoordinator?
Daniel Pittner: Wie der Name schon sagt, sorge ich dafür, neue Freiwillige zu werben und zu schauen, ob ihr Ehrenamt auch zu ihnen passt. Wir legen großen Wert darauf, dass sich Ehrenamtliche wohl fühlen, damit sie regelmäßig und gerne wiederkommen.
Warum warst du ausgerechnet in der Notübernachtung Lehrter Straße ehrenamtlich tätig?
Daniel Pittner: 2021 habe ich mich bei der Stiftung „Gute Tat“ informiert. Diese Plattform bietet Ehrenämter in verschiedenen Richtungen an. Die Stadtmission sucht immer Leute, die Lust haben, sich um obdachlose Menschen zu kümmern. Im Winter 2021 habe ich ehrenamtlich in der Notübernachtung angefangen. Damals war ich noch in meinem alten Job tätig und arbeitete im Bereich Kulturfördermittel. Ich wollte in meinem freiwilligen Engagement etwas machen, wo es nicht um Zahlen oder Geld geht, sondern wo ich Menschen unmittelbar helfen kann.
Wie war deine erste Abendschicht in der Notübernachtung?
Daniel Pittner: Ich wusste vorher nicht genau, was mich in Bezug auf die Gäste – wie wir obdachlose Menschen hier nennen – erwartet. Das war schon herausfordernd. Wir haben als Ehrenamtliche in unseren Schichten immer unterschiedliche Dienste und verschiedene Aufgaben. Am ersten Abend war ich damals mit anderen erfahrenen Ehrenamtlichen im Schlafhaus eingeteilt. Da kam ein Mensch mit Wunden, der geblutet und später auch ins Bett gemacht hat. Damit musste ich erst einmal umgehen. Das war ein Wurf ins kalte Wasser.
Warum bist du wiedergekommen?
Daniel Pittner: Ich war ehrlich gesagt auch erstaunt über mich selbst. Aber nach ein paar Wochen habe ich gemerkt, dass ich ganz gut mit den Gästen klarkomme. Schließlich kam dann für mich die Routine und ich habe auch den korrekten Umgang mit den Gästen gelernt. Denn die Menschen sind aus sehr unterschiedlichen Gründen obdachlos geworden: Manche haben eine Suchterkrankung, andere psychische Probleme. Das war mir vorher so nicht klar. Vor allem nicht die Auswirkungen solcher Erkrankungen. Ich habe einfach gemerkt, dass ich in dieser Tätigkeit aufgehe.
Was für unterschiedliche Menschen kommen denn zu euch?
Daniel Pittner: Grundsätzlich nehmen wir alle auf, die obdachlos sind. Auch Menschen die betrunken sind, laut mit sich selber sprechen oder gerade im Drogenrausch sind. Und es kommen jede Nacht viele Menschen unterschiedlicher Nationalitäten zu uns: Viele aus Deutschland und Polen, aber auch aus anderen Ländern. Das heißt, sie sprechen unterschiedliche Sprachen und nicht immer ist es leicht, sich zu verständigen.
Was war deine prägendste Erfahrung in deiner Arbeit?
Daniel Pittner: An einem Abend hat der Kältebus einen obdachlosen Mann zu uns in die Notübernachtung gebracht. Er war extrem verwahrlost und hatte offenbar jede Hoffnung verloren. Ich habe ihn angeschaut und hatte das ohnmächtige Gefühl, dass er dem Tod viel näher ist als dem Leben. Das hat mich tief verunsichert.
Wie bist du dann damit umgegangen?
Daniel Pittner: Spontan ist es wichtig, sich in so einem Moment nicht von der Machtlosigkeit und der Überforderung überwältigen zu lassen und sich stattdessen auf das Wesentliche zu besinnen, um unmittelbare Hilfe leisten zu können.
Wie schaffst du es denn, diese Gedanken nicht mit nach Hause zu nehmen?
Daniel Pittner: Das geht inzwischen sehr gut, so etwas kann man lernen. Wir treffen uns vor jeder Schicht immer um 19.30 Uhr. Dort kommen alle Ehrenamtlichen zusammen, es gibt eine kurze Andacht und alle werden für ihren Dienst eingeteilt. Um 20 Uhr wird die Notübernachtung für die Gäste geöffnet. Die Abendschicht dauert dann bis Mitternacht. Danach setzen wir uns alle noch einmal zusammen und sprechen über den Abend. Das machen wir nach jedem Dienst. Denn es ist ein gutes und wirksames Instrument, um gemeinsam das Erlebte zu verarbeiten und nicht mit nach Hause zu nehmen. Das ist sehr schön, weil man sich dadurch gegenseitig sehr unterstützt, aber auch stützt. Und: Wenn unsere Ehrenamtlichen intensiveren Austausch oder Hilfe benötigen, können sie auch die Seelsorge innerhalb der Berliner Stadtmission und diverse andere Angebote nutzen.
Weitere Informationen zum Ehrenamt in der Stadtmission
Das Interview führte Bianca Krüger.