Was macht eine Kita evangelisch?

Welche Kita soll es sein – die Pusteblume um die Ecke, die Einrichtung mit dem Montessori-Ansatz oder der Waldkindergarten mit dem tollen Außengelände? Die Entscheidung, in welcher Tagesstätte man sich um einen Platz bemüht, fällt schwer – schließlich wird der Sohn oder die Tochter viele Stunden am Tag von den Menschen dort und von deren Weltbildern geprägt werden.

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Interview mit Winnie Grunwald auf Radio Paradiso (19.02.2017)

Worauf lassen sich Eltern ein, wenn sie den Nachwuchs in einer evangelischen Kita anmelden? Ist der einzige Unterschied das Holzkreuz an der Wand? Wird jeden Tag gebetet? Stehen biblische Geschichten auf dem Plan? Wie geht man mit Kindern aus anderen Religionen um? Die Antworten darauf sind so zahlreich wie es evangelische Kitas gibt. Denn klare Handlungsanweisungen stünden konträr zum evangelischen, lutherisch freien Gedanken. Das, was in einer evangelischen Kita konkret auf den Stundenplan gesetzt wird, steht und fällt mit den Christen, die an diesem Ort arbeiten. „Und das reicht nun einmal vom Mitarbeiter, der sich erst mit dieser Anstellung hat taufen lassen, bis zum seit Kindertagen engagierten Gemeindemitglied“, erzählt Winnie Grunwald. Sie ist Koordinatorin des Projekts Kita evangelisch vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und stellt sich, gemeinsam mit den Teilnehmenden eines Kurses zum Thema, genau diesen Fragen: Worin besteht das evangelische Profil einer Kita? Und wie kann man Erzieherinnen und Erzieher in der Religionspädagogik unterstützen?

Etwa 25 evangelische Kitas aus Berlin, Brandenburg und der Oberlausitz haben sich bereits bei Winnie Grunwald für eine Fortbildung im Bereich religiöse Bildung angemeldet – es dürfen noch mehr werden. Bisher hat sie die Einrichtungen immer selbst besucht, meistens ein Mal pro Monat über ein Jahr hinweg. Sie hat mit jeder Mitarbeitergruppe individuell überlegt, an welcher Stelle es Gesprächsbedarf gibt – welche Stärken die jeweilige Kita mitbringt und in welche Richtung sie sich entwickeln möchte. „Ich frage zuerst nach den Schätzen, die diese Einrichtung birgt. Welche Rituale werden gepflegt, welche Lieder gesungen? Gibt es einen Morgenkreis, ein Gebet, eine Geschichte, die erzählt wird?“ All das ist kein Muss – religiöse Bildung kann so unterschiedlich aussehen wie jedes Kita-Profil: In manchen der Tagesstätten sind fast nur Kinder aus der evangelischen Kirchengemeinde angemeldet, andere bestehen aus vielen ungetauften und auch muslimischen Kindern. All das hat natürlich einen Einfluss darauf, wie eine Kita den Alltag gestaltet. Winnie Grundwalds Aufgabe ist es, die Wünsche der Mitarbeiter zu erfragen und sie bei der Umsetzung zu unterstützen. „Ich habe oft erlebt, dass die Mitarbeiter sich in der Fortbildung zum ersten Mal über ihren Gottesbegriff austauschen“, sagt sie, „im Alltag ist dafür kaum Platz.“   

Mittlerweile gibt sie ihr Wissen weiter – in Form von Zertifikatskursen, die sie gemeinsam mit der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB) organisiert. Sieben Teilnehmern erzählt Grunwald an diesem Februartag im Diakonischen Werk in Steglitz von ihren Erfahrungen. Noch weitere vier Kurstage, dann sollen die sechs Frauen und der einzige Mann in der Runde selbst Fortbildungen mit Erziehern veranstalten können.

„Jedes Kind hat ein Gottesbild“

Mit dabei ist auch Ariane Feldhaus, Dozentin für Religionspädagogik an der EHB und wissenschaftliche Leiterin des Kurses. „Jedes Kind hat ein Gottesbild“, erklärt sie, „auch die, die in wenig religiösen Familien aufwachsen.“ Viele ihrer Studenten, sagt sie, seien der Meinung, man dürfe Kindern nichts Eindeutiges über Gott und Religion mitgeben, sie nicht prägen – sie sollen sich ja einmal unvoreingenommen für eine Religion entscheiden können, wenn sie erwachsen sind. Feldhaus sieht das anders: „Kinder müssen erst einmal etwas kennenlernen, für oder gegen das sie sich später entscheiden können. Kinder brauchen religiöse Bildung.“

Wie kann diese Bildung aussehen? Sollte man Kindern im Kita-Alter nur das Glaubensfundament der eigenen christlichen Religion mitgeben – oder von vorneherein andere Religionen einbeziehen? Soll in der evangelischen Kita neben Weihnachten und Ostern auch das Zuckerfest gefeiert werden? Muss auf Schweinefleisch verzichtet werden, wenn muslimische Kinder Teil der Gruppe sind? Schwierige Fragen. Feldhaus bringt hier den Begriff der „Interreligiösen Gastfreundschaft“ ins Spiel, geprägt vom Religionspädagogen Frieder Harz. Er steht dafür, Kindern zwar eine religiöse Verwurzelung zu bieten – gleichzeitig aber den respektvollen Umgang mit anderen Religionen zu üben. Kinder sollen also einerseits erfahren, dass man nicht nach Lust und Laune zwischen den Glaubensformen wechseln kann, je nachdem, welches Fest gerade gefeiert wird. Andererseits soll die eigene Religion aber nicht als die „einzig wahre“ und die „bessere“ Glaubensform erlebt werden.

Muss man den Glauben thematisieren?

Unter den Kursteilnehmern ist inzwischen noch eine andere Frage wichtig geworden: Muss man als evangelische Kita den Glauben überhaupt demonstrativ zeigen, in Form von Gebeten, Liedern, Geschichten? Ist nicht das darunter liegende christliche Menschenbild, der Wertekanon das Entscheidende? Auch hier zeigt sich: Wo zwischen diesen Polen sich eine Kita positioniert, müssen Leitung und Mitarbeiter selbst entscheiden und austarieren. Ein Arbeitsblatt von Ariane Feldhaus zeigt genau das. Die Dozentin hat Auszüge aus den Beschreibungen kopiert, die evangelische Kitas über sich und ihr Konzept im Internet veröffentlichen. Während die eine Kita es „sehr begrüßt“, wenn Eltern sich an der Planung von Gottesdiensten beteiligen, legt eine andere Wert auf den „Spaß“ bei der christlichen Erziehung und eine dritte stellt „das Vorleben christlicher Werte“ in den Mittelpunkt. 

Eine weitere Kita verbietet „Kriegsspiele und entsprechende Spielsachen“ – Zündstoff für die Gruppe: Muss ein christliches Tagesstätten-Profil solch klare Kante zeigen? Oder sind Verbote kontraproduktiv? Eine Teilnehmerin sieht in den hohen moralischen Ansprüchen der Mitarbeiter christlicher Kitas sogar eine Gefahr: „Man meint dann, besonders heilig sein zu müssen. Konflikte dürfen nicht vorkommen, alles muss stets harmonisch sein – das kann auch nach hinten losgehen.“ Eine andere Teilnehmerin, selbst Leiterin einer evangelischen Kita, erzählt, was sie von den Eltern „ihrer“ Kinder regelmäßig hört: „Die meisten können den christlichen Geist nicht an einem Ritual oder etwas Äußerem festmachen – sie merken einfach: Hier ist etwas besonders, hier gehen die Menschen gut miteinander um, hier ist es anders.“

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