Helena, Christopher, ihr habt jetzt eure Ordination und werdet damit offiziell als Pfarrer:innen in den Dienst eingesegnet. Ihr arbeitet aber schon seit einiger Zeit auf euren ersten Pfarrstellen. Wie seid ihr angekommen und wie war der Start?
Helena Lerch: Der Start war sehr aufregend. Für mich war es nicht nur der Start in eine neue Stelle und in die erste Stelle nach dem Examen, sondern auch der Wiedereinstieg nach fast 5 Jahren Elternzeit. Toll war, dass ich direkt mit ganz vielen Gottesdiensten starten konnte – als Teilnehmerin und als Liturgin. Gemeindegottesdienste und Kita-Gottesdienst. Das hat mir ganz viel Freude gemacht und mir Energie gegeben für die erste aufregende Zeit. Außerdem war es natürlich toll nach längerer Zeit, die ich ja vor allem mit der Familie verbracht habe, verstärkt in den letzten Jahren noch durch Corona, so viele neue, nette und spannende Menschen in der Gemeinde und im Kirchenkreis kennenzulernen, wenn auch teilweise erst einmal nur online.
Christopher Schuller: Meine Stelle ist neu – es gibt keine:n Vorgänger:in, es gab zwar gute Konzepte und Pläne für die Stelle, aber es musste alles erstmal in Gang kommen. Das erfolgte schnell, und ich bearbeite jetzt schon die ersten Projekte. Es gibt sehr viel Kontakt mit kirchlichen und politischen Akteuren im Bereich der Stadtentwicklung und des Wohnungsbaus, und ich bin immer noch auf einer steilen Lernkurve, die mir viel Spaß macht.
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Wie war euer Weg in den Pfarrberuf?
Christopher Schuller: Ich habe nach dem Abitur Jura studiert und etliche Jahre in der Wissenschaft und dann der Politikberatung als Jurist gearbeitet. Mein Fachgebiet war Wirtschaft und Menschenrechte – die Auswirkungen von Unternehmen auf die Menschenrechte und die Frage, wie sie bei Verletzungen zur Rechenschaft gezogen werden sollten.
Neben den Beruf fing ich 2015 an, Theologie zu studieren. Damals war es nicht unbedingt mein Wunsch, damit Pfarrer zu werden, und auch die Landeskirche zeigte sich für diese Art von Quereinstieg nicht besonders offen. Aber über die vier Jahre haben sich beide Seiten bewegt. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass ich in diesem Beruf gut wäre und dass mein eigener Glaube mich in diese Richtung bewegt. Und ich hatte Unterstützung von Kolleg:innen, die erkannt haben, dass Quereinsteigende für die EKBO eine Bereicherung wären.
Helena Lerch: Dass ich Pfarrerin werden will, war für mich schon nach einem Betriebspraktikum in der 10. Klasse bei der Pfarrerin meiner Heimatgemeinde klar. Ich bin nicht gerade in die Kirche hineingewachsen, aber habe mit Spaß den Religionsunterricht und auch den Konfirmationskurs besucht und war nach der Konfirmation viele Jahre in einer tollen Jugendgruppe. Beim Praktikum habe ich dann die anderen Arbeitsfelder einer Pfarrerin kennengelernt und war fasziniert von der Vielfalt der Aufgaben und der Menschen. Um diesen Beruf auch ausüben zu können, dafür habe ich dann Theologie studiert und nebenbei versucht, die Praxis nicht aus dem Blick zu verlieren und im GKR, KKR und als Konfiteamerin in meiner Heimatgemeinde mitgearbeitet.
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Christopher, du erzählst davon, dass du zuerst etwas anderes gelernt und gearbeitet hast und dich dann für den Weg in die Theologie entschieden hast. Denkst du, der Pfarrberuf ist trotz des intensiven Studiums eine gute Möglichkeit, nochmal einen neuen Weg einzuschlagen?
Christopher Schuller: Nein. Wer sich einfach umorientieren möchte, hat unendlich viele Möglichkeiten, die Stelle oder den Beruf zu wechseln, wieder zu studieren, usw. Pfarrer:in muss mensch wollen. Und nicht auf der Flucht vor dem jetzigen Beruf, sondern aus dem konkreten und reflektierten Wunsch, genau diesen langen, zeitintensiven und teuren Weg gehen zu wollen. Ich war in meinem alten Beruf und alter Position wirklich glücklich und erfüllt. Ich habe mein Büro am Deutschen Institut für Menschenrechte schon ein bisschen mit Furcht und Zittern (Phil 2,12) geräumt. Aber es war die absolut richtige Entscheidung. Ich war gerne Jurist, aber Pfarrer ist noch besser.
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Helena, auch du hattest auch keinen direkten Durchmarsch bis zu diesem Punkt, sondern hast dir zwischendurch eine kleine Auszeit genommen. Wie ging es dir damit, nach dem Vikariat eine Pause zu haben und jetzt wieder einzusteigen und lässt sich der Beruf mit einer Familie gut vereinbaren?
Helena Lerch: Vor Beginn des Entsendungsdienstes hatte ich große Bedenken, weil meine Erfahrungen aus dem Vikariat schon so lange her waren, aber nachdem ich die erste Beerdigung mit zitternden Knien überstanden hatte -dafür ist der Talar echt super-, hat sich doch schnell ein Erinnern und eine Routine eingestellt. Thematisch war ich eh nie so ganz ausgestiegen, weil ich die Prüfungen des zweiten Examens über die Jahre verteilt aus der Elternzeit heraus abgelegt habe. Daher hatte ich auch so eine kleine Ahnung wie viel Organisation Arbeit und Familie bedeuten. Wie genau wir uns als Familie organisieren und strukturieren ist immer noch im Prozess und wird wahrscheinlich auch nie aufhören, denn die Arbeit ist ja jede Woche anders und auch mit meinen 3 Kindern kann immer mal etwas anders laufen als geplant. Flexibel und spontan muss ich oft sein. Aber ich kann eben auf der anderen Seite auch für die Familie flexibler agieren. Es gibt ja auch viele Aufgaben, die ich mir frei einteilen kann. Wenn mein Kind krank ist, schreibe ich eben an der Predigt, wenn es schläft. Trotzdem versuche ich auf meine Stundenanzahl zu achten und private Termine fest einzuplanen. Da ich mit 50% im Moment auf einer Stelle aushelfe, die sonst mit 100% besetzt ist, habe ich mit der Gemeinde und dem Superintendenten meine Aufgaben vorher abgegrenzt. Das würde ich allen empfehlen. Toll an dem Beruf ist ja aber auch, dass ich meine Familie öfter mal zur Arbeit mitnehmen kann. Das funktioniert dann aber natürlich nur, wenn die Familie auch hinter dem Beruf steht.
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Ihr habt beide die Kirche schon unter besonderen Bedingungen erlebt. Die Coronapandemie hat alles durcheinandergebracht und wir mussten neue Wege finden, Gemeindearbeit zu machen. Die Einschränkungen lassen jetzt allmählich nach, aber was kann man aus dieser Zeit für Impulse und Innovationen für den Gemeindealltag mitnehmen? Auch vor dem Hintergrund von zurückgehenden Mitgliedschaftszahlen und immer häufiger zusammengelegten Gemeinden. Wie können wir die Menschen weiterhin erreichen?
Helena Lerch: Ich habe während der Pandemie Kirche ja bisher vor allem von der anderen Seite erlebt und dabei erfahren, wie wichtig es ist, weiterhin Angebote zu haben, vor allem für die Kinder. Wie dankbar waren wir für den Online-Kinderchor für unsere Tochter, den Zoom-Gottesdienst als wir über Weihnachten in Quarantäne waren und dann auch endlich eine Kinderbibelwoche in Präsenz! Mit Online-Angeboten lassen sich ja nicht nur während der Lockdowns andere und mehr Menschen erreichen. Wir nehmen in der Gemeinde weiterhin Youtube-Andachten als Zusatzangebot zu unserem Sonntagsgottesdienst auf. Daneben finde ich es aber wichtig, dass die Gemeinden ihre Möglichkeiten – Räume, Ehrenamtliche, Zeit – nutzen, um Kontakt zwischen Menschen zu ermöglichen.
Durch die zeitweise Reduzierung aller Angebote in der Gemeinde entsteht im Moment gerade häufig der Eindruck, mit den Angeboten von vorne anzufangen. Neben dem Bedauern darüber will ich versuchen, das auch als Chance zu sehen, dass sich die Gemeinden neu (er)finden können. Dazu braucht es aber Zeit und Mut zu erkunden, welche Angebote benötigt werden. Vielleicht können da gerade wir, die wir am Anfang des Berufslebens stehen und neu in die Gemeinden und Arbeitsfelder kommen, mitwirken.
Und beides kann sich ja befördern: Präsent und offen sein ohne allzu feste Strukturen und althergebrachte Muster. Die Pandemie und ihre Bedingungen waren ja für uns alle neu. Das kann eine Chance sein.
Christopher Schuller: Dass die Gesunden des Arztes nicht bedürfen, ist keine neue Erkenntnis (Lk 5,31). Es geht gar nicht darum, alle Menschen zu erreichen, sondern die richtigen: Die, die uns brauchen oder mit uns anpacken wollen. Ich freue mich über zurückgehende Mitgliedschaftszahlen, darüber, dass es unmöglich ist, weiter so zu machen wie wir bisher Kirche gemacht haben, und auf die kommenden fundamentalen Veränderungen. Denn alle kirchlichen Strukturen und Tätigkeiten sind immer in dem Sinne vorläufig, dass sie nur so lange Bestand haben dürfen, wie sie der Verkündigung und Verwirklichung des Evangeliums dienlich sind. Der Laden ist ja stets zu reformieren – das war ein Grundprinzip der Reformation, die kein einmaliges Ereignis bleiben darf. Corona hat Veränderungsprozesse beschleunigt. Ich habe keinen Zweifel, dass ich die nächsten 30 Jahre bei einer Kirche arbeiten werde, die quantitativ immer kleiner wird – und qualitativ immer bessere Arbeit leisten wird. Denn nur was gut ist, wird überleben. Und diese Kirche der Zukunft wird keine Selbstbestätigungsveranstaltung sein, sondern die richtigen Menschen erreichen.
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Auf der anderen Seite entscheiden sich immer weniger Menschen dafür Pfarrer:innen zu werden. Was muss gemacht werden, damit der Beruf attraktiver wird und sich mehr Leute dafür begeistern lassen?
Christopher Schuller: Pfarrer:innen sein heißt, eine großartige Verbindung von Freiheit und Sicherheit zu genießen. Wir gestalten unsere eigene Arbeit mit freier Hand und werden dafür ausreichend bezahlt. Aber die Kirche tut sich keinen Gefallen, Theolog:innen auszubilden, um sie dann auf Posten zu setzen, wo eigentlich Betriebswirt:innen, Arbeitsrechtler:innen oder Datenschutzexpert:innen gebraucht wären. Nicht-Verkündigungsaufgaben in der Kirche müssen weiter und verstärkt von der Pfarrschaft abgegeben und auf andere Berufsgruppen verteilt werden, die dann auch in und von der Kirche ähnliche Wertschätzung wie die Pfarrerinnen und Pfarrer erhalten. Und das nicht nur in Gemeinden, die sich viel Personal leisten können, sondern auf dem Land wie in der Stadt.
Helena Lerch: Wenn die Pfarrerin ihren Kopf in den Gully stecken muss, um herauszufinden in welche Richtung das Rohr verläuft oder die Predigt nur schnell aus dem Internet kopiert, weil neben Büroarbeit und Verwaltung keine Zeit mehr bleibt, dann erscheint mir ein Studium von in meinem Fall 15 Semestern, gefolgt von Vikariat und unzählige Stunden in der Theologischen Bibliothek zur Vorbereitung auf erstes und zweites Examen nicht attraktiv. Wenn ich aber – wie in meiner aktuellen Stelle – vor allem theologisch, seelsorgerlich und gemeindepädagogisch mit Menschen arbeiten kann, dann hat sich der lange Weg bis in den Beruf für mich gelohnt.
Wenn die Pfarrerin von den Gemeindegliedern gefragt ist, was sie in ihrem Urlaub gemacht hat und von ihren Kindern, warum sie so viel arbeitet, weil sie vom Kasualvorgespräch zur Beerdigung zur Ausschusssitzung hastet und bedauert keine Zeit mehr für Hobbies oder eigene Spiritualität zu haben, dann ist der Beruf nicht attraktiv. Wenn ich, wie in meinem Fall, Zeit und Raum für die Familie habe (ich wohne nicht in der Gemeinde und empfinde das noch als großen Vorteil für die Abgrenzung) und meine Aufgaben zumindest großteils planbar sind und in mein Stundenkontingent Zeit für Unplanbares eingeplant ist, dann finde ich es sehr attraktiv so flexibel und selbstbestimmt zu arbeiten.
Kurz gesagt: Der Beruf ist sehr attraktiv, wenn er dazu gemacht wird. Von mir selbst, von der Gemeinde und von der Kirchenleitung. Ich denke da muss in der nächsten Zeit noch viel nachgedacht und umgesetzt werden bezüglich Themen wie Beruf und Familie, Dienstvereinbarung, Verwaltung und Geschäftsführung, Fort- und Weiterbildung.
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Ihr selbst habt diesen Schritt gemacht, habt das Studium und das Vikariat hinter euch und erlebt den Gemeindealltag schon länger hautnah. Würdet ihr Menschen empfehlen, sich auch zu entscheiden Pfarrer:innen zu werden und wenn ja, warum?
Christopher Schuller: Ich weiß es nicht. Der Beruf ist echt nicht ohne. Allein schon, um durch das Vikariat zu kommen musst du ein ziemlich dickes Fell haben. Und der Druck auf uns, gute theologische Arbeit zu liefern, wird nur noch steigen. Aber der Beruf ist auch unendlich geil. Und je länger ich drin bin, umso mehr wächst meine Gewissheit, dass er der richtige für mich ist.
Helena Lerch: Der Pfarrberuf ist für mich der spannendste, abwechslungsreichste und sinnstiftendste Beruf. Das empfinde ich, wenn ich meine Freude aus dem Taufvorgespräch mit zur Beerdigung nehme und das Gemeinschaftsgefühl von dort auch mit ins Online-Meeting mitnehmen kann, wenn mir die KiTa-Kinder Fragen zu biblischen Geschichten stellen, die mir selbst noch nicht in den Kopf gekommen sind oder wenn ich im Bus an meiner nächsten Predigt arbeite. Ich kann ihn also sehr empfehlen.
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Bald ist für euch der Ordinationstag gekommen, denkt ihr nach diesem Ereignis wird etwas anders sein oder seid ihr eigentlich schon jetzt so richtig angekommen?
Helena Lerch: Richtig angekommen bin ich noch nicht, aber das ist einerseits durch meine Stelle bedingt, ich arbeite als Springerin und werde im Sommer schon wieder die Gemeinde wechseln. Andererseits ist das etwas, was ich mir vorgenommen habe: nie ganz ankommen, sondern neugierig wahrnehmen, nachfragen und ausprobieren. Das sehe ich auch als Aufgabe meiner Generation von Pfarrer:innen und als Herausforderung und Chance der Pandemie.
Ich freue mich auf meine Ordination und erhoffe mir schon einen Energiekick, durch den offiziellen Zuspruch, durch die Gemeinschaft des Gottesdienstes und zwischen uns Ordinand:innen und durch den Segen Gottes. Trotzdem ist es ja nicht so, dass ich bisher mit angezogener Handbremse arbeite.
Christopher Schuller: Es wird eine schöne Bekräftigung des Mandats sein. Es ist für mein theologisches Verständnis des Pfarramtes schon sehr wichtig, dass mein Auftrag von der Versammlung und wegen meiner Ausbildung kommt, nicht von einer Weihe oder weil ich irgendwie besonders heilig wäre. Letzteres ganz sicher nicht! (Lacht.)
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Vielen Dank für eure Zeit und alles Gute für euren weiteren Weg.