10.01.2023
"Gott sieht. Jeden und jede. Welche Religion, welche Herkunft, welches Geschlecht auch immer."
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder in dieser Stadt, Geschwister in Menschlichkeit, drei Dinge möchte ich heute sagen:
Erstens: Wir sehen Sie, die Rettungs- und Einsatzkräfte. Sie geben Ihre Kraft, Ihre Liebe, Ihre Menschlichkeit, um Menschenleben zu retten. Sie sind in der Silvesternacht auf schreckliche Weise angegriffen worden, in Hinterhalte gelockt, mit Aggression überzogen worden, der Gewalt von Händen, Füßen und Waffen ausgesetzt. Das ist unerträglich, dagegen stehen wir in dieser Stadt zusammen, dafür sind wir heute hier und bringen das vor Augen, bringen das auch vor Gott. Sie stehen für Leben und Lebensrettung. Wir sehen Sie und stehen an Ihrer Seite. Wir danken Ihnen für Ihren Dienst. Als Gesellschaft müssen wir dafür sorgen, dass Sie unversehrt bleiben und tun können, was zu tun ist. Wir danken Ihnen dafür. Ich danke ausdrücklich auch den Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die da sind, für Sie da sind. Wir müssen uns um die Seele sorgen.
Zweitens: Die Ereignisse der Silvesternacht erschüttern zutiefst. Die Aggression. Die Gewalt, ja der Gewaltrausch, der Menschen anscheinend erfasst hat. Ich frage: was sucht sich hier Ventile? Was steht hinter dieser Gewalt? Welche Ängste hat diese Gewalt ausgelöst? Als Gesellschaft, glaube ich, müssen wir uns diesen Fragen stellen. Wir müssen sie in Gespräch und Diskurs, in Prävention und Bildungsformate bringen. Antworten auf die Fragen werden wir nur finden, wenn wir sie offen und ehrlich stellen, wenn wir nicht der Versuchung erliegen, mit schnellen Antworten nur alte Urteile oder Vorurteile zu bestätigen. Gewalt ist ein Thema für unsere Gesellschaft. Wir dürfen Sie, die Rettungs- und Einsatzkräfte gerade an dieser Stelle nicht allein lassen, ebenso wenig die Lehrinnen und Lehrer in den Schulen, die Erzieherinnen und Erzieher, die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Es ist unsere Aufgabe, die Herausforderungen nicht weg zu delegieren, sondern ins öffentliche Gespräch zu bringen.
Drittens: Wir sehen, was geschehen ist. Wir sehen die Menschen dabei. Ich möchte ausdrücklich ermutigen, die Menschen in aller Differenziertheit zu sehen. Pauschale Urteile – gewonnen über Stichworte wie Migrationshintergrund, Herkunft, Vornamen oder wie auch immer – pauschale Urteile und Klischees werden uns nicht weiter helfen. Es hilft nur, die Menschen zu sehen. Ich möchte dazu ermutigen, ja dazu aufrufen, gerade jetzt eine Qualität unserer Gesellschaft nicht aufzugeben: den differenzierten Blick auf Menschen. Lassen wir uns nicht den Blick in die Gesichter, in die ganz verschiedenen Gesichter verstellen. Es gilt nichts zu verschweigen. Aber es gilt auch nicht in Klischees zu verfallen. Nur so werden wir Wege finden, die dem Frieden, dem Zusammenhalt, dem Miteinander dienen. Nur so erliegen wir nicht den einfachen Mechanismen schneller Antworten und falschem Alarmismus. Werden wir den Menschen gerecht.
Du bist ein Gott, der mich sieht. So lautet die Losung, das biblische Leitwort, das über diesem Jahr 2023 steht. Du bist ein Gott, der mich sieht. Das ist die gute Nachricht dieses Gottes, zu dem wir beten und vor dessen Angesicht wir treten. Gott sieht. Jeden und jede. Welche Religion, welche Herkunft, welches Geschlecht auch immer. Gott sieht Dich. In deinem Einsatz zu geben, zu lieben und zu retten. Gott sieht das Unverwechselbare von uns Menschen und er will die Wahrheit und das Gespräch, den ehrlichen Frieden und das Suchen nach Wegen in die Zukunft. Gott sieht Dich, mich, uns. Das ist meine Hoffnung, denn er ist ein Gott des Lebens und des Lichts. Möge er uns leiten in den Worten, wie wir miteinander umgehen.
Er möge Sie führen in seinem Licht in all den dunklen Erfahrungen, die Sie nun gemacht haben. Gott schaut nicht weg, Gott schaut hin. In aller Barmherzigkeit und Güte, in aller Gerechtigkeit und allem Mitgehen. Amen.