Bischof Stäblein als EKD-Flüchtlingsbeauftragter: Herzen und Türen weit geöffnet

06.04.2022

Ein Interview mit epd

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat den Berliner Bischof Christian Stäblein Ende März zum Beauftragten für Flüchtlingsfragen berufen. Mit der neu geschaffenen Beauftragung will der Rat die Bedeutung der Flüchtlingsarbeit innerhalb der EKD hervorheben. Der Evangelische Pressedienst (epd) sprach mit dem 54-jährigen Theologen über die Situation der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, Sorgen vor einer Zwei-Klassen-Gesellschaft unter Migranten und die Notwendigkeit einer neuen protestantischen Friedensethik.

epd: Für die Öffentlichkeit kam Ihre Berufung überraschend. Für Sie selbst auch?

Christian Stäblein: Ja und Nein. Natürlich gab es im Vorfeld Kontakte. Ich stehe in dieser Frage schon immer im engen Austausch mit der EKD. Der konkrete Zeitpunkt kam dann durch die Ereignisse in der Ukraine aber doch unerwartet zügig. Wenn man sich unsere Arbeit in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz mit und für Geflüchtete anschaut, ist diese Entscheidung für unsere Landeskirche stimmig. Wir tun seit vielen Jahren sehr viel in diesem Bereich, denken Sie etwa an unsere Flüchtlingskirche St. Simeon.

epd: Was werden Sie als EKD-Beauftragter für Flüchtlingsfragen konkret tun, wen werden Sie treffen, welche Prozesse moderieren, wohin reisen?

Stäblein: Es ist gut und wichtig, dass die Evangelische Kirche in Deutschland bei allen Fragen rund um Geflüchtete Stimme und Gesicht hat. Im Moment müssen und wollen wir da sein für die Menschen, die aus der Ukraine zu uns kommen. Ein Dach über dem Kopf ist dabei zunächst das Wichtigste. Darüber hinaus beschäftigen uns natürlich auch jene Krisen weiter, die seit vielen Jahren evident sind - der Krieg in Syrien, der jetzt schon eine Dekade andauert, die Flüchtlingslager auf Lesbos. Dorthin will ich bald als EKD-Flüchtlingsbeauftragter fahren und mit den Menschen sprechen. Aber im Moment ist daran nicht zu denken. Jetzt fordern uns die Aufgaben rund um die Menschen, die aus der Ukraine zu uns kommen. Eine der ersten Fahrten kann deshalb nur an die ukrainische Grenze gehen.

epd: Schon wird die Sorge über Flüchtlinge erster und zweiter Klasse geäußert - zu Recht? Geraten andere Flüchtlingskrisen gerade aus dem Blick?

Stäblein: Es gibt keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse. Dafür trete ich als Beauftragter für Flüchtlingsfragen entschieden ein. Wir müssen für alle Menschen aus den unterschiedlichen Regionen gleichermaßen da sein. Und wir sind in den vergangenen Jahren mit großem Engagement für die Hilfe und Rettung von Geflüchteten auf dem Mittelmeer dagewesen. Für den Moment sind die Folgen des Ukraine-Krieges ganz vorne auf der Prioritätenliste. Allein der Schock über die Bilder der vergangenen Tage aus Kiewer Vororten sitzt tief. Derartige Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen in einem solchen Ausmaß machen sprachlos. Wir müssen umso mehr dazu aufrufen, dem Morden Einhalt zu gebieten, und für die von dort kommenden Menschen da sein. Und am Ende, das ist auch ganz klar, müssen die Verantwortlichen für diese Kriegsverbrechen vor Gericht.

epd: Zeigen wir bei den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine ein freundlicheres Gesicht als in der Vergangenheit, weil es in unserer Nachbarschaft geschieht?

Stäblein: Der Krieg geht uns direkt an, weil er in unserer Nachbarschaft passiert. Es liegt in der Natur des Menschen, dass die Anteilnahme bei Ereignissen in unmittelbarer Nähe größer ist. So ist auch das ungeheure Ausmaß der Hilfe in Polen und Ungarn zu erklären. Doch auch von Berlin aus sind es nur 900 Kilometer bis zur ukrainischen Grenze. Ich finde es stärkend, dass Nächstenliebe im Wortsinn jetzt sichtbar wird. Wir sind unmittelbar betroffen von dem, was die Menschen in allernächster Nähe an Leid erfahren. Man muss ehrlich sagen, dass die Erfahrungen von 2015 und der nachfolgenden Jahre in der Gesellschaft nicht nur dazu geführt haben, die Hilfe für Geflüchtete immer großzuschreiben. Insoweit bin ich sehr froh, dass wir in einem Land leben, das das Herz nicht verschlossen hat. Türen und Herzen sind jetzt ganz weit offen.

epd: Was ist jetzt mit Blick auf Ukraine-Flüchtlinge besonders dringend - Integration, Schulen, Kita, Arbeit?

Stäblein: All das. Zunächst ein Dach über dem Kopf und medizinische Versorgung für die, die sie nötig haben. Und: es kommen sehr viele Kinder, oftmals mit ihren Müttern und Großmüttern. Diese Mädchen und Jungen brauchen Kita-Plätze, Schulplätze, Möglichkeiten, mit anderen Kindern zusammenzukommen. Für diese Integrationsaufgaben werden wir einen langen Atem brauchen.

epd: Ihre Landeskirche will dafür 1,5 Millionen Euro bereitstellen. Wie viel sollte es zusammengenommen bundesweit von der evangelischen Kirche sein?

Stäblein: Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt schwerlich beziffern. Ich sehe meine Aufgabe als Beauftragter für Flüchtlingsfragen eher in der Moderation. Ich weiß, dass viele Landeskirchen genau wie unsere Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz an dieser Stelle jetzt ungeheuer viel tun. Und ich bin ganz sicher, dass sich dieses Engagement auch in den kommenden Monaten und vermutlich Jahren fortsetzt.

epd: Werden angesichts der Größe der Aufgabe und des Spardrucks andere kirchliche Aufgaben darunter leiden?

Stäblein: Es ist völlig klar, dass das jetzt in die Hand genommene Geld möglicherweise an anderer Stelle fehlen wird. Aber: Wir sind, bezogen auf die Einnahmen, besser durch die Corona-Pandemie gekommen als vorhergesagt. Dennoch werden wir natürlich in den nächsten Jahren schauen müssen, was unser jetziges Engagement möglicherweise an anderer Stelle bedeutet. Eintreten für andere Menschen und gleichzeitig Verzicht üben, etwa in der Energiewirtschaft - das gibt es nicht zum Nulltarif.

epd: Sie haben sich für ein Koordinierungsgremium auf höchster politischer Ebene ausgesprochen. Wer soll da konkret rein und mit welchem Effekt?

Stäblein: Es geht um eine bundesweite Koordinierung der Aufgaben. Wir haben in den ersten Wochen gesehen, wie eine Metropole wie Berlin an ihre Grenzen geraten kann. Eine Herausforderung in dieser Dimension braucht eine zentrale Steuerung. Ich denke an das Kanzleramt, aber da müssen auch die verschiedenen Träger mit rein, die an dieser Stelle mithelfen können - also Diakonie, Caritas, die großen Wohlfahrtsverbände. Ganz sicher auch die Kirchen.

epd: Sie haben für Überlegungen zu einer neuen Friedensethik plädiert. Was können Sie sich konkret vorstellen?

Stäblein: Die Friedensdenkschrift der EKD von 2007 hat all die Fragen, vor denen wir aktuell stehen, sehr deutlich benannt. Stärker akzentuieren müssen wir die Frage des Rechts auf Selbstverteidigung und den Einsatz sogenannter rechtserhaltender Einsatzkräfte. Diese werden in der friedensethischen Denkschrift ausdrücklich mit benannt, auch die Bedingungen, unter denen sie möglich sein müssen. Wenn wir das Leitbild des gerechten Friedens, hinter dem ich vollkommen stehe, ernst nehmen, müssen wir an dieser Stelle auch die Not und das Leiden von schutzlos ausgelieferten Menschen ernst nehmen. Das gehört zur Friedensethik und zum Leitbild des gerechten Friedens. Genau vor dieser Antwort dürfen wir uns nicht drücken.

epd: Sollte am Ende eine neue Denkschrift stehen?

Stäblein: Ich glaube, das brauchen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Wir sollten aber sehr wohl diese Denkschrift von 2007 ernst nehmen. Und wir brauchen die vielen Stimmen der evangelischen Friedensethik. Ich glaube, es ist kein Makel, dass wir uns alle im Moment an diesen Stellen drehen und wenden und ziemlich um unsere Worte ringen. Es geht ja um eine für viele Menschen entsetzliche Situation - und also für uns um das Anerkennen, dass wir es mit einer Ausnahmesituation zu tun haben, bei der auch andere Perspektiven der Friedensethik wieder gefragt sind.

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