24.09.2022
Am 25. September 2022 um 18 Uhr in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche
Seit 2005 war Martin Germer an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, diesem Berliner Wahrzeichen, als Pfarrer tätig. Am 25. September wird der Theologe nun in einem Gottesdienst um 18 Uhr in den Ruhestand verabschiedet.
Deutschlandfunk Kultur hat anlässlich von Germers Dienstende ein einstündiges Gespräch ("Im Gespräch mit...") mit ihm geführt. Hier steht es zum Nachhören bereit.
Auch im Ruhestand möchte sich Germer weiter für die Gedächtniskirche einsetzen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd):
epd: Herr Germer, Sie sind seit 17 Jahren Pfarrer in einer der berühmtesten Kirchen Deutschlands, der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, einem Wahrzeichen Berlins. Hier finden Trauergottesdienste ebenso statt wie ökumenische Feiern vor einem DFB-Fußball-Pokalfinale. Am 1. September ist für Sie damit Schluss, am 25. September werden Sie offiziell in den Ruhestand verabschiedet. Mit welchem Gefühl nehmen Sie Abschied?
Germer: Es sind gemischte Gefühle. Und ich nehme nur zum Teil Abschied. Zurzeit versuchen wir zu klären, wie ich eine gewisse Zeit lang noch für die großen baulichen Vorhaben zur Verfügung stehen kann, im Rahmen der Stiftung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, die das Gebäudeensemble verwaltet. Es gibt, glaube ich, aktuell niemanden, der in der Lage wäre, das zu übernehmen. Da ich die Sanierung des Egon-Eiermann-Ensembles und des Alten Turms über Jahre hinweg gemanagt habe, kenne ich mich mit dem ganzen Projekt am besten aus und habe die Kontakte zu Fördermittelgebern, Behörden und nicht zuletzt auch zu vielen Spendern. Das will ich auch gerne weitermachen.
epd: ... und der Blick zurück?
Germer: Es war eine gute Zeit. Ich habe mich jeden Tag gefreut, dass ich Pfarrer an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche sein darf. Ich fühle mich an dieser sehr öffentlichen Stelle gut am Platz. Gemischte Gefühle habe ich, weil momentan noch sehr unklar ist, ob und wie meine sehr umfangreichen Aufgaben auf Dauer wahrgenommen werden können. Schon 2005, als ich hierher kam, war unklar, ob überhaupt eine zweite Pfarrstelle dauerhaft besetzt werden kann, und jetzt ist das wieder sehr fraglich. Das liegt an der landeskirchlichen Verteilung der Mittel. Dieses System enthält bislang keine Möglichkeiten, eine solch besondere Kirche mit ihren Potenzialen und zahlreichen Aufgaben finanziell anders auszustatten, als dies bei einer „gewöhnlichen“ Ortsgemeinde der Fall wäre.
epd: Ihre Kirchengemeinde hat aktuell rund 2.300 Gemeindeglieder. Zugleich ist die Gedächtniskirche ein enormer Touristenmagnet. Sie gehört zu den sogenannten „Citykirchen“ wie etwa der Berliner Dom und die Marienkirche am Alexanderplatz, also Kirchen, die für Touristen besonders einladend sind. Erhalten Sie dafür von der Landeskirche - der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz - oder dem Kirchenkreis keine besondere Unterstützung?
Germer: Vor der Pandemie hatten wir bis zu 1,3 Millionen Besucher pro Jahr. Wir sind die meistbesuchte Kirche in Berlin. Das ist ein Riesenpotenzial, um Menschen zu erreichen, das leider von der Landeskirche nicht genügend gesehen wird. Wir bekommen zwar einen begrenzten Zuschuss für unsere enormen Gebäudebetriebskosten. So können wir die Kirche täglich öffnen, ihre blauen Glaswände beleuchten, sie beheizen - oder auch kühlen, was im Sommer bauartbedingt notwendig ist.
Es ist aber bei weitem nicht so, dass sich die Landeskirche in einer angemessenen Weise an den echten Kosten beteiligt. Nötig wären zusätzlich jährlich 250.000 bis 300.000 Euro. Dann wäre eine Personalausstattung möglich, mit der wir ganz anders die Menschen erreichen und in die Öffentlichkeit hinein wirken könnten. Seit langem reichen die Kirchensteuermittel nur für eine Pfarrstelle und einen einzigen Kirchenmusiker, dessen Stelle bereits zu zwei Dritteln vom Kirchenkreis finanziert wird. Andere vergleichbare Kirchen wie zum Beispiel der Hamburger Michel haben ganz regulär mehrere Pfarrstellen und zwei Kirchenmusiker. Auch unsere drei Kirchwarte sind das absolute Minimum, um diese Kirche von morgens bis abends offenzuhalten, aber nur einer davon kann aus Kirchensteuermitteln bezahlt werden.
epd: Finden Sie in der Kreis- oder Landessynode Rückhalt für ihre Forderungen?
Germer: Das derzeitige kirchliche Finanzsystem gibt schlicht nicht mehr her. Alle anderen Gemeinden haben natürlich auch das Gefühl, dass es bei ihnen extrem an allem fehlt. Zudem denken viele wohl, dass eine Kirche wie die Gedächtniskirche auch andere Möglichkeiten haben sollte, Geld einzunehmen. Leider haben wir aber - im Unterschied etwa zu St. Petri-St.Marien - kein Immobilienvermögen mit entsprechenden Erträgen zur Querfinanzierung unserer Arbeit. Der Dom kann sich überwiegend durch Eintrittsgelder finanzieren, die sogenannte Domerhaltungsgebühr. Wir haben bislang einiges - wie auch die zweite Pfarrstelle - aus Spenden der Kirchenbesucher ermöglichen können. Diese sind aber coronabedingt enorm zusammengeschmolzen.
epd: An der Gedächtniskirche scheint fast immer an irgendeiner Ecke gebaut zu werden. Die typischen Betonwaben etwa, die den Rahmen bilden für das berühmte blaue Glas, müssen etwa alle 15 Jahre saniert werden. Was steht an konkreten Bauprojekten an?
Germer: In den vergangenen zwölf Jahren haben wir bei der Instandhaltung und Sanierung des Gebäudeensembles schon eine ganze Menge geschafft. Der Alte Turm wurde von außen saniert ebenso wie die Kapelle und das Podium, auf dem die Kirche steht. Jetzt soll die Ausstellung in der Turmruine bis 2027 auf drei Etagen erweitert werden. Die Kosten dafür und für die weiteren großen Sanierungsaufgaben wurden 2019 auf 36 Millionen Euro veranschlagt. Das geht nur mit Bundes- und Landeszuschüssen, die uns nach jahrelangem Bemühen inzwischen in Aussicht gestellt wurden. Auch die Landeskirche beteiligt sich daran mit einer Million Euro, was für ihre Verhältnisse viel Geld ist. Wir erhoffen uns davon, dass Besucher künftig dann in 20 Metern Höhe aus dem Turm heraus einen Blick über die Stadt bekommen. Diese Aussichtsebene soll dann auch bei uns kostenpflichtig sein und für die Stiftung eine zusätzliche Einnahmequelle werden. Die ist auch dringend nötig.
epd: Was werden Sie vermissen?
Germer: In den vergangenen Jahren habe ich den nahezu täglichen Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen immer wieder als spannende Herausforderung erlebt. Die Gedächtniskirche liegt mitten in der City West, mitten in einer bunten Stadtgesellschaft. Diese Kirche wird von ganz verschiedenen Gruppen wahrgenommen als ein Ort, in dem die eigenen Anliegen gut aufgehoben sind, in besonderen Gottesdiensten oder auf andere Weise. Dazu habe ich gern beigetragen - und das wird an der Gedächtniskirche sicher auch in Zukunft so sein.